Alle für einen
Wenn über das Impfen gesprochen wird, dauert es meist nicht lange, bis dieser eine Begriff fällt: Herdenimmunität. Doch was ist das eigentlich und wie funktioniert dieses Prinzip? Und welche Rolle spielen Genesene dabei?
Augsburg Von Tag zu Tag werden in Bayern mehr Impfdosen gegen das Coronavirus verimpft. Jede verabreichte Spritze ist ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Herdenimmunität – und damit hin zum Ende der Pandemie. Wir erklären, was das bedeutet.
Was ist Herdenimmunität?
Musketier-Prinzip, kollektiver Impfschutz oder Gemeinschaftsschutz: Für das Konzept der Herdenimmunität gibt es viele Begriffe, die im Grunde alle dasselbe bedeuten. Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) erklären es so: Wenn sich eine Person impfen lässt, schützt das nicht nur diese Person selbst, sondern auch andere Menschen. Die Impfung bewirkt, dass der Geimpfte immun gegen eine Krankheit wird – und diese Immunität ist deshalb so wertvoll, weil eine geimpfte Person die Krankheit nicht mehr verbreiten kann (siehe Schaubild). „Mit einer Impfung schützt man also auch andere Personen, die sich noch nicht oder gar nicht impfen lassen können. Einer für alle – alle für einen“, heißt es dazu in einer Stellungnahme des RKI.
Warum können sich manche Menschen nicht impfen lassen?
Abgesehen von denjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, gibt es in der Bevölkerung auch Gruppen, die sich gar nicht impfen lassen können. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Babys beispielsweise sind für manche Impfungen noch zu jung, andere Personen können aufgrund einer chronischen Erkrankung die eine oder andere Impfung nicht bekommen, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Auch für Schwangere, immungeschwächte Personen oder Menschen, die bereits eine starke allergische Reaktion auf Medikamente oder andere Impfungen hatten, kommen demnach nicht alle Impfungen infrage. „Sie sind deshalb darauf angewiesen, dass die Menschen in ihrem Umfeld geimpft sind und ihnen Schutz vor der Ausbreitung und Ansteckung mit der Krankheit bieten“, erklären Experten der BZgA.
Bei welchen Krankheiten besteht bereits Herdenimmunität in Deutschland?
Ein Beispiel dafür ist etwa die Kinderlähmung, auch als Polio bekannt. Nach Angaben der BZgA gilt diese Krankheit in ganz Europa und auf
Das Prinzip Herdenimmunität dem amerikanischen Kontinent als ausgerottet. Trotzdem ist es nach wie vor wichtig, dass in Deutschland weiterhin so viele Menschen wie möglich gegen Polio geimpft sind, betonen Mediziner. Denn würde die Kinderlähmung, die vor allem in Teilen Asiens und Afrikas weiterhin vorkommt, zum Beispiel durch Reisende nach Deutschland wieder eingeschleppt, könnte sich Polio erneut in der Bundesrepublik ausbreiten, wenn der Großteil der Bevölkerung nicht geimpft wäre. Die Herdenimmunität wird folglich nur durch eine stetig hohe Impfquote aufrechterhalten.
Kann man Herdenimmunität für alle Krankheiten erreichen oder gibt es Ausnahmen?
Es gibt Einschränkungen, betont der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA): „Eine Voraussetzung für Herdenimmunität ist zum Beispiel, dass die Erreger nur von Mensch zu Mensch übertragen werden“, heißt es beim VFA. „Bei Erregern, die von Tieren übertragen werden, beispielsweise Tetanus-Bakterien oder FSME- oder Tollwut-Viren, lässt sich immer nur ein individueller Schutz der Geimpften erzielen.“
Wie groß muss der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung sein, um eine Herdenimmunität zu erreichen?
Diese Quote errechnet sich nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums anhand wissenschaftlicher Modelle und mithilfe des R0-Werts. Das ist die sogenannte Basisreproduktionszahl. Sie gibt an, wie viele weitere Personen eine erkrankte Person in einer gänzlich ungeschützten Bevölkerung anstecken würde. Zum Vergleich: Der R0-Wert für die sehr ansteckenden Masern wird mit etwa zwölf bis 18 angegeben. Anhand dieser Zahlen wurde für Masern eine erforderliche Immunität in der Bevölkerung von 95
Prozent berechnet. Für Corona wurde laut Bundesgesundheitsministerium ein R0-Wert von 3,3 bis 3,8 ermittelt. Daraus leiten Experten eine notwendige Impfquote von 60 bis 70 Prozent ab. RKI-Präsident Lothar Wieler erklärte allerdings vor kurzem, dass vermutlich eine noch höhere Immunisierungsrate notwendig sei. Als neuen Zielwert nannte er 80 Prozent und berief sich dabei auf eine Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Der Grund dafür ist, dass die britische Mutation B.1.1.7 – die derzeit laut RKI über 90 Prozent aller Corona-Infektionen in Deutschland ausmacht – stärker ansteckend sei als bisherige Varianten und einen höheren R0-Wert habe, so der RKI-Präsident.
Wie viele Menschen müssten demnach in Bayern geimpft sein, um Herdenimmunität zu erreichen?
In Bayern leben aktuell rund 13,12 Millionen Menschen. Für eine Impfquote von 60 Prozent müssten 7,87 Millionen geimpft sein. Für 80 Prozent wären es 10,49 Millionen. Allerdings gilt die Zulassung der Vakzine von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca aktuell nur für Personen ab 16 Jahre. Deshalb müssen alle Kinder und Jugendlichen, die jünger sind, vorerst aus der Gesamtbevölkerung herausgerechnet werden, weil sie noch nicht geimpft werden können. Das Bayerische Landesamt für Statistik teilte auf Nachfrage mit, dass im Freistaat 11,21 Millionen Menschen leben, die 16 Jahre alt oder älter sind. Von ihnen müssten sich deshalb verhältnismäßig mehr Personen impfen lassen, um insgesamt dennoch eine Impfquote von 60 Prozent beziehungsweise 80 Prozent zu erreichen.
Welche Rolle spielen Genesene für die Herdenimmunität?
Diese Frage lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig beantworten, erklärt eine Sprecherin der BZgA. Über Sars-CoV-2 ist bisher bekannt, dass der Körper Antikörper bildet, Zellen, die das Virus bekämpfen können. Diese sind etwa zwei Wochen nach Beginn der Infektion nachweisbar. „Allerdings nimmt unter anderem die Anzahl dieser Antikörper mit der Zeit wieder ab, insbesondere wenn die Sars-CoV-2-Infektion ohne Symptome oder die Erkrankung an Covid-19 mit nur milden Symptomen einhergeht.“Erneute Infektionen würden zwar selten auftreten, so die BZgA, seien aber möglich. „Bei Personen, die sich erneut angesteckt hatten, wurden hohe Virusmengen im Nasenund Rachenbereich nachgewiesen. Dies könnte bedeuten, dass Personen, die sich erneut anstecken, auch andere Personen anstecken können.“Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch das Robert-KochInstitut in einem aktuellen Lagebericht.
Wie viele Menschen in Bayern sind geimpft beziehungsweise genesen?
In Bayern sind nach aktuellem Stand neun Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft (1,17 Millionen Menschen). Mindestens eine Impfung haben 33,4 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bekommen (4,38 Millionen). Einer Einschätzung des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zufolge gelten aktuell 559080 Personen als genesen. Das entspricht etwa 4,2 Prozent der bayerischen Gesamtbevölkerung. Insgesamt gelten damit maximal 13,2 Prozent als immun – weil sie entweder Antikörper haben oder vollständig geimpft sind.