Das knallharte Geschäft mit Tierbabys
Weil die Nachfrage in Pandemiezeiten steigt, werden Hunde illegal nach Deutschland gebracht. Für Aufsehen sorgte ein Fall aus Nürnberg, wo 101 Welpen in einem Kleintransporter entdeckt wurden. Wie es ihnen heute geht und welche Kehrseiten der Boom hat
Nürnberg Die Hunde sind jung, etwa sechs bis elf Wochen alt. Einige kommen an die Gitter ihrer Boxen. Wenn man die Türen öffnet, schnüffeln sie neugierig herum. Andere kauern sich in die Ecke der Käfige, wirken eingeschüchtert. Auf dem Boden liegt Einstreumaterial, das ihre Ausscheidungen aufnehmen soll. Denn oft ist es so, dass je länger so eine Fahrt dauert, desto mehr riecht es. So erzählt es Daniela Rickert, die Leiterin des Nürnberger Veterinäramtes. Sie war schon einige Male dabei, als die Polizei einen derartigen Transport aufgehalten hat. Die Bilder ähneln sich dann.
Wie Mitte März. Damals stoppten Beamte der Polizeiinspektion Nürnberg-Ost einen Transporter. Wieder einmal. Doch dieses Mal waren selbst sie überrascht. Die Ladung: 101 Hundewelpen, darunter Bernhardiner und Dackel. Sie sollten, ausgestattet mit falsch ausgefüllten Papieren, von Ungarn nach Belgien gebracht werden. Gerade in Pandemiezeiten sind solche Tiertransporte keine Seltenheit. Allein in diesem Jahr wurden nach Angaben des bayerischen Tierschutzverbandes etwa 400 Tiere, die illegal verkauft werden sollten, gerettet. Nach Schätzungen von Polizei und Tierschutzorganisationen hat sich die Zahl der Transporte seit Mitte 2020 verdoppelt.
Es ist kurz vor Mitternacht an einem Samstag, als die 101 Welpen quer durch Europa unterwegs sind. Der Transporter ist damals eines der wenigen Autos auf der Straße, die von der Nürnberger Innenstadt Richtung A3 führt. Und dann immer weiter gen Westen. Im Nordosten der mittelfränkischen Metropole fällt der Transporter einer Streifenbesatzung auf, so erzählt es Polizeisprecher Michael Petzold. Die Beamten halten das Auto an, kontrollieren Fahrer und Ladung. Zunächst scheint alles in Ordnung, die Welpen sind laut ihren Papieren geimpft und nicht zu jung für eine solche Fahrt. Bei näherem Hinsehen trifft jedoch beides nicht zu. Schnell ist klar: Der Tiertransport ist illegal. Hunde erfüllen erst ab einem Alter von 15 Wochen die seuchenrechtlichen Bedingungen, um legal transportiert zu werden, erklärt der Polizeisprecher. Die Welpen kommen ins Nürnberger Tierheim.
101 Welpen: Der Fall hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Und auch was hinter im steht – der Handel mit Hunden für Privatleute, der immer lukrativer wird.
Wobei es auch illegale Transporte von Nutztieren gibt. Ein Beispiel von Ende April: Da sollten 25 hochträchtige Kühe aus Oberfranken nach Marokko gebracht werden. In Bayern ist das aufgrund der Gesetzesauslegung nicht erlaubt, in Niedersachsen schon. So weit kamen die Tiere allerdings erst gar nicht.
Wie jede Krise hat auch die Corona-Pandmie ihre Begleiterscheinungen. Vor einem Jahr noch war es die große Nachfrage nach Toilettenpapier, es kam zu Hamsterkäufen. Inzwischen ist es die große Nachfrage nach Haustieren, die in Pandemiespürbar gestiegen ist. Die Menschen sind öfter zu Hause, verfügen teilweise – etwa wegen Homeoffice oder Kurzarbeit – über mehr Zeit. Für einige war das der letzte Grund, sich den länger gehegten Traum vom eigenen Hund zu erfüllen.
Diesen Traum hatte auch ein Ehepaar aus Neumarkt in der Oberpfalz, es hatte ihn auch schon Realität werden lassen. Das Paar, beide um die 50, sitzt vor dem Nürnberger Tierheim auf einer steinernen Bank und wartet auf seinen neuen Hund. Aus dem illegalen Tiertransport aus Ungarn stammt der nicht, diese Welpen sind derzeit noch in Quarantäne. Die beiden, die ihre Namen lieber nicht in der Zeitung lesen wollen, wünschen sich einen Spielkameraden für ihren Spitz. Hier sind sie fündig geworden. Im Grunde sei es egal, woher das Hündchen kommt, sagt die Frau.
Die Nachfrage nach vor allem jungen, „niedlichen“Hunden nutzen Tierhändler aus. In der Regel bringen sie die Tiere mit Kleintransportern aus Osteuropa – aus Polen, Kroatien, Tschechien, meistens aber Ungarn – in den Westen. Nach Deutschland, häufiger noch nach Frankreich oder in die Beneluxstaaten. Oft landen diese Hunde jedoch in Tierheimen – wenn die Polizei mal wieder einen illegalen Tiertransport gestoppt hat.
Das Nürnberger Tierheim ist ein Gebäudekomplex im Osten der Stadt. Ab und zu hört man ein Bellen, ansonsten ist es still. Etwa 500 Tiere sind hier untergebracht. Darunter ein Welpe, der gerade über eine Rasenfläche tapst. Seine Pfoten verfangen sich ständig ineinander, kaum vier Wochen alt dürfte er sein. Er gibt eher ein Quieken und Fiepen von sich, statt zu bellen. Ein Rundgang also mit Tanja Schnabel, der Leiterin des Tierheims. Sie spricht schnell, antwortet knapp. Das Thema „illegale Tiertransporte“aber beschäftigt sie sichtlich – seit dem spektakulären Fall der 101 gefundenen Welpen noch mehr als sonst. Medien aus ganz Deutschland meldeten sich bei ihr und erkundigten sich nach dem Zustand und dem Verbleib der Tiere.
Tanja Schnabel, die Haare zum Zopf gebunden, steht jetzt vor einem Zwinger. Wenn sie einem Hund etwas befiehlt, hebt sie mahnend den Finger. Manche Tiere gehorchen ihr schon nach ein paar Tazeiten gen. Und es werden mehr Tiere im Tierheim, immer mehr.
Der Haustierhandel boomt, und das hat Folgen. Neben illegal transportierten Tieren kommen auch die, die ausgesetzt wurden, erst einmal zu Tanja Schnabel oder in andere Einrichtungen. In Bayern verzeichnen die Tierheime einen raschen Zuwachs seit dem vergangenen Jahr. Eine artgerechte Haltung wird so immer schwieriger.
Das Problem wurde erkannt: Die Bundesregierung stellte im Bundeshaushalt 2021 fünf Millionen Euro zur Verbesserung der Situation in Tierheimen und ähnlichen Einrichtungen zur Verfügung. Die „Corona-Tierheimhilfen“sollen Mindereinnahmen durch die PandemieEinschränkungen auffangen, einen Beitrag zum Fortbestehen der durch die Krise erheblich getroffenen Trägervereine leisten und das Tierwohl gewährleisten.
Halten jedoch die Nachfrage nach Haustieren und deren unweigerliche Folgen an, könnte es in den Tierheimen bald eng werden. Zu eng.
Weiter geht der Rundgang mit Tanja Schnabel. In ihrem Tierheim sind noch nicht alle Zwinger besetzt. Manche Hunde bellen wild, wenn man auf sie zugeht, andere drücken ihre Schnauze an die Gitter. Brasco, ein Pitbull Mix, fünf Jahre alt, weißes Fell, hellrosa Ränder um Augen und Schnauze, streckt seinen Kopf nach oben. Seine Rasse wird als gefährlich eingestuft, in Bayern darf er deshalb nicht verkauft werden. Seit März 2019 ist er hier zu Hause.
„Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich der Tierschutzverein ständig vergrößert, entwickelt und verbessert und setzt im Tierschutz hohe Maßstäbe“, sagt Schnabel. Auf den 40000 Quadratmetern leben Katzen, Kaninchen, Ziervögel, vor allem aber Hunde, die meisten in eigenen Zwingern. Zu einigen hat die Tierheimleiterin ein Verhältnis aufgebaut. Einer von ihnen macht nun auf Kommando Sitz. „Fürs Foto“, sagt Tanja Schnabel mit einem leisen Lachen.
Die Welpen aus dem illegalen ungarischen Transport gehorchen ihr noch nicht aufs Wort, dazu sind sie zu kurz da. Vor allem gilt für sie strikte Quarantäne. Der Grund: Tiere aus derartigen Transporten sind oft krank, mit Tollwut oder Parvovirose infiziert, einer hoch ansteckenden und akut verlaufenden Krankheit. Klaustrophobische Enge, aufeinander gestapelte Transportboxen, bis zu fünf Welpen pro Käfig – ein Virus hat es da nicht schwer. Zumal die Tiere häufig nicht geimpft sind, zumindest nicht nach Vorschrift.
Sie seien in vielen Fällen mit Aufputschmitteln vollgepumpt, die sie bei der Übergabe an die neuen Besitzer munter wirken lassen sollen, sagt Anita Hotzelt später am Telefon. Hotzelt ist 2. Vorsitzende des Tierschutzvereins „Fellkinder in Not“aus der Nähe von Würzburg. Der Effekt, sagt sie, sei nach zwei, drei Tagen wieder weg und schlage ins Gegenteil um. Die Händler könnten die Schuld dann den neuen Besitzern zuschieben. Sie kennt so etwas allzu gut. Wie Daniela Rickert, die Leiterin des Nürnberger Veterinäramtes. Sie erklärt, dass es sich eher um Antibiotika handelt, die einer bakteriellen Infektion vorbeugen sollen. Mit unterschiedlichem Erfolg. Wie schlecht die Tiere auf illegalen Transporten versorgt werden, weiß wiederum die Nürnberger Polizei. „Oft sind sie nicht entwurmt, bekommen kaum Essen oder Trinken“, erklärt sie. Und dass mit einer schlechten Hygiene starker Durchfall einhergehe.
Anita Hotzelt, die Tierschützerin, beziffert die Sterberate bei illegalen Transporten auf etwa 30 Prozent. Der Fall der 101 Welpen, die in Nürnberg entdeckt wurden, ist auch damit ein besonderer. Diesmal im positiven Sinne: Ein einziger der 101 Welpen hat nicht überlebt. Im Tierheim werden sie von einem festen Team aus sieben Mitarbeitern versorgt. Diese sind eigens geschult
Zunächst schien alles in Ordnung
Die Welpen werden im Tierheim betreut
und gegen Tollwut geimpft. Niemand außer ihnen darf den Quarantäne-Bereich betreten.
Das Nürnberger Tierheim liegt im Reichswald, einem Kulturwaldgebiet, das sich bis an den Rand der Oberpfalz erstreckt. Bäume umranden das Gelände, Nachbarn gibt es hier nicht. Von der Eingangstür geht es an einer unbesetzten Rezeption vorbei, ein paar Meter weiter stapeln sich Spannbetttücher ohne Knöpfe und ohne Reißverschluss sowie Laken ohne Gummizug. Ihre Zahl dürfte in die Tausend gehen. „Spenden“, sagt Tierheimleiterin Tanja Schnabel, „um die Gehege auszulegen.“
Die Spendenbereitschaft steigt bei spektakulären Fällen wie dem der 101 Welpen. Die Nachfrage nach ihnen ist groß. Schnabel ließ den Anrufbeantworter des Tierheimes neu besprechen: „Die Welpen werden derzeit noch nicht vermittelt, bitte haben Sie in dieser arbeitsreichen Zeit Verständnis, dass wir auf Anfragen nicht eingehen können.“Bisher gehören die Tiere dem Händler. Erst wenn sie freigegeben werden, kann das Tierheim sie vermitteln. „Wir haben schon hunderte Anfragen bekommen“, sagt Schnabel. Ob die Welpen nach Ende der Quarantäne an ihren Eigentümer zurückgegeben werden müssen, ist offen. Derzeit können ihm nur Verstöße gegen die vorgeschriebene Tollwut-Impfung nachgewiesen werden. Die Kriminalpolizei ermittelt – wegen möglicher tierschutzrechtlicher Verstöße.