So entdeckt man versunkene Welten
Wenn Philipp Grassel abtaucht, macht er das nicht nur zum Spaß. Als Unterwasser-Archäologe sucht er nach den Spuren früherer Menschen
Niemand weiß, wie viele gesunkene Schiffe in den Meeren der Welt liegen. Allein in den Meeresgebieten, die zu Deutschland gehören, sollen es insgesamt rund 1500 Schiffswracks sein: 1000 in der Nordsee und 500 in der Ostsee. Doch das sind nur Schätzungen. Nur in wenigen Fällen ist bekannt, wann und wie die Schiffe gesunken sind.
Die ältesten Wracks stammen aus dem Mittelalter. Doch schon in der Steinzeit fuhren die Menschen übers Wasser. Sie höhlten Baumstämme aus und nutzten sie als Boote. Auch davon gibt es Fundstücke. Der heutige Zustand der Wracks ist sehr unterschiedlich. Er hängt davon ab, wie lang die Schiffe schon unter Wasser liegen.
Es klingt schon abenteuerlich: Auf dem Grund von Seen, Flüssen und Meeren verbergen sich Geheimnisse. Versunkene Welten liegen dort. Manchmal sind es ganze Städte, manchmal einzelne Überbleibsel. Einige davon bewahren eine wertvolle Fracht: Schätze aus Gold und Silber. Doch Archäologen wie Philipp Grassel interessieren sich nicht nur für spektakuläre Schätze. Spannend finden sie etwa auch die Reste von einem Schiff. Die Forscher versuchen damit herauszufinden, wie die
Menschen früher lebten. Wie haben sie ihre Schiffe gebaut? Welche Waren haben sie transportiert?
Antworten auf solche Fragen findet Philipp Grassel bei seinen Ausgrabungen unter Wasser. Dort hat zum Beispiel der Schlamm dafür gesorgt, dass die Schiffe heute noch erhalten sind. Besonders das Holz der Schiffe interessiert den Wissenschaftler. „Man kann das Alter von Holz sehr gut bestimmen und damit auch das der Schiffe“, erzählt Grassel.
Unter Wasser herrscht häufig schlechte Sicht. „Manchmal erkennt man seine Hände vor den eigenen Augen nicht“, berichtet er von seiner Arbeit. Doch Technik erleichtert ihm das Suchen. Mit modernen Geräten kann Philipp Grassel schon von der Wasseroberfläche aus den Meeresgrund grob absuchen. Ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge sind mit Kameras ausgestattet und senden Bilder aus der Tiefe. Für genaue Untersuchungen aber taucht Grassel selbst nach unten und nimmt zum Beispiel Holzproben von den Schiffsresten.
Zu den versunkenen Welten, die Unterwasser-Archäologen untersuchen, gehören auch untergegangene Städte. Ein berühmtes Beispiel ist die ehemalige Hafenstadt Herakleion im heutigen Ägypten. Sie wurde vor mehr als 2000 Jahren von einem Erdbeben und einer Flutwelle zerstört. Erst vor 20 Jahren wurden Säulen und andere Überreste dieser Stadt im Mittelmeer entdeckt.
Grassel arbeitete bei einem Projekt in der Ostsee mit, bei dem die Archäologen eine Axt aus dem Meeresboden gruben. Die Forscher vermuten, dass an dem Fundort früher Menschen lebten. Wo heute Meerwasser die Erde bedeckt, war damals Land. Neben der Axt fanden die Wissenschaftler auch Knochen, bearbeitete Holzreste und Holzkohle. Ihre Untersuchung ergab, dass die Fundstücke älter als 7000 Jahre sind.
Grassel forscht aber nicht nur im Meer, sondern auch an Land. Er stöbert in Archiven, in Logbüchern von Schiffen und Hafendokumenten nach Spuren versunkener Welten. „Diese Arbeit ist genauso spannend wie eine Ausgrabung unter Wasser“, sagt Philipp Grassel.