Aichacher Nachrichten

Zwei Bulldogs auf sinnloser Kriegsirrf­ahrt

- VON MARTIN GOLLING

Kriegsende In den letzten Wahnsinnst­agen müssen Mathias Schmidberg­er aus Binnenbach und zwei Todtenweis­er für die Wehrmacht ihr Leben riskieren. Sie sollen Kriegsmate­rial vor den Amerikaner­n in Sicherheit bringen. Wie Josef Kodmeir senior später den Lanz für sein Dorf zurückholt

Der erste Augenzeuge­nbericht stammt von Mathias Schmidberg­er aus dem Aindlinger Ortsteil Binnenbach. Es sind die letzten Tage des sinnlosen Kriegswahn­sinns, die dem damals 17-jährigen Binnenbach­er fast den Tod bringen. Schmidberg­er berichtet:

„An jenem Tag, dem 28. April 1945, als die Amerikaner friedlich in Binnenbach einrückten, weckte mich meine Mutter morgens, als es noch dunkel war. Vor unserem Hof stand ein Lastwagena­nhänger mit aufmontier­tem, großem Geschütz. Deutsche Wehrmachts­oldaten rannten umher. Unser Lanz-Bulldog sollte den Anhänger zur nächsten Ortschaft bringen. Am besten bevor es hell wurde, denn dann würden die Amerikaner ihre Lufthoheit ausspielen und alles zusammensc­hießen. Ich fuhr also los. Doch von wegen nächste Ortschaft. Vielmehr ließen mich die Landser durchfahre­n bis nach Aichach. An der Baywa machte ich Halt. Die Soldaten und ihre Vorgesetzt­en berieten und schickten mich schließlic­h weiter nach Ecknach, wo sie das Geschütz hinter dem Gasthof versteckte­n. Ich zog den Nagel aus der Anhängevor­richtung und machte, dass ich wegkam.

Es war allerhöchs­te Zeit geworden, denn schon schwirrten Aufklärer über unseren Köpfen. Obwohl es wegen der Tieffliege­r gefährlich war, fuhr ich sofort zurück. Zwischen Mainbach und Alsmoos, auf Höhe des Schrannenh­olzes, stand ein Landser mit einem Fahrrad. Er machte mir ein Zeichen, dass ich einen bestimmten Fleck in der Straße nicht befahren durfte. Ich folgte dem vom Landser angedeutet­en Bogen. Wenige Stunden später sollte die hier vergrabene Panzermine ein Fuhrwerk, das von polnischen Kriegsgefa­ngenen begleitet wurde, in die Luft jagen.

Ich selbst kam mit meinem Traktor nur bis Alsmoos. Unter den großen Kastanien beim Wirt wartete ein Offizier, stoppte mein Fahrzeug und er befahl mir, erneut einen Wagen nach Aichach zu transporti­eren. Ein Wahnsinnsu­nternehmen. Ich entgegnete, dass der Sprit nicht reichen würde. Er griff zu seiner Pistole und drohte mir mit standrecht­licher Erschießun­g. Ich sah keine Möglichkei­t und wusste mir nur zu helfen, indem ich vom Fahrzeug stieg. Ich vergaß dabei nicht, mit dem Fuß den Zwischenga­ng einzulegen. Als der Offizier selber oben saß, brachte er den Bulldog nicht von Ort und Stelle. Wieder drohte er mir mit der Waffe.

Da kam ein weiterer Traktor die Straße von Mainbach her herunter. Am Lenkrad saß Josef Kodmeir aus Todtenweis, der Vater des späteren, langjährig­en Bürgermeis­ters (siehe zweite Episode). Der Offizier befahl seinen Männern, das Fahrzeug anzuhalten und bedrohte nun die beiden Männer mit seiner Waffe. Denen half ihr Jammern nicht, sie mussten ihren Traktor vor den Wagen spannen lassen. Ich legte den Gang ein und machte – so schnell ich konnte –, dass ich wegkam. Der Offizier hielt mich zurück und sagte nur, dass ich noch einmal Glück gehabt habe.

Ich fuhr nach Appertshau­sen, wo ich kurz vor dem Ort mehreren wild fahrenden Lastwagen ausweichen musste. In Binnenbach sah ich am Ortsrand einen Landser im Gebüsch auf der Lauer liegen. Im Hof kam meine Mutter aus dem Bunker, wo alle anderen warteten, und holte auch mich in den Keller. Mit einer Stange hielt ich eine weiße Fahne aus dem Kellerloch. Das mit der Stange hatte mir ein Soldat geraten, der bei uns gewohnt hatte. Die Gefahr beim Hissen der weißen Flagge kam nicht von den Amerikaner­n, vielmehr von den deutschen Soldaten, die auf Befehl hin solche Maßnahmen mit gezielten Schüssen zu unterbinde­n suchten.

Alle warteten gespannt, wie sich das alles entwickeln würde. Keine halbe Stunde, nachdem ich zuhause angekommen war, fuhr der erste amerikanis­che Jeep in Binnenbach vor. Die zwei Soldaten der deutschen Militärpol­izei hatten schon vorher signalisie­rt, dass sie sich ergeben würden. Nun holten sie ihren Leutnant vom anderen Haus ab. Dessen Verhaftung habe ich selbst miterlebt.

Der amerikanis­che Soldat richtete dabei die Waffe auf den Deutschen, der musste seine Koppel ablegen und in den Wagen klettern. Dann fuhr der amerikanis­che GI seine drei

nach Eisingersd­orf, das in der Nacht zuvor in Brand geschossen worden war. Ein Panzer war am Poststeig auf eine Mine gefahren und explodiert, deshalb war die Fahrzeugko­lonne der Amerikaner nach Westen geschwenkt und über Sparmannse­ck und Hölzlarn (heute Markt Thierhaupt­en) nach Pichl vorgedrung­en und dabei auf Widerstand gestoßen.

Nach allem, was wir aber dann sahen, konnte dieser Widerstand nur als lächerlich bezeichnet werden. Stundenlan­g rollte schwerstes Gerät mit modernsten Waffen ausreichen­d bestückt an uns vorbei, während sich die zerlumpten deutschen Landser mit Ochsenkarr­en und gestohlene­n landwirtsc­haftlichen Traktoren, die Gewehre geschulter­t, aus dem Staub zu machen versuchten. Die drei Militärpol­izei-Soldaten bei uns, die sich ergeben hatten, dürften aber auch verantwort­lich dafür gewesen sein, dass junge Wehrmacht-Angehörige nördlich vom Poststeig bei Axtbrunn noch wenige Stunden vor dem Eintreffen der Amerikaner gehängt worden waren.“

Noch kurioser verlief die Irrfahrt der beiden Todtenweis­er Lanz-Fahrer. Josef Kodmeir, der langjährig­e Bürgermeis­ter der Lechrainge­meinde, erzählt die Geschichte seines Vaters:

„Mein Vater Josef Kodmeir, Jahrgang 1904, war seit 1937 beim Sparund Darlehensk­assenverei­n als Arbeiter für den Maschinen- und Fahrzeugbe­stand beschäftig­t. Der Verein besaß einen 25-PS-LanzBulldo­g und weitere Maschinen. Mit diesen bearbeitet­e mein Vater vor allem während des Krieges einen Großteil der Todtenweis­er Flur. Dies war einer der Gründe, warum mein Vater nicht im Krieg war, er wurde für das Dorf als unabkömmli­ch vom Dienst freigestel­lt.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriege­s, es muss um den 24. oder 25. April 1945 gewesen sein, musste er auf Befehl der Wehrmacht Geschütze und ähnliches Kriegsmate­rial mit dem Vereins-Lanz vor den anrückende­n Amerikaner­n in Sicherheit bringen und in Richtung Osten transporti­eren. Als Beifahrer wurde ihm Andreas Rauchmeier zur Seite gestellt. Die Fahrt ging in die GeGefangen­en gend von Dachau. Dort konnte er seine Last abhängen und zurückfahr­en. In Klingen wurde er angehalten und musste wieder einen Transport Richtung Dachau aufnehmen. Auf der Rückfahrt wurde er in Alsmoos erneut angehalten und sollte wieder einen Transport fahren (siehe Bericht Mathias Schmidberg­er). Mein Vater weigerte sich zunächst standhaft und lautstark und machte klar, dass er jetzt endlich heimfahren wolle. Der anwesende Offizier sagte ihm, das Standgeric­ht sei im Gasthaus Völkl. Dieses werde ihn aburteilen und auf der Stelle erschießen. Daraufhin fuhr er mit den angehängte­n Geschützen wieder Richtung Aichach.

An München vorbei, kam er am Morgen des 28. April nach Buchendorf bei Gauting. Dort wurde das Fahrzeug von der Wehrmacht beschlagna­hmt. Nach Abstellen des Lanz konnte er von dem ’BarrasHauf­en’, wie mein Vater sich in einem Schreiben vom 25. Februar 1947 ausdrückte, nicht mehr angelassen werden. Er wurde nach Aussage von Buchendorf­er Bauern in eine unbekannte Richtung abgeschlep­pt. Beide Todtenweis­er machten sich dann zu Fuß auf den Heimweg. In weitem Bogen marschiert­en sie hauptsächl­ich im Schutze der Nacht südlich von München fast bis in die Höhe des Starnberge­r Sees, dann Richtung Fürstenfel­dbruck. Zwischenze­itlich begegneten sie den vorrückend­en Amerikaner­n. Nach ausführlic­hen Vernehmung­en und Verhören konnten sie ohne Angst bei Tag weitergehe­n. Am 9. oder 10. Mai kamen beide erschöpft, aber glücklich, allerdings ohne den Bulldog, zu Hause an. Ein ähnliches Schicksal hatte auch der Bulldog des Hannisbaue­rn (Familienna­me Jakob). Auch dessen Fahrer musste im Osten von München seinen Bulldog verlassen.

Zwischenze­itlich hatte der Verein durch Vermittlun­g des damals mächtigen Bürgermeis­ter Josef Riß einen 45 PS starken Lanz-Bulldog bekommen. 1949 wurde dem Verein mitgeteilt, dass im Landkreis Ebersberg eine Reihe von Zugmaschin­en, die bei Kriegsende aufgefunde­n wurden, bei einzelnen Bauern im Einsatz seien. Der damalige Rechner, das wäre heute der Leiter der Bank, Georg Bauer, und der Vorstand des Vereins, Alois Ettinger, beauftragt­en meinen Vater, den Bulldog zu suchen. Mit Paul Ebene machte er sich ohne genaue Ortsangabe über den Standort des Schleppers auf den Weg. Sie fuhren mit dem Zug nach Ebersberg. Dort gingen sie zur Zulassungs­stelle des Landratsam­tes, und mein Vater versuchte, dort mithilfe des Kfz-Briefes den Standort des Bulldogs zu erfahren. Der Beamte überprüfte den Kfz-Brief, öffnete eine Schublade, legte das wichtige Dokument hinein und schob die Schublade wieder zu. Meinem Vater war sofort klar, was das bedeuten konnte. Mit einem beherzten Sprung über den Tresen machte er einen Griff in die Schublade, nahm den Brief heraus und sprang wieder zurück. Der verdutzte Beamte war in der Kürze der Zeit zu keiner Gegenwehr im Stande. Nach den anschließe­nden Wortgefech­ten meinte der Beamte, er hätte den Brief für Ermittlung­en gebraucht. Diese Aussage wurde später klar widerlegt. Nach diesem Vorfall war den beiden Todtenweis­ern klar: Vom Landratsam­t hatten sie keine Hilfe, eher Störungen, zu

„Wenige Stunden später sollte die hier vergrabene Panzermine ein Fuhrwerk, das von polnischen Gefangenen begleitet wurde, in die Luft sprengen.“Mathias Schmidberg­er

„Der anwesende Offizier sagte ihm, das Standgeric­ht sei im Gasthaus Völkl. Dieses werde ihn aburteilen und dann auf der Stelle erschießen.“Josef Kodmeir über das Erlebnis seines Vaters

erwarten. Sie machten sich zu Fuß auf die Suche und gingen zunächst nach Vaterstett­en in die Gegend, wo Kodmeir das Fahrzeug hatte zurücklass­en müssen. Nach dreitägige­m Fragen und Suchen, bekamen sie einen Hinweis, dass im Gemeindebe­reich Oberpframm­ern einige Bauern von der Wehrmacht zurückgela­ssene Zugmaschin­en hatten.

Auf einem Einödhof sahen dann beide schon ihren Lanz. Der Bauern teilte ihnen mit, dass er der rechtmäßig­e Besitzer sei, denn der Schlepper sei ihm vom Landratsam­t Ebersberg zugeteilt worden. Anhand des Kfz-Briefes und Überprüfun­g der Fahrgestel­lnummer ließ sich der Bauer jedoch überzeugen, dass Vertreter der wirklichen Eigentümer vor ihm standen. Der Bauer war einsichtig und versorgte sogar beide mit einem Essen. Im Dorf war die Freude über die Rückkehr des Bulldogs groß. Vorstand Ettinger und Rechner Bauer beglückwün­schten beide zu dieser großen Leistung. Da der Verein jetzt zwei Schlepper besaß, wurde der 25-PS-Bulldog an den Landwirt Josef Escher verkauft.“

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 ?? Archivfoto: Sofia Brandmayr ?? Dieser alte Lanzbulldo­g D 9500 aus dem Jahr 1943 mit seinen 45 PS war eine Attraktion beim Historisch­en Dorffest in Todtenweis 2008. Die Gemeinde hatte das Gefährt von der Raiffeisen­bank Todtenweis erworben. In 800 Arbeitsstu­nden restaurier­ten es damals (von links) Simon und Hubert Wackerl sowie Albert Sturz (rechts). Stolz war auch Altbürgerm­eister Josef Kodmeir (Zweiter von rechts). Sein Vater war als Raiffeisen­lagerarbei­ter nach dem Krieg mit dem Lanz gefahren.
Archivfoto: Sofia Brandmayr Dieser alte Lanzbulldo­g D 9500 aus dem Jahr 1943 mit seinen 45 PS war eine Attraktion beim Historisch­en Dorffest in Todtenweis 2008. Die Gemeinde hatte das Gefährt von der Raiffeisen­bank Todtenweis erworben. In 800 Arbeitsstu­nden restaurier­ten es damals (von links) Simon und Hubert Wackerl sowie Albert Sturz (rechts). Stolz war auch Altbürgerm­eister Josef Kodmeir (Zweiter von rechts). Sein Vater war als Raiffeisen­lagerarbei­ter nach dem Krieg mit dem Lanz gefahren.
 ?? Archivfoto: Martin Golling ?? Zerlegt ist auf diesem Bild aus dem Jahr 2008 der Lanz-Bulldog, den die Raiffeisen­kasse Todtenweis nach dem Krieg erworben hatte.
Archivfoto: Martin Golling Zerlegt ist auf diesem Bild aus dem Jahr 2008 der Lanz-Bulldog, den die Raiffeisen­kasse Todtenweis nach dem Krieg erworben hatte.

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