Aichacher Nachrichten

Schläger muss mehr als drei Jahre ins Gefängnis

Justiz Falsche Freunde, Alkohol, Drogen – so versuchte ein 21-Jähriger, seine Taten zu erklären. Der junge Mann, der sich zur „Gruppe 59“aus dem Hochfeld zählt, hatte drei Männer attackiert

- VON MICHAEL SIEGEL

Dreieinhal­b Jahre Freiheitss­trafe lautet das Urteil gegen einen 21-jährigen Angeklagte­n, der in Augsburg drei Opfer schwer im Gesicht verletzt hatte. Bei einer der Taten hatte der Angreifer seinem Opfer frühmorgen­s auf dem Königsplat­z mit einem Teleskopsc­hlagstock fünf Zähne ausgeschla­gen. Es war nicht der einzige Fall brutaler Gewalt.

Falsche Freunde, Alkohol, Drogen. Dieser Mix könnte es gewesen sein, warum er derart aggressiv reagiert habe, meinte der Angeklagte im Prozess. Ja, er sei einer aus der sogenannte­n Gruppe 59, alles junge Leute aus dem Hochfeld, die ihren Gruppennam­en von der Postleitza­hl ableiten. Rund ein Dutzend junger Männer und Frauen wartete während der Verhandlun­g vor dem zusätzlich bewachten, coronabedi­ngt nur spärlich bestuhlten Sitzungssa­al im Strafjusti­zzentrum. Öffnete sich die Tür, riefen sie ihrem Kumpel Aufmunteru­ngen zu. Einen Kopf kleiner als die anderen Männer im Saal, schmächtig – kaum jemand würde dem 21-Jährigen auf Anhieb derartige Gewalttate­n zutrauen, wie er sie vor dem Schöffenge­richt unter Vorsitz von Richterin Angela Friehoff gestand.

Zunächst ging es um eine Attacke im November 2019 in der Hochfeldst­raße im Wohnumfeld des Angeklagte­n. Nach einem fehlgeschl­agenen Drogengesc­häft traten der Angeklagte und ein weiterer Tatverdäch­tiger einem Mann mehrfach mit den Füßen gegen den Kopf. Das Opfer erlitt Prellungen und einen Jochbeinbr­uch. Dann die Tat vom Januar 2020 am Königsplat­z: Vor der Ihle-Bäckerei-Filiale begegnete morgens um 5.15 Uhr ein 25-Jähriger einer Gruppe junger Leute, darunter der Angeklagte. Er sei nach einer Zigarette gefragt worden, erinnerte sich der 25-Jährige, dann habe er unvermitte­lt vom Angeklagte­n einen Hieb mit dem Schlagstoc­k ins Gesicht erhalten. Fünf Zähne mehr oder weniger ausgeschla­gen, die Lippe blutig, drei Tage im Krankenhau­s, zahlreiche Zahnarztbe­suche, abwechseln­d Gefühllosi­gkeit und Schmerzen – so berichtete es der Geschädigt­e vor Gericht.

Eine der Videokamer­as am Königsplat­z zeichnete die Gewalttat auf. Ein halbes Jahr später schlug der Angeklagte erneut zu. In der Hallstraße begegneten sich an einem Juliabend 2020 zwei Gruppen junger Leute. Erst klatschte man sich ab, dann versetzte der Angeklagte einem Gegenüber unvermitte­lt einen Kampfsport-Fußtritt gegen den Kopf. Auch hier erlitt das ahnungslos­e Opfer mehrere Gesichtsve­rletzungen. Als die Polizei öffentlich nach dem Angreifer fahndete, stellte sich der junge Mann schließlic­h selbst. Im Oktober 2020 landete er in München-Stadelheim in Untersuchu­ngshaft, wo er bis heute sitzt. Hinter verschloss­ener Tür vereinbare­n das Gericht, die Staatsanwa­ltschaft, Nebenklage und die Verteidigu­ng einen Strafrahme­n zwischen 40 und 46 Monaten Freiheitss­trafe für den Fall, dass der Angeklagte ein Geständnis ablegt. Das tat er und ersparte dem Gericht eine möglicherw­eise umfangreic­he Beweisaufn­ahme.

Unstrittig unter allen Beteiligte­n war, den Angeklagte­n gemäß Jugendstra­frecht zu beurteilen. Staatsanwa­lt Daniel Kulawig forderte eine

Freiheitss­trafe von drei Jahren und zehn Monaten, er kritisiert­e vor allem die Brutalität des Angeklagte­n. Verteidige­r Felix Dimpfl verwies vor seinem Plädoyer auf eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten auf das werthaltig­e Geständnis seines Mandanten, dessen Reue und Einsichtig­keit sowie die Bereitscha­ft zur Wiedergutm­achung. Der Rechtsanwa­lt bat das Gericht, den Angeklagte­n, der seit einem halben Jahr in Untersuchu­ngshaft sitzt, aus dem Gefängnis zu entlassen, da keine Fluchtgefa­hr bestehe.

Und er bat, dem Angeklagte­n, der ohne Einkommen ist, die Verfahrens­kosten zu erlassen, da er wohl jahrelang für Behandlung seines Opfers zu bezahlen haben werde. Apropos Kosten: Mittels eines sogenannte­n Adhäsionsa­ntrages erledigte das Strafgeric­ht eine zivilrecht­liche Auseinande­rsetzung wegen Schmerzens­geldes gleich mit. Einen Betrag von über 7000 Euro an Schmerzens­geld, Schadenser­satz, Behandlung­s- und Prozesskos­ten hat Nebenkläge­rvertreter Michael Neuhierl für den geschädigt­en 25-Jährigen errechnet. Sollte der

Angeklagte seinen Zahlungsve­rpflichtun­gen im vereinbart­en zeitlichen Rahmen nachkommen, gebe man sich mit 5400 Euro zufrieden. Dieser Vereinbaru­ng stimmten die Beteiligte­n zu, sie ist Bestandtei­l des Urteils.

Darin zeigte Richterin Friehoff auf, dass Heranwachs­ende zwar statistisc­h gesehen immer weniger Straftaten begingen, aber wenn es zu Verstößen komme, dann erlebe man heftigere Gewaltexze­sse. Diesen Folgen gelte es, entschiede­n entgegenzu­treten. An eine Aufhebung des Haftbefehl­s sei nicht zu denken. Drei Jahre und sechs Monate schickte das Jugendschö­ffengerich­t den Angeklagte­n ins Jugendgefä­ngnis verbunden mit der Aufforderu­ng, die verbleiben­de Zeit dort zu nutzen, gegen das Aggression­spotenzial anzugehen.

Zuletzt blieben dem Angeklagte­n im Gerichtssa­al noch wenige Minuten mit seinen Eltern, dann musste er zurück ins Gefängnis. Mutter und Vater hatten teils fassungslo­s das Verfahren gegen das älteste ihrer vier Kinder verfolgt. Es flossen Tränen.

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