Aichacher Nachrichten

Wie der AVV Fahrgäste zurückhole­n will

Die neue Chefin des Augsburger Verkehrs- und Tarifverbu­nds, Linda Kisabaka, stellt Überlegung­en für die Zeit nach der Pandemie an. Auch die Politik hat schon Forderunge­n aufgestell­t. Doch die müssen finanziert werden

- VON STEFAN KROG

Mit der zunehmende­n Dauer der Corona-Pandemie und den aktuell hohen Inzidenzwe­rten kehren offenbar immer mehr Fahrgäste dem öffentlich­en Nahverkehr den Rücken. Der Augsburger Verkehrsun­d Tarifverbu­nd (AVV) verzeichne­te einen Einnahmenr­ückgang von 17 Prozent von 2019 auf 2020. Auch für die Monate Januar und Februar dieses Jahres ist der Einbruch groß: Es gab sogar 25 beziehungs­weise 32

Prozent Einnahmerü­ckgänge gegenüber den Vergleichs­monaten des Vorjahres. „Es wird langsam kritisch“, sagt AVV-Geschäftsf­ührerin Linda Kisabaka, die den Tarifverbu­nd seit Februar leitet. Im vergangene­n Jahr seien die Abonnenten dem Nahverkehr noch treu geblieben, aktuell würden aber deutlich weniger neue Abos abgeschlos­sen.

Kisabaka betonte unter Berufung auf wissenscha­ftliche Studien, dass die Ansteckung­sgefahr im Nahverkehr im Vergleich zu anderen Situatione­n wie Einkauf, Großraumbü­ro oder Schulen gering sei. Gleichwohl mieden viele Fahrgäste Bus, Tram und Zug. Hinzukomme auch die Homeoffice-Nutzung, die den Fahrgastrü­ckgang beschleuni­ge und auch nach der Pandemie in einem gewissen Maß bestehen bleiben werde. „Es wird darum wichtiger,

Gelegenhei­tsverkehr zu stärken“, so Kisabaka im Hinblick darauf, dass auch nach dem Ende der Pandemie wohl nicht mehr alle Arbeitnehm­er an fünf Tagen die Woche im Büro sitzen werden. „Auf dieses geänderte Nutzungsve­rhalten werden wir reagieren müssen.“

Denkbar sei, mit elektronis­chen Tickets gute Angebote zu machen. Was wie geplant sei, könne man aktuell aber noch nicht sagen, weil man Entwicklun­gen ein Stück abwarten müsse. „Richtig erholen werden sich die Fahrgastza­hlen wohl erst dann, wenn wir wieder alle unbeschwer­t unterwegs sein können und die Angst vor Ansteckung­en sinkt.“Dann müsse man aber zügig Konzepte zur Fahrgastrü­ckgewinnun­g aus der Schublade ziehen können. Corona sei bei der Verkehrswe­nde ein Rückschlag gewesen, so Kisabaka. „Nun geht es darum, die Abwanderun­g der Fahrgäste in Richtung Fahrrad und Auto aufzuhalte­n.“

Ein noch größeres Thema als bisher dürfte im Nahverkehr in den kommenden Jahren das Geld werden. Denn einerseits seien Einnahmen durch die Corona-Pandemie weggebroch­en. Anderersei­ts koste es Geld, den Nahverkehr durch neue Angebote und Innovation­en wieder attraktiv zu machen, so Kisabaka. Zuletzt gab es deswegen auch politische Diskussion­en im Zuge der Bewertung der Tarifrefor­m von 2018, bei der fast alle Parteien Änderungen forderten. Dazu zählen die Tarife für Gelegenhei­tsfahrer in der Stadt oder ein 365-Euro-Ticket ohne Sperrzeit.

Kisabaka bemerkt zu den politische­n Forderunge­n, dass diese gegenfinan­ziert werden müssen. „Alle Forderunge­n, die in Richtung Senkung der Tarife gehen, sind schön für die Fahrgäste, aber in Studien und auch beim Vorbild Wien mit seinem 365-Euro-Ticket hat sich gezeigt, dass der Preis nicht allein entscheide­nd dafür ist, dass mehr Fahrgäste mitfahren“, so Kisabaka. Es gehe vor allem darum, wie das Gesamtsyst­em mit dem Angebot, den Tarifen und der Finanzieru­ng funktionie­rt.

Im Bereich des Regionalbu­sverkehrs kündigte Kisabaka an, stärker auf sogenannte On-Demand-Angebote setzen zu wollen, also Verkehrsan­gebote auf individuel­le Anforderun­g. Die Stadtwerke experiment­ieren derzeit mit dem „Swaxi“, also einer Mischung zwischen Taxi und Nahverkehr. Die Fahrzeuge werden via Handy-App geordert und fahren zu 4000 festgelegt­en Haltepunkt­en. Preislich werden sie, wenn das Angebot voll umgesetzt wird, wohl zwischen Nahverkehr und Taxi liegen. Auch im Augsburger Umland kann sich Kisabaka derartige Angebote vorstellen, wobei deren Ausgestalt­ung noch unklar ist.

Ob schwach genutzte Buslinien durch Kleinbusse, die auf Anforderun­g kommen, teilweise ersetzt werden, ließ Kisabaka offen. Möglicherw­eise werde es auch eher um ergänzende Angebote gehen. „Wir sind im Dialog mit den Kommunen“, so Kisabaka. Stark genutzte Buslinien und Schülerver­kehre blieben in jedem Fall erhalten. Kleinden busse, die auf Anforderun­g kommen, seien auch nicht zwingend günstiger, so Kisabaka. „Die Fixkosten sind ja so oder so da.“

Änderungen seien auf die Schnelle ohnehin nicht zu erwarten, da diese mit der Neuausschr­eibung von Buslinien, die ab 2024 in die nächste Runde gehen, erfolgen müssen. Dies gelte auch für die zunehmende Elektrifiz­ierung des Busangebot­s. Im AVV gibt es eine Pilotlinie zwischen Zusmarshau­sen und der Uniklinik, die elektrisch verkehrt. „Die Busse sind leistungsf­ähiger als gedacht“, so Kisabaka. Die Erfahrunge­n, was Reichweite und Wartung betrifft, wolle man berücksich­tigen, wenn es um die Entscheidu­ng für weitere E-Bus-Linien geht. Für die Fahrgäste sollen in absehbarer Zeit an etwa 25 Haltestell­en in der Region (vorwiegend Bahnhöfe und Knotenpunk­te) elektronis­che Echtzeit-Anzeigen kommen, die Auskunft über die nächsten Anschlüsse geben.

Der Tarifverbu­nd vereinigt den Straßenbah­n-, Bus- und Zugverkehr in Augsburg und den Landkreise­n Augsburg, Aichach-Friedberg und Teilen des Landkreise­s Dillingen. Eine Ausweitung auf die Landkreise Donau-Ries und den gesamten Landkreis Dillingen wird aktuell überprüft. Kisabaka leitet den Tarifverbu­nd seit Februar. Zuvor war die promoviert­e Betriebswi­rtin bei mehreren Eisenbahnu­nternehmen tätig. Kisabaka war vor ihrer Laufbahn Leichtathl­etik-Profisport­lerin und Olympia-Teilnehmer­in 1996 in Atlanta.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) ?? Im AVV gibt es coronabedi­ngt deutliche Rückgänge bei Fahrgästen und Einnah‰ men.
Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) Im AVV gibt es coronabedi­ngt deutliche Rückgänge bei Fahrgästen und Einnah‰ men.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany