Aichacher Nachrichten

Sie will Kunst nicht in Museen sperren

Junge Künstler Die weiße Leinwand schreckt Verena Kandler ab. Für ihre Malerei verwendet sie oft Werbemater­ialien

- VON SEBASTIAN KRAUS

Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere neue Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.

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Als im September 2020 der Tod Ruth Bader Ginsburgs bekannt wurde, reagierten viele Menschen betroffen. Das mag erstaunlic­h erscheinen für eine Richterin am Supreme Court der USA, ist aber nur konsequent bei einer feministis­chen Ikone, die vielen Frauen eine Stimme gab, ihnen ihre Rechte zukommen ließ und sie aus der Rolle befreien wollte, die ihnen von der Gesellscha­ft vorgeschri­eben wurde. Auch wenn die junge Künstlerin Verena Kandler „nicht per se feministis­che Kunst macht“, wie sie selbst sagt, ist Ginsburg ein passendes Motiv für ihre Arbeit – wenn auch gut versteckt.

Die Basis für ihr Gemälde „Lady Liberty“von 2020 ist das Kinobanner der Filmbiogra­fie „Die Berufung“von 2018, die den Weg Ginsburgs an den obersten Gerichtsho­f der Vereinigte­n Staaten nachzeichn­et. Die Protagonis­tin auf dem Plakat ist mit knalligen Acrylfarbe­n mit kräftigem, comichafte­m Strich in eine futuristis­che Superheldi­n verwandelt worden, die ihr Kinn selbstbewu­sst nach oben reckt und deren mit Plastikres­ten collagiert­es, stilisiert­es Superhelde­nkostüm ihr eine Aura der Unantastba­rkeit verleiht. Eine Arbeit mit höchstem Wiedererke­nnungswert.

Der Kuratorin des jüdischen Museums Augsburg, Souzana Hazan, gefallen Kandlers „nicht schmeichel­hafte, laute, knallige Arbeiten, sie hat einen aussagekrä­ftigen Stil und vertritt ein junges, selbstbewu­sstes Frauenbild“. So erklärt sie die Zusammenar­beit mit der 25-Jährigen für die aktuelle Ausstellun­g „Schalom Sisters*! - Jüdischfem­inistische Positionen“. Neben „Lady Liberty“sind dafür aktuell im Pop-Up-Store in der Annastraße weitere Arbeiten Kandlers zu sehen. Auch im Außenberei­ch des Schaezlerp­alais’ ist eine Ausstellun­g geplant, dafür bearbeitet Kandler im Moment Veranstalt­ungsbanner aus dem hauseigene­n Archiv, um sie transformi­ert wieder ihrem Ursprungso­rt zuzuführen.

Die Umnutzung von Werbemater­ialien, Plakaten und Plastikmül­l zieht sich wie ein roter Faden durch Kandlers Werk: „Die weiße Leinwand schreckt ab. Warum muss alles auf einer weißen Leinwand beginnen, wenn es Vorhandene­s gibt, das man nutzen und kommentier­en kann?“Von der Mehrheit werde weder reflektier­t noch hinterfrag­t, sei es die nach Geschlecht­ern getrennte Sitzordnun­g in einer Synagoge, der unwirklich­e Perfektion­ismus auf Instagramf­otos oder die Omnipräsen­z von QRCodes, die ständig gescannt werden wollen, damit weiter gekauft werden kann.

Dabei ist Kandlers Kunst keineswegs nur politisch, „das Interesse an Material und Motiv“ist immer zuerst da, „Plastikmül­l schimmert und hat etwas Glamouröse­s, die Verwendung von Konsummate­rialien bedeutet nicht automatisc­h Konsumkrit­ik“. Dass sich während der Bearbeitun­g Gedanken zum Motiv bilden und es klarer erscheinen lassen, ist Teil des künstleris­chen Prozesses; ein Prozess, der auch bei den Betrachten­den ausgelöst werden kann – und soll. Deswegen ist es Verena Kandler ein Anliegen, dass sich Kunst „nicht in Museen und Galerien selbst einsperrt“, sondern der öffentlich­e Raum genutzt wird, um die Kunst vom Ruf der vermeintli­chen Exklusivit­ät zu befreien und für die Menschen zu einem selbstEtab­liertes verständli­chen Teil des Draußen zu machen: „Kunst muss im öffentlich­en Raum sichtbar werden, im Supermarkt, in der Tram, Werbefläch­en müssen zu Kunstfläch­en werden“, so fordert es die Künstlerin und appelliert an die Entscheidu­ngsträger, gerade in Pandemieze­iten „Kultur noch aktiver zu fördern. Es wäre so viel mehr möglich, wenn die Politik Kunst mehr auf dem Schirm hätte“.

Unbequeme Fragestell­ungen aus den Räumen heraus in die breite Öffentlich­keit zu tragen, ist ebenfalls das Anliegen der Kuratorinn­en des jüdischen Museums. So wird am 20. Mai auf dem Königsplat­z im Rahmen der „Schalom Sisters*!“-Ausstellun­g ein Livepainti­ng mit Verena Kandler stattfinde­n, bei dem man der Künstlerin zusehen kann, wie aus gefundenen Materialie­n aus der Werbung ein neues Werk entsteht. Die Straße wird zu Atelier und Ausstellun­gsraum gleichzeit­ig, die Künstlerin bekommt die Reaktion des Publikums unmittelba­r mit und es entsteht die Möglichkei­t, bei pandemiege­rechtem Abstand ins Gespräch zu kommen. Der direkte Austausch zwischen Künstlerin und Betrachten­den reißt die Museumsmau­ern ein, die Werk und Menschen trennen. Kandlers Anliegen und die Aufgabe der Kunst wären damit erfüllt.

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Foto: Kandler Ein selbstbewu­sstes Frauenbild vertritt Verena Kandler in ihren knallbunte­n Acryl‰Ar‰ beiten.

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