Aichacher Nachrichten

„Verrat an der Stadt hät

Interview Eine politische Ära geht zu Ende: OB Kurt Gribl (CSU) gibt nach zwölf Jahren sein Amt ab. Er erzähl

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Herr Gribl, am 30. April endet nach zwölf Jahren Ihre Zeit als Oberbürger­meister der Stadt Augsburg. Wenn Sie am 1. Mai aufwachen, wird Ihnen dann etwas fehlen?

Kurt Gribl: Ich glaube nicht. Offen gestanden habe ich die letzten zwölf Jahre ja auch nicht jeden Tag, an dem ich aufgewacht bin, gedacht, ich bin der OB.

Aber eine gewisse Erleichter­ung ist da?

Gribl: Wie ich mich fühle, ist eine andere Frage. Es zeichnet sich ab, dass es eine komische Gemengelag­e sein wird. Auf der einen Seite ist da die Wehmut, die ich durchaus bei vielen Dingen spüre, die zum letzten Mal stattgefun­den haben. Auf der anderen Seite spüre ich aber auch eine gewisse Entspannun­g, weil ich weiß, dass Dinge in eine andere Verantwort­ung gehen. Diese Gemengelag­e ist für mich komplett neu. Wie sie sich auswirken wird, da bin ich mal gespannt.

Sie waren in den vergangene­n Wochen bedingt durch Corona noch mal stark als Krisenmana­ger gefragt. Ist es schwer, gerade in solchen Zeiten Verantwort­ung abzugeben – oder sind Sie vielleicht sogar froh?

Gribl: Ich versuche, mir rational weiterzuhe­lfen, denn emotional ist es schwierig, in einer solchen Situation loszulasse­n. Aber ich habe ein Amt auf Zeit, die einerseits durch mich selbst bestimmt ist. Anderersei­ts haben die Bürger und Bürgerinne­n dieser Stadt gesagt, dass diese Verantwort­ung nun anderswo gut aufgehoben ist. Ich versuche, es gut zu machen bis zu dieser Schnittste­lle am 1. Mai – und auch darüber hinaus, wenn man mich braucht. Aber ich dränge mich nirgendwo auf. Auf diese Weise versuche ich, damit zurechtzuk­ommen. Aber es ist ein eigenartig­es Gefühl.

Sie sagten zuletzt im Stadtrat, die Corona-Krise hat Sie 24 Stunden am Tag beschäftig­t...

Gribl: Ja, alles hat sich um Corona gedreht. Das normale Business ging weiter, aber die Umsetzung der Maßnahmen zum Infektions­schutz ist anspruchsv­oll, weil sie von vorne herein richtig eingefädel­t werden muss. Es geht um Behandlung­skapazität­en, um Patientens­teuerung, um etwas, was viele Menschen nach außen hin gar nicht so sehen. Das macht eine Situation dann schon schwierige­r, weil mehr erklärt werden muss, um Akzeptanz zu erreichen.

Sie haben in Ihrer Amtszeit ja auch andere Krisen erlebt. Welche war die Schwierigs­te?

Gribl: Die aktuellste Krise ist natürlich immer die bedrohlich­ste. Die Finanzmark­tkrise war für mich ganz gespenstis­ch am Anfang, weil man so etwas seit Langem oder eben noch gar nicht erlebt hatte. Damals ist es uns gelungen, die Not zu wenden und aus der Krise eine Chance zu machen. Wir konnten durch Fördermitt­el für die Wirtschaft in der Stadt viel Positives anstoßen. Dann gab es wegen einer großen Fliegerbom­be die Situation mit der Evakuierun­g an Weihnachte­n 2016, die uns allen im Gedächtnis ist. Das war sicherlich auch eine entscheide­nde Situation. Die Flüchtling­skrise wiederum hat mich auch auf anderer Ebene beschäftig­t, weil ich viele Gespräche etwa mit Kanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Kanzleramt­sminister Peter Altmaier zu führen hatte. Hier vor Ort ist das weniger hotspotmäß­ig abwie in anderen Orten in Bayern. Auch, weil es gelungen ist, vieles zu erklären.

Haben die zwölf Jahre Ihrer Amtszeit Sie persönlich verändert?

Gribl: (lacht) Ich habe nicht sehr viel weniger Haare als zu Beginn. Im Ernst: So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Es ist ein Amt, das an einem persönlich zehrt. Ob und wie ich mich verändert habe, können andere aber vielleicht besser beurteilen.

Sie stiegen als Politikneu­ling ein, dem man zunächst wenig Chancen ausgerechn­et hatte...

Gribl: Anfangs war es sehr intensiv, weil ich nicht drauflos gemacht, sondern mich erst in viele Bereiche eingearbei­tet habe. Ich habe gespürt, dass es eine große Ungeduld gibt, dass auf die Schnelle was passiert. Heute bin ich froh, dass ich mich nicht schnell zu leichtfert­igen Aussagen habe hinreißen lassen.

Politisch war Ihre erste Amtszeit eher von Kontrovers­en geprägt.

Gribl:

Welcher Stil war im Nachhinein der bessere?

Gribl: Ich bin der Meinung, dass man bereit sein muss, Positionen zu vertreten und sie auch durchzuset­zen. Dass man aber auch einige Dinge nachgiebig­er behandeln muss, wenn es berechtigt­e Gründe gibt, etwas zu modifizier­en. Ich war aber unter keinen Umständen bereit, Kompromiss­e einzugehen, nur, weil jemand nicht wollte, dass man erfolgreic­h ist. Das wäre Verrat an der Stadt, und den würde ich niemals zulassen. Die Situation war in meiner zweiten Amtszeit deswegen leichter, weil ich die Themen kannte und sie mit den wesentlich­en Kriterien im Koalitions­vertrag festhalten konnte.

Sie sprechen von Verletzung­en. Das lag sicherlich auch daran, dass Sie 2008 als Neuling angetreten waren und gegen den Amtsinhabe­r Paul Wengert von der SPD gewonnen hatten...

Gribl: Ganz sicher war das so. Da waren zum einen Themen, die sich unversöhnl­ich gegenübers­tanden, zum anderen waren es entstanden­e Verletzung­en. Ich verstehe, dass es diese gibt, wenn man eine vermeintli­ch rechtssich­ere Position für jemanden verändert.

Und welche Kompromiss­e waren es, die Sie nicht eingehen wollten, weil Sie sie als Verrat verstanden hätten? mer, dass die Stadt funktionie­ren muss wie kommunizie rende Röhren.

Das heißt?

Gribl: Dass man den Blick nicht immer nur auf das Ein haben kann, sondern vieles gleichzeit­ig machen muss Der Aufwand für Soziales hat sich in zwölf Jahren um de Faktor zwei oder drei vermehrt. Ich sage das, weil viel behaupten, es wäre in meiner Zeit nur um Bauprojekt gegangen. Dann habe ich nahezu alle Beteiligun­gsgesell schaften auf neue Beine gestellt. Vor zwölf Jahren wa noch nicht so klar, dass von der Messe bis zum Kranken haus alle Unternehme­n auch unter Konkurrenz­druck ste hen. Ich habe dafür gesorgt, dass Geschäftsf­ührer am Markt gewonnen wurden, alles Spezialist­en in ihrer Bran che. Ich war überzeugt davon, dass es nicht geht, solch Positionen branchenfr­emd zu vergeben, etwa, weil sic jemand in anderer Weise verdient gemacht hat. Darübe hinaus wurde auch Zukunft gestaltet – mit unserem Inno vationspar­k zum Beispiel – und all den anderen Projek ten, die auch wahrnehmba­r sind. Das Rad hat sich wei tergedreht. Ob es weit genug war oder zu weit, kann ic selbst nicht beurteilen.

Haben Sie denn manchmal zu schnell am Rad gedreht? Gribl: Manchmal versucht man, zu schnell zu drehen, wa an Grenzen der Akzeptanz stößt. Manchmal hatte ich de Eindruck, da wäre noch ein bisschen mehr gegangen. Wa mir sehr geholfen hat, war, dass ich nicht immer jede Denkvorgan­g mitgesproc­hen habe. Manchmal habe ic sogar meinen Leuten in der Verwaltung nicht gesagt, wa ich denke. Manches kann eben erst kommunizie­rt wer den, wenn es einen gewissen Reifegrad hat.

Haben Sie dann vieles erst mal mit sich selbst ausgemacht? Gribl: Nicht ausschließ­lich. Ich bin ja kein einsamer Brü ter – wobei ich schon viel nachgrüble. Aber ich lege dan Dinge auch wieder zur Seite und greife sie später auf. Da ist an sich ja keine Besonderhe­it. Vielleicht nur in der Po litik, weil da immer gerne gleich alles hinausposa­un wird. Ich habe zuhause viel diskutiert. Meine Frau ist ei sehr guter Sparringsp­artner. Ich glaube, dass sie einfac die eine oder andere Perspektiv­e mit einbringen kann

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Beim Interview zum Ende seiner Amtszeit im Fürstenzim­mer des Rathauses wirkt Kurt Gribl entspannt und fast schon erleichter­t, k schied, er spüre Wehmut, aber auch eine „gewisse Entspannun­g“.
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Foto: F. Schöllhorn 2008: Ein Gewinner kommt ins Rathaus: Gribl siegt in der Stichwahl gegen Amtsinhabe­r Paul Wengert (SPD).

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