Ich, verloren im Spiegel
Christian Kracht Wie einst bei „Faserland“stellt sich auch bei „Eurotrash“die Frage: Von wem ist hier eigentlich die Rede?
Christian Kracht: Eurotrash Kiepenheuer &Witsch, 224 Seiten, 22 Euro
Man war damals ja gerne traurig gewesen, wenn man da so so sagen kann. Man hatte diesen namenlosen, etwas schnöseligen aber auch zaghaften jungen Herrn ja gerne von Sylt bis nach Zürich begleitet. Man hatte sich lange gefragt, was es ganz am Ende bedeutete, dieses: „Schon bald“. Die Reise durch „Faserland“, dieser exaltierte BRD-Roadtrip mit Barbourjacke, hatte enden müssen, irgendwie. Natürlich. Aber wie bei allem, was Eindruck hinterlässt, hallte die Fiktion lange nach.
Ein neuer Kracht, also. Erwartungsfroh war man ohnehin gewesen. Denn die Literatur-Jahre, in denen ein solcher erscheint, sind ja doch die besseren. Es ist dann einfach mehr geboten. Das galt 1995, galt dazwischen und gilt jetzt. Damals „Faserland“, heute „Eurotrash“, zuletzt, 2016, „Die Toten“. Damals das teilweise heftig verrissene Debüt des damaligen TempoSchreibers, das – berechtigt oder nicht – zum Epoche machenden Erstling der zweiten Phase deutscher Popliteratur (was auch immer das genau sein mag) wurde. Nun der auf Facebook und so von Christian Kracht sorgfältig geteaserte Nachfolger, der sicher alles Mögliche und ganz sicher sehr vieles, aber nicht Pop ist.
Der neue Roman beginnt, wo der alte endete. In Zürich. Mit dem inzwischen recht häufig zitierten „Also“. Wenn also damals, in „Faserland“, dieser leicht snobistisch anmutende, einem ordentlich zubereiteten Scotch mit Soda gerne zugewandte Mann, sich im Deutschland der 90er verliert, bekommt er es gut 25 Jahre später in „Eurotrash“mit der Frau Mama zu tun. Sie hatte ihn gebeten, rasch zu kommen. Was den zunächst noch namenlosen Ich-Erzähler sehr nervös macht, denn die Mutter ist psychisch erkrankt und spricht reichlich dem Weißwein und dem Wodka zu, muss Medikamente nehmen. Die beiden werden sich, natürlich in einem Taxi, auf eine Rundreise durch die Schweiz machen, die, obwohl es hoch hinaus geht und viele Schweizer Franken regnen wird, zugleich auch eine Höllenfahrt zu den eigenen Abgründen, der schwer erträglichen Vergangenheit ist.
Interessant ist dabei die Frage, wer das erzählt, wessen Vergangenheit tatsächlich verhandelt wird. Denn der Namenlose von damals stellt sich gleich zu Beginn von „Eurotrash“als jener Erzähler vor, der „vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben hatte, die ich aus irgendeinem Grund, der mir nun leider nicht mehr einfällt, Faserland genannt hatte.“Wenig später erfährt der Leser, dass dieser Erzähler Christian Kracht heißt. Genau wie dessen Vater. Und damit beginnen die Brechungen in diesem überaus geschickt angelegten „Spiegelkabinett“, wie Kracht es nennt.
Der ist nicht dafür bekannt, seine Romane in Interviews oder gar Talkshows zu zerreden. So schweigsam war er nicht immer und es bleibt gewiss zu vermuten, dass er Aufmerksamkeit schätzt. Aber wer etwas zu sagen hat, macht sich inzwischen doch besser ein bisschen selten. Wenn alle dauernd auf Sendung sind, verschafft Reduktion mehr Gehör. Offensichtlich zumindest. Der Schweizer versteht es jedenfalls ziemlich virtuos, sich durch wenig viel Geltung zu verschaffen. Zum Erscheinen seines neuen Buches hat er genau ein Interview gegeben. Das gefällt und darin sagt er: „In all meinen Romanen gibt es eine bestimmte Stelle, in der sich der Erzähler vor einem Spiegel wiederfindet, oft ist es auch ein Doppelspiegel, in dem sich dann das gespiegelte Bild in der Unendlichkeit verliert.“
Es gibt viele Parallelen zwischen dem Erzähler, der Romanfigur, Christian Kracht und dem Autor Christian Kracht. Beide sind Eidgenossen, bei beiden ist der bereits verstorbene Vater ein Emporkömmling gewesen, der lange Zeit die rechte Hand des Medienzaren Axel C. Springers war. Der Vater der Mutter ist bei beiden ein NaziVerbrecher gewesen. Es gibt in dieser Familie Schuld, Grauen, Unheil.
Er schreibt – im Roman – von der Mutter, von dem „erbarmungslosen Reaktorunglück ihres Lebens“, berichtet, dass sie als Elfjährige von einem Fahrradhändler vergewaltigt worden war. Woraufhin Kracht ihr erzählt, dass auch er im kanadischen Internat von einem anglikanischen Priester sexuell missbraucht wurde. Es ist die wichtigste Szene des Buches.
Ein Drehmoment. Für den Roman hin zum Verfasser. Denn auch der Autor Christian Kracht wurde als Kind sexuell von eben jenem anglikanischen Priester sexuell missbraucht. Das hatte der 54-Jährige vor drei Jahren während der Frankfurter Poetikvorlesung öffentlich gemacht und damit der Deutung seines Werkes eine andere Richtung gewiesen.
Christian Kracht hat, im Interview nach dem Grund für seine Offenheit gefragt, diese zum einen mit der ihm von seiner Psychoanalytikerin zugeratenen therapeutischen Wirkung beantwortet. Dass es zudem andere ermutigen könnte, die ähnliches durchlitten haben. Außerdem erklärte er, dass er seiner Therapeutin sehr dankbar sei. „Ich habe ihr soundso viel zu verdanken, auch die Idee, dass man aus dem Kreis ausbrechen müsse, um das Epigenetische zu unterbrechen. Also das Schicksal, das transkriptionale Zellengedächtnis. Man könne das bewusst ändern.“
Im Roman heißt es: „Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides elendes kümmerliches Dramolett es doch war, dachte ich, während ich weiter an die Decke des Hotelzimmers starrte und sah, daß dies tatsächlich die ewige Wiederkunft war, unser Unvermögen, der Zeit einen Anfang zu setzen, aeternitas a parte ante, wie es mir einmal ein Geistlicher in Florenz zu erklären versucht hatte. Sollte es aber gelingen, den Kreislauf der Geschichte zu unterbrechen, dann könne man nicht nur die Zukunft direkt beeinflussen, sondern auch die Vergangenheit.“
So erklären sich Autor und Romanfigur, die – jenseits dieser existenziellen Episode – natürlich nicht vollkommen identisch sind.
Kracht hat bereits in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen, die nicht auf Band aufgenommen werden durften, begonnen, sich mehr zu erklären, sich quasi der Richtlinienkompetenz über sein gewiss nicht leicht zu deutendes Werk zu vergewissern.