„Ermüdungsbruch“der Politik
Corona Die Ministerpräsidentenkonferenz steht als Krisen-Organ schon länger in der Kritik. Nach der jüngsten Sitzung, die alles, aber keine Osterruhe brachte, steht sie noch mehr infrage, sagt der Kommunikationsexperte Leonard Novy
Berlin Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), so ist auf der Seite der Berliner Senatskanzlei zu lesen, ist „Ausdruck eines gelebten Föderalismus“. Sie ist ein Gremium der „Selbstkoordination der Länder, die auf diese Weise ihre Interessen gegenüber dem Bund vertreten“. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller muss es wissen. Er hat derzeit den Vorsitz.
Der Ruf der MPK war schon mal besser. Was weniger mit Michael Müller und mehr mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun hat. Schon länger ist die Runde als Format zur Corona-Krisenbewältigung in der Kritik. Diese hat sich nach Merkels Frühlingsrolle – erst Osterruhe an Gründonnerstag, dann doch nicht, dann öffentliche Entschuldigung – rasant verschärft. Zu unausgeschlafen war die fragliche Entscheidung in dieser jüngsten, bis tief in die Nacht dauernden Sitzung gewesen. Zu wenig nachvollziehbar und intransparent.
Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Verfassungsorgan. Auch deshalb ist sie nun so infrage gestellt. Ziel ihrer Beratungen ist „die Abstimmung gemeinsamer Positionen der Länder untereinander beziehungsweise gegenüber dem Bund in wichtigen politischen Fragen außerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens“.
Wenn Gemeinsamkeit besser gelänge, wenn die tagelange Exegese der zuvor mühsam gefassten Beschlüsse aufhörte und es eine Linie, gemeinsame Positionen gäbe, würde Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, mit Blick auf den von der MPK gefassten und dann wieder kassierten Beschluss zur Osterruhe nicht sagen: „Die Politik hatte da ihren eigenen AstraZeneca-Moment.“Weil es aber zu selten gelingt, sagt er: „Mit dieser MPK ist sehr viel Vertrauen kaputt gegangen.“Der Kommunikationsexperte sieht das Land nach dieser Woche am wohl kritischsten Punkt der Krise angelangt. „Ich bin sehr unsicher, wo das alles hinführen soll.“Vertrauen sei die wichtigste Ressource der Politik. Sie speise sich aus der Qualität der Entscheidungen und der Einbindung der Bevölkerung in diese. Sprich: Die Beschlüsse müssen professionell und gut erklärt werden. Das ist erneut nicht gelungen.
Im Gegenteil, betont Novy: „Da ist zuletzt total viel falsch gelaufen.“Dabei lehnt er die MPK gar nicht grundsätzlich als Organ der Krisenpolitik ab. Diese habe durchaus ihre vorteilhafte Berechtigung, weil man in ihr gemeinsame Leitplanken zur Eindämmung des Virus ziehen könne. Aber nach dieser Nachtsitzung konstatiert Novy der Runde einen „Ermüdungsbruch“.
Novy plädiert für das weitere Navigieren
nach dieser Woche umso nachdrücklicher für eine „bessere Einbindung“des Bundestages und der Landtage. Das ist kein neuer, aber umso relevanterer Kritikpunkt an der MPK. „Das Vorbeiregieren an den Parlamenten – verfassungsrechtlich zwar legitimiert, demokratiepolitisch aber schwierig – wird sich nicht aufrechterhalten lassen“, sagt Novy. Nicht, wenn man bessere Akzeptanz für die nächsten notwendig werdenden Krisenentscheidungen haben wolle. Und Vertrauen zurückgewinnen wolle.
Auch die Rolle von Bundeskanzlerin
Merkel sieht Novy zunehmend kritisch. In der jetzigen Krisensituation werde ihr Autoritätsverlust deutlich. Sie ist nicht mehr Parteivorsitzende, ihre Kanzlerschaft endet sicher. Novy: „Im Prinzip kann ihr alles egal sein, was nicht ihrer Vorstellung der Pandemiebekämpfung entspricht. Das kann dann auch abgehoben wirken.“
Dabei liegt der Kanzlerin das Krisenformat eigentlich. Nicht nur in Brüssel hat sie das in all den Jahren oft bewiesen. Verbesserungsvorschläge für die MPK gibt es jedenfalls viele: morgens (ausgeruht) anfangen, weniger Infos durchstechen, weniger Candy Crush spielen, rechtzeitiger die Expertise der Beamten einholen, die Schlussrunde öffentlich tagen lassen. Egal, was geändert wird, betont Novy, bewusst muss man sich sein: „In dieser existenziellen Krise gelten ganz andere Maßstäbe zur Legitimierung der Politik.“