Ein Hoch auf das Geisterspiel
Auf nichts und niemandem wird seit Wochen dermaßen rücksichtslos herumgetrampelt wie auf dem guten alten Geisterspiel. Es sei nicht anzuschauen, nicht auszuhalten. Es sei der Untergang des Fußballs und in dessen Folge der des Abendlandes.
Es ist also höchste Zeit, eine Lanze für diese Urform des Mannschaftsspiels zu brechen. Wessen Karriere, und hat sie sich auch noch so glänzend entwickelt, seinen Beginn in einer proppenvollen Arena genommen hat, der spiele den ersten Steilpass. Tatsächlich haben die Talente in den meisten Ländern der Welt durch staubige Hinterhöfe gekickt oder an leintuchbehangenen Wäschestangen vorbei – woher möglicherweise der Begriff Geisterspiel kommt, was aber nicht belegt ist – ohne dass irgendjemand von ihnen Notiz genommen hätte. Und wenn doch: hat sich keiner der Opas, die auf ihren Sofakissen am Fensterbrett hingen, über die Geisterkulisse beschwert.
Und später, wenn es der Hinterhofkicker zum bescheidenen Amateurfußballer gebracht hat und in verschneiten Allgäuer Dörfern vor 37 Zuschauern antrat, war das bereits die gehobene Form des Geisterspiels. Auf der Gegengeraden grüßte das kalte Nichts. Der Schiedsrichter, der sich dort aufhielt, entschied frei von Anfeindungen. Fußball ohne Schnickschnack,
aber mit größtmöglicher Nähe. Meistens gewann der Bessere. Wer das Geisterspiel für den entfernten Verwandten des Geisterfahrers hält, ist auf dem Holzweg. Das Geisterspiel ist die Mutter des Fußballs.
Noch später, wenn der Amateurkicker Sportjournalist wurde und sich berufsmäßig viel auf Fußballplätzen herumtrieb, zog es ihn immer wieder zu Geisterspielen. Daran änderten auch 20 Bundesligajahre und hunderte von Länderspielen nichts.
So war das größte Spiel, das er in seinem Dasein erlebt hat, auch eher ein Geisterspiel als ein Massenspektakel. Es fand am 9. Oktober 1990 auf dem Nebenfeld des Münchner Olympiastadions statt. Ein paar hundert Zuschauer standen an den Seitenlinien, als die A-Jugend-Teams des FC Bayern und des FC Augsburg aufeinandertrafen. Trainiert von Hermann Gerland (FCB) und Heiner Schuhmann (FCA), auf dem Platz angeführt von Christian Nerlinger und Dieter Frey. Die Gästeführung durch Thomas Tuchel, inzwischen Trainer von Paris St. Germain, die Entscheidung durch zwei Treffer von Nerlinger. 90 Minuten atemberaubender Tempofußball. „So ein Tempo hab ich noch nie gesehen“, staunte Uli Hoeneß, einer der Zuschauer. „Ein unglaubliches Spiel“, war Tschik Cajkovski fasziniert. Unterschätze keiner den Geist von Geisterspielen.