Macht er aus Bild das deutsche Fox News?
Der Axel-Springer-Konzern möchte noch vor der Bundestagswahl einen TV-Sender unter der Marke „Bild“starten. Was dahintersteckt und welche Rolle der umstrittene Chefredakteur Julian Reichelt dabei spielt
Berlin 1965 haben Westdeutschlands Parteien „Angst vor einem einzelnen Mann“, schreibt damals das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Deutschlands mächtigster Verleger, Axel Springer, plane gemeinsam mit den etwa 500 Tageszeitungsverlegern das ZDF in Mainz zu übernehmen. Soweit kam es dann nicht. Das Fernsehen aber faszinierte den Zeitungskönig Springer, der seine BildZeitung als „gedruckte Antwort auf das Fernsehen“verstand, schon früh und sein Leben lang.
Das Fernsehgeschäft gestaltete sich jedoch – unter anderem aus kartellrechtlichen Gründen – stets als schwierig. Nun plant der AxelSpringer-Konzern mit einem frei empfangbaren Fernsehsender unter der Marke „Bild“, und der Start soll möglichst noch vor der Bundestagswahl sein. Für Axel Cäsar Springer, der 1985 starb, wäre damit vermutlich ein Traum in Erfüllung gegangen.
Andere befürchten Schlimmes, ein deutsches Fox News – also einen Kampagnen- und Krawallsender. Geht man von den Bild-Schlagzeilen der vergangenen Monate aus, wäre es ein Boulevardfernsehen, wie es Deutschland so noch nicht gesehen hat. Denn es würde sich nicht auf Promi- oder Verbrechensberichterstattung beschränken, sondern zentral mit Politik beschäftigen. Und das stark zugespitzt oder polemisch.
Ein Bild-Aufmacher lautete kürzlich etwa: „Merkels Einsperr-Gesetz“. Und Chefredakteur Julian Reichelt kommentierte zum Infektionsschutzgesetz: Die demokratisch gewählte Regierung eines freiheitsliebenden Landes habe beschlossen,
„dass sie die Bürger einsperren kann“. Seit 2018, seitdem Reichelt alleiniger Chef auch der gedruckten Bild wurde, reihte sich eine Kampagne an die nächste. Scharf im Ton und häufig journalistisch höchst unsauber. Die Zahl der Rügen des Presserates zeugt davon.
Handwerklich und medienethisch überaus fragwürdig sprangen Reichelt und seine Redaktion auch mit dem Virologen Christian Drosten um – was sogar Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, öffentlich einen „dummen Fehler“nannte. Döpfner hielt gleichwohl an Reichelt fest – selbst als sich dieser schweren Vorwürfen, darunter Machtmissbrauch, gegenüber sah und einem sogenannten Compliance-Verfahren stellen musste, zeitweilig freigestellt wurde und danach um Entschuldigung bat.
Für Beobachter ist es ein Rätsel, warum Döpfner ihn gewähren ließ und lässt. Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Köln und Berlin – ein Think Tank –, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Dass der Verlag an ihm festhielt, mag oberflächlich betrachtet – weil es den Erwartungen der Branche zuwiderlief – als Sieg durchgehen. Aber es gehört schon viel Fantasie dazu, die Position Reichelts als gestärkt zu bezeichnen.“Vor gut einem Monat hieß es in einer Springer-Presseerklärung: Der Vorstand sei zum Ergebnis gekommen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, Reichelt aufgrund der festgestellten, strafrechtlich nicht relevanten Fehler in seiner Amts- und Personalführung von seinem Posten als Chefredakteur abzuberufen. In die Gesamtbewertung sei auch „die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen“.
Zugleich wurde ihm Alexandra Würzbach – Chefredakteurin der Bild am Sonntag – als gleichberechtigte Vorsitzende aller Bild-Chefredaktionen an die Seite gestellt. Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass beide aufgrund einer Umstrukturierung die Bild-Geschäftsführung, in der sie ebenfalls waren, verlassen – damit sie sich besser auf ihre Aufgaben als Chefredakteure konzentrieren könnten. Reichelt solle sich insbesondere den Bewegtbild-Plänen von Bild widmen, in die Springer massiv investiert. Neben ihm soll vor allem Claus Strunz, einst Chefredakteur der Bild am Sonntag, als Programmchef des neuen Bild-Senders die Strategie vorantreiben.
Wie das TV-Programm aussehen könnte, lässt „Bild Live“erahnen, das im Internet übertragen wird. Dort berichtet der stellvertretende Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer teils stundenlang von den nichtöffentlichen Ministerpräsidentenkonferenzen – und geht in Interviews Spitzenpolitiker hart an. Oft mit hohem Erkenntniswert. Es wird aber auch die Doku „Die peinlichsten Sex-Geschichten der Welt“gezeigt. Vor allem Strunz, der in der Vergangenheit als „Rechtspopulist“kritisiert wurde, dürfte mit seinen Kommentaren provozieren („Merz muss in die FDP!“) und das Programm prägen. Entsteht hier also ein deutsches Fox News?
„Strategisch macht es – mit Blick auf Relevanz wie Einnahmen – sicher Sinn, die Marke weiter in den Bewegbild-Markt zu verlängern“, erklärt Leonard Novy. „Aber die Konkurrenz ist groß. Eine potenziell aussichtsreiche Nische wäre in der Tat ein deutsches Fox News. Folgt man diesem Vorbild, wäre damit aber eine selbst für SpringerVerhältnisse ungeahnte ideologische Festlegung verbunden.“
Reichelt selbst sagte, das BildTV-Programm solle Menschen nicht belehren. Ein Seitenhieb auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der von Bild immer wieder scharf attackiert wird wegen seiner angeblich links-grünen Agenda. Ernsthafte Konkurrenz wird ARD und ZDF durch Springers Bewegtbild-Strategie insgesamt kaum entstehen – außer in der Live-Berichterstattung. Dort hat „Bild Live“schon bewiesen, dass es deutlich schneller auf Sendung sein kann – zuletzt etwa bei der Entscheidung des CDU-Bundesvorstands zugunsten Armin Laschets als Kanzlerkandidaten, die spätnachts fiel.
Wann Bild mit seinem Free-TVSender startet, ist unklar. „Ein Lizenzantrag liegt der Medienanstalt Berlin-Brandenburg noch nicht vor, wurde uns aber angekündigt“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Üblicherweise dauere so ein Lizenzverfahren etwa zwei bis drei Monate.