Drei ermattete Pilger auf der Rast
Für seinen Jakobsbrunnen schuf Bildhauer Bernd Altenstein ein detailreiches Ensemble. Manches wirkt disparat
’Immer noch sind die Museen geschlossen, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten - unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlichen Raum vor, die sich auf einem Spaziergang erkunden lassen.
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Der Jakobsweg erlebte gerade eine Renaissance, als vor St. Jakob 1994 der Pilgerbrunnen von Prof. Bernd Altenstein aufgestellt wurde. Die ganze Verkehrsinsel am Ostchor der Kirche stand ihm zur Verfügung, und entsprechend raumgreifend legte der Bildhauer aus Worpswede sein Ensemble an. Der Pilgerpatron erhöht auf einer Säule, eine Dreiergruppe am Wasserbassin und dann noch der ruhende Hund auf einem abseits platzierten Sockel.
Gerade dieses Teil hat immer wieder zu Missverständnissen und spöttischen Kommentaren geführt. Denn nicht von jeder Seite ist der Hund als solcher zu erkennen, sondern wirkt mitunter wie ein amorpher (Hunde-)Haufen. Denn er hat sich zur Ruhe in sanfter Krümmung ausgestreckt und den Kopf zwischen die Pfoten gelegt. Aus den Augenwinkeln bewacht er die Beutel der Pilger, die vor ihm abgelegt sind.
Die Pilger selbst erfrischen sich derweil am Wasser. Seitlich liegend streckt einer lechzend seinen rechten Arm zum Brunnen hin, um das Nass mit der hohlen Hand zu schöpfen. Derweil er sich mit dem linken Arm am Pilgerstab in seiner Körperhaltung ausbalanciert. Die beiden anderen Pilger, eine Frau und ein Mann, richten indes ihren Blick erwartungsvoll in die Ferne, als hätten sie das Ziel ihrer Wanderung bereits vor Augen. Mühselig ist ihre Pilgerschaft allemal, die Frau stützt sich auf Krücken, ihre in der Mitte abgeknickte Gestalt verrät Schmerzen in Hüfte und Knien. Der Mann hält schützend die Hand an die Schläfe, ihm setzt offensichtlich das Sonnenlicht zu, wenn er zu St. Jakob aufschaut. Der steht in einsamer Höhe auf einer Säule in der klassischen Bildsprache eines Kirchenstifters. Fast wächst er aus der Kathedrale von Santiago de Compostela heraus, die sich doppeltürmig ihm zu Füßen aufbaut. Gekleidet ist Jakobus in die Pilgerkluft mit langem Umhang, breitkrempigem Hut und Wanderstab. Als Bekenntnis präsentiert er mit seiner rechten Hand das Evangelienbuch. Sein Blick richtet sich nach oben.
Die Brunnenanlage ergibt mithin eine gestufte Dramaturgie: Aus der erschöpften Ruhe über den sich regenerierenden Trinkenden und die beiden zielgerichteten Pilger hinauf zum Heiligen, der wiederum auf Christus weist. So perfekt greifen freilich die einzelnen Teile nicht ineinander. Bernd Altensteins klotzige Brunnenbronzen wirken disparat. In ihren Bewegungsrichtungen streben sie auseinander, sie treten kaum miteinander in Beziehung, sie genügen sich selbst oder sind vollauf mit sich beschäftigt. Auch dies kann psychologisch ein Aspekt der Pilgerschaft sein: die eigenen Bedürfnisse, die eigene Sehnsucht, die eigenen Grenzen kennenzulernen.
Der Bildhauer scheute sich nicht, plakative Elemente zu verwenden. An vielen Stellen wird die breite, gerippte Jakobsmuschel sichtbar – traditionell das Erkennungszeichen der Jakobspilger. Auch die Pilger selbst sind traditionell gewandet, geradezu wie überzeitliche Verkörperungen. Nur die Köpfe gestaltete Altenstein knollig wie in der Nachfolge Ernst Barlachs. Nirgends sparte er Gussmaterial und erzeugte ein kompaktes, detailreiches Ensemble. Die höchste Verdichtung erreicht die Jakobusfigur mit ihrem mächtigen bronzenen Unterbau, der schwergewichtig auf dem Säulenkapitell aufliegt und gegenüber der schlanken gotischen Jakobskirche fast disproportional wuchtig wirkt.
Als Bernd Altenstein 1994 den Pilgerbrunnen schuf, stand er im Zenit seines Ruhmes. Seine Bildhauerklasse an der Hochschule für Künste Bremen entfaltete wachsende Anziehungskraft, da hier noch figürlich gearbeitet wurde. Typisch für Altenstein sind eine differenzierte Formensprache bis in alle Details der Modellierung und sein Interesse an gesellschaftlichen Inhalten. 1943 wurde er in Ostpreußen geboren, er studierte in Stuttgart bei Rudolf Daudert und war in Braunschweig Assistent bei Jürgen Weber. Zweimal verbrachte er Arbeitsaufenthalte in Japan. Sein Atelier in Worpswede teilt er mit der Bildhauerin Gisela Eufe, die bei ihm studierte.