Bobingerin in Betrug von Senioren verwickelt
Kriminelle, die sich am Telefon als Polizisten ausgeben, ergaunern jährlich von Senioren Millionenbeträge. Ein Prozess in Augsburg zeigt, wie die Banden arbeiten und wie eine Frau aus der Region Teil davon wurde
Im Februar 2019 macht die junge Türkin mit Freundinnen einen viertägigen Skiurlaub in ihrer Heimat. Mehr kann sich die bald 30-Jährige, die in Bobingen in einem Supermarkt arbeitet und noch bei ihren Eltern wohnt, nicht leisten. „Abends haben wir in der Disco getanzt, getrunken und Spaß gehabt“, erzählt die zierliche Angeklagte zwei Jahre später dem Gericht.
Die Frauen fallen auf, werden von Männern eingeladen. „Einige sprachen erstaunlich gut Deutsch. Und sie haben extrem angegeben.“Die Türken prahlen mit ihrem Reichtum, fahren angeblich einen Porsche oder Lamborghini. Ihnen scheinen Immobilien und Hotels zu gehören – nichts davon ist falsch, wird sich später herausstellen.
Einer der Männer ist Faris D. Zwei Monate später reist die Kassiererin erneut in die Türkei. Sie hat sich in den Mann verknallt. Er verwöhnt sie. In Izmir richtet der Liebhaber ihr ein Kosmetikstudio ein, ihr Bruder bekommt von ihm Geld geliehen, um private Schulden zurückzuzahlen. Die Methode des Umgarnens, Anfütterns und Abhängigmachens funktioniert. Zwei Monate später arbeitet Aische, wie jetzt ihr Tarnname lautet, für die Bande. Ihre Mitglieder gehören zum Saado-Clan, einer türkisch-libanesischen Großfamilie, die im türkischen Badeort Izmir ein Callcenter betreibt. Von hier aus werden die Betrügereien geschickt eingefädelt. Die Täter geben sich am Telefon als Polizisten aus. Sie warnen vor einer Einbrecherbande, die noch nicht gefasst sei, bieten an, Geld und Wertsachen, ob zu Hause oder bei der Bank, besser der Polizei zu übergeben.
„Du machst für mich Geldabholungen“, soll Faris die junge Frau aus Bobingen angewiesen haben. Zutreffender ist, sie wird Anlaufstelle für die Geldkuriere, die bei den getäuschten Opfern die Beute abholen und bei ihr abliefern. In den folgenden Monaten werden ihr Geldbeträge von 17.000, aber auch mehr als 200.000 Euro übergeben. Die Abläufe ähneln sich, erinnern an Agentenfilme. Aische wird telefonisch angewiesen, nach Augsburg-Göggingen zu fahren. In der Fabrikstraße stellt sie sich zur verabredeten Zeit vor Hausnummer 5 an den Straßenrand. Ein Auto hält, der Fahrer reicht ihr wortlos einen Beutel durch das geöffnete Seitenfenster. Mal ist nur Geld drin, gelegentlich enthält er auch Schmuck und Goldbarren. Das Gold fährt Aische zu einem Juwelier nach Wuppertal, der für die Bande arbeitet.
Am 11. Januar 2020 hat die Türkin einen Flug nach Izmir gebucht. Was sie nicht ahnt, die Kripo ist ihr bereits auf den Fersen. An ihrem Auto klebt ein GPS-Sender, Fahnder belauschen ihre Telefonate. Frühmorgens wird sie am Münchner Flughafen von der Polizei festgenommen. Sie hat 12.000 Euro Bargeld bei sich und, im BH versteckt, einen Goldbarren von 100 Gramm.
Noch am selben Tag packt die Frau aus. In einer mehrstündigen Vernehmung gesteht sie, mehr als eine halbe Million Euro an Geld und Gold eingenommen und in die Türkei weitergeleitet zu haben. Und sie kooperiert mit der Polizei, liefert Namen von Bandenmitgliedern, macht Angaben zu noch unbekannten Straftaten. Ihre Anwälte Wilhelm Seitz und Martina Sulzberger forderten im Prozess, ihre Mandantin sei deshalb milder zu bestrafen.
Die heute 32 Jahre alte Türkin aus Bobingen muss für fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis. Das Gericht blieb damit zwei Jahre unter dem Strafantrag der Staatsanwältin. Die 9. Strafkammer am Landgericht verurteilte sie wegen neun Beihilfetaten zum bandenmäßigen Betrug. Die Angeklagte sei, wie der Vorsitzende Richter Wolfgang Natale betonte, „in einer hochkriminellen Organisation ein wichtiges Zwischenglied gewesen“. Natale sprach im Urteil auch das Leid der Geschädigten an, die in Augsburg, dem Umland und in Baden-Württemberg wohnen. Viele haben ihre komplette Altersvorsorge verloren. Hinzu kommt das Gefühl von Scham und Angst, niemandem mehr trauen zu können.
Elf Monate nach der Festnahme der Geldbotin am Münchner Flughafen ließ die türkische Polizei das Callcenter in Izmir auffliegen. Faris D., seine beiden Brüder und weitere Mitglieder der Bande sitzen seither in Untersuchungshaft. Festgenommen wurde in Izmir auch der Bruder der verurteilten Türkin. Er soll mitgeholfen haben, deutsche Rentner hereinzulegen. Der Wert der in der Türkei beschlagnahmten Luxusautos und Immobilien wird auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt.