„70 – das ist doch nur eine Zahl“
Auch die sonst weltweit konzertierende Pianistin Janina Fialkowska ist durch die Pandemie in die eigenen vier Wände verbannt. Doch gibt es da kleine Schlupflöcher. Zudem eine Buchveröffentlichung und einen runden Geburtstag
Viel anderes bleibt ja nicht in dieser Pandemie, als es sich zu Hause einzurichten, wenn einem das eigentliche Ziel der Arbeit, der Auftritt vor Publikum, nicht gestattet ist. Und so tut auch Janina Fialkowska, die international gefragte Klaviersolistin, seit nunmehr einem Jahr eben das, was wohl alle Musiker tun, seitdem ihnen die Konzerte weggebrochen sind: Neue Werke sichten und einstudieren, in ihrem Falle Schuberts große B-Dur-Sonate und einige kürzere Stücke von Brahms, Weber, Sibelius. Dafür, sagt die seit einigen Jahren mit ihrem Mann Harry Oesterle in Ottmarshausen bei Augsburg lebende kanadische Pianistin, dafür ist jetzt jegliche Zeit vorhanden. Und diese Chance, richtig tief eintauchen zu können in die Materie, macht auch den Unterschied, den Corona bedingt. Denn täglich üben und Noten studieren, das bestimmt auch in normalen Zeiten den Berufsalltag einer Pianistin, nur dann eben stetig unterbrochen durch Auftritte und Konzertreisen.
Selbstverständlich kommt es auch Janina Fialkowska schwer an, ihre zahlreichen Engagements abgesagt zu sehen. Das Finanzielle ist dabei die eine Seite – nun heißt es, an die Rücklagen zu gehen. Die andere Seite ist der ausbleibende Kontakt mit dem Publikum, beileibe nicht nur ein hohler Künstlermythos. „Für ein Gegenüber zu spielen, ist etwas völlig anderes, als nur für sich selbst Musik zu machen“, sagt die vor allem für ihre Chopin-Interpretationen gefeierte Pianistin. Und verrät, wie sie sich im Lockdown
aus dem Dilemma hilft – indem sie, inzwischen doppelt geimpft, immer mal einen Bekannten zu sich ins geräumige Wohnzimmer lädt und dann am Flügel ein kompaktes Programm zum Besten gibt. „Auch wenn es sich nur um eine Person handelt, für mich ist die Atmosphäre dann ganz anders, eben fast so wie im richtigen Konzert.“Neulich kam sogar die Nachbarin rüber und fungierte als Statthalterin des gewohnten Auditoriums.
Janina Fialkowska hat Erfahrung darin, längere Phasen ohne große öffentliche Auftritte, ja selbst ohne ihr Instrument zu bewältigen. Zweimal hatte eine Krebserkrankung sie aus der gewohnten Bahn geworfen, beide Male hat sie sich auf die großen Konzertpodien zurückgekämpft. Insofern kann sie mit dem durch die Pandemie erzwungenen Rückzug in die privaten vier Wände umgehen. Obwohl ihr eine Sache zunehmend zu schaffen macht: Nach wie vor und mit jedem weiteren Tag nicht zu wissen, wann man denn nun tatsächlich wieder am großen Konzertflügel sitzen wird. Und auch, ob danach das gewohnte kontinuierliche Konzertieren neu in Gang kommen wird. Gut, für Anfang Juli ist ein Klavierabend in Rostock angesetzt, es wäre das erste reguläre Konzert seit letztem September. Aber Corona hat gezeigt, dass Pläne sehr rasch wieder unter den Tisch fallen können. Und so stehen zumindest gefühlte Fragezeidistanzgerecht chen derzeit auch noch hinter weiteren bereits terminierten Konzerten. Geht hingegen alles nach Plan, gibt es am 25. Juli auch in Augsburg ein Wiederhören mit der Pianistin, im Fronhof mit Beethovens 4. Klavierkonzert.
Ein weiteres Datum dürfte dagegen kaum mehr ins Wanken geraten. Am 30. September erscheint Janina Fialkowskas Autobiografie, ein viele Jahre hindurch verfolgtes Vorhaben, das nun an sein Ziel gelangt. Der Gedanke, Ereignisse aus ihrem Leben und ihrer Karriere schriftlich festzuhalten, entstand während ihrer ersten existenzbedrohenden Erkrankung, als vor mehr als zwanzig Jahren eine Geschwulst in der Schulter ihr den Einsatz des linken Arms unmöglich machte. Doch auch, wenn die Erkrankung eine Art roten Faden bildet, sind die Aufzeichnungen doch keineswegs in düsteren Farben gehalten. Eher im Gegenteil. Janina Fialkowska erinnert sich an ihre pianistischen Anfänge, unvergessene Konzerte, namhafte musikalische Wegbegleiter und natürlich an den großen Förderer ihrer Karriere, den legendären Pianisten Artur Rubinstein. „Vieles in meinem Buch ist anekdotisch“– so auch die Szene, wie sie als junge Frau in Paris bei den Rubinsteins in deren vornehmer Wohnung zu Gast ist, die Klingel ertönt und in der Tür die nebenan wohnende Grace Kelly, Fürstin von Monaco, steht und fragt, ob man ihr – Adel verpflichtet – nicht mit einem Döschen Kaviar aus einer akuten Verlegenheit helfen könne.
„A Note in Time“, wie der Titel der Autobiografie lautet, wird Ende
September auf Englisch in London erscheinen, wo Janina Fialkowska seit langem eine treue Fangemeinde hat. Natürlich würde sie ihr Buch, dessen Chronologie bis zu ihrem Comeback 2004 im schwäbischen Irsee reicht, gerne auch in deutscher Sprache vorliegen sehen. Doch dafür müsste sich erst einmal ein Übersetzer finden lassen.
Und noch ein Datum sticht hervor in diesem Jahr, es ist der 7. Mai, der heutige Tag, ihr 70. Geburtstag. „Ach“, winkt sie ab, „das ist doch nur eine Zahl.“Rückzugsgedanken vom Konzertleben verbindet sie damit jedenfalls nicht, warum auch: „Es gibt gerade bei uns Pianisten so viele Beispiele, dass man auch im Alter noch überzeugen kann.“Und sie meint das durchaus auch in physischer Hinsicht, blickt auf ihre Hände, wackelt mit den Fingern und sagt: „Die sind noch genauso beweglich wie vor 30 Jahren.“Wie machen die Pianisten das? Bestimmt, sinniert Janina Fialkowska, hat es damit zu tun, dass man beim Ausüben der Profession mit aufrechtem Rücken sitzt und dadurch der Atem ruhig zu fließen vermag. Einen Ratschlag an die jüngeren Kollegeinnen und Kollegen mag sie sich in diesem Zusammenhang nicht verkneifen: Spart euch all die theatralischen Bewegungen vor und über den Tasten! „Die Musik braucht das nicht.“
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Radio Anlässlich des 70. Geburtstags bringt Bayern Klassik zwei Sendungen mit Janina Fialkowska: Am 7. Mai eine Folge der „Klassik Stars“(18.05 Uhr); am 8. Mai spricht die Pianistin über „Mei ne Musik“(11.05 Uhr).