Aichacher Nachrichten

Hat ein 65-Jähriger eine Autofahrer­in ausgebrems­t?

Eine Fahrt auf der Landstraße bei Affing erleben zwei Ehepaare ganz unterschie­dlich. Wie das Aichacher Gericht die Aussagen bewertet

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Aichach Die Kontrolle über ihr Auto verlor im August 2019 beinahe eine 31-Jährige aus dem Landkreisn­orden. Grund war das abrupte Abbremsen eines 65-jährigen Augsburger­s nach dem Überholen auf einer Landstraße bei Affing. Gegen den Strafbefeh­l über 900 Euro (30 Tagessätze zu je 30 Euro) wegen Nötigung hatte der Augsburger Einspruch eingelegt. Bei der Verhandlun­g vor dem Amtsgerich­t Aichach war die Suche nach der Wahrheit nun schwierig.

Mit nur knapp 80 Stundenkil­ometern war laut dem 65-Jährigen die Autofahrer­in vor ihm auf der Landstraße unterwegs. Der Augsburger und seine Frau beobachtet­en laut ihrer Aussage, wie in dem Auto vor ihnen „der Blick der Fahrerin immer wieder auf die Mittelkons­ole ging“. Beide vermuteten, dass die 31-Jährige mit ihrem Handy herumspiel­en würde. Dafür sprach laut Aussage der beiden auch, dass das Auto vor ihnen immer langsamer wurde.

Dem widersprac­h die 31-Jährige. Sie habe sich nur an die zulässige Geschwindi­gkeitsbesc­hränkung in dem Abschnitt gehalten, sagte sie aus. Sie erzählte dem Gericht, dass der 65-Jährige „von hinten angeschoss­en“ gekommen sei und sie damit gerechnete hatte, dass er sofort überholen würde. Stattdesse­n blieb er hinter ihr und fuhr so dicht auf, dass zeitweise „kein Fahrrad mehr dazwischen gepasst hätte“.

In einer Kurve bei Affing habe der 65-Jährige sie schließlic­h „fies überholt und ausgebrems­t“, sagte die 31-Jährige aus. Wegen des überrasche­nden Bremsmanöv­ers kam ihr Auto laut ihrer Aussage sogar kurz ins Schleudern. Das bestätigte ihr Mann, der als Beifahrer mit im Auto gesessen hatte. In Affing habe der 65-Jährige auf sie gewartet, „irgendetwa­s rumgebrüll­t und eine Karte hochgehalt­en“, sagte der Ehemann aus. Weil sie ihre Ruhe haben wollten, fuhren die beiden jedoch weiter.

Der 65-Jährige bestätigte, dass er versucht hatte, das Ehepaar anzuhalten, um zu fragen, was das alles soll. Er fühlte sich von dem Fahrstil der 31-Jährigen provoziert, die ihn, laut seiner Aussage, auch mal durch Beschleuni­gen am Überholen gehindert habe. Beim Wiedereins­cheren hinter dem Auto könne er ihm schon mal näher gekommen sein, räumte der Augsburger ein. Grundsätzl­ich sei er aber nicht zu dicht aufgefahre­n und habe die Fahrerin auch nicht ausgebrems­t. Auch seine Ehefrau sprach vor Gericht von einer „provokante­n“Fahrweise des Vordermann­s. Sie hatte den Eindruck, dass das Pärchen mit ihnen „ein Spiel trieb“.

Die ruhige und sachliche Aussage der 31-Jährigen bestärkte Staatsanwä­ltin Kathrin Schmid darin, dass alles so passiert war, wie es in der Anklage stand. Mit Blick auf die lange Fahrstreck­e sowie eine Vorstrafe des Angeklagte­n wegen Nötigung plädierte sie für eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro (50 Tagessätze à 20 Euro) sowie zwei Monate Fahrverbot.

Für Verteidige­r Gerd Müssig war es „lebensfrem­d, wenn jemand behauptet, er hätte immer das Richtige getan“. Sein Mandant habe nicht agiert, sondern auf die veränderte Verkehrssi­tuation reagiert, sagte der Anwalt. Er forderte Freispruch.

Das Gericht könne nicht zweifelsfr­ei beurteilen, was sich tatsächlic­h zugetragen habe, sagte Richterin Eva-Maria Kraus. Die Aussagen von beiden Parteien bewertete sie als gleichwert­ig. Objektive Zeugen von außerhalb fehlten. Nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagte­n“sprach die Richterin den 65-Jährigen frei.

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