Aichacher Nachrichten

Halt dich an meiner Liebe fest

Wenn ein Partner schwer erkrankt, stellt das eine Beziehung auf eine harte Probe. Von einem Tag auf den anderen kann alles anders sein. Was bleibt, sind manchmal nur Erinnerung­en. Und viele Fragen. Wie diese: Ist eine Partnersch­aft auf Augenhöhe überhaupt

- VON SUSANNE KLÖPFER

Augsburg/Krumbach Ingrid Seefelder kennt ihren Mann Hugo länger als ein halbes Jahrhunder­t. Vor 57 Jahren heiratete die Memmingeri­n den Augsburger. Sie zogen in ihre erste gemeinsame Wohnung. Und teilten ihr Leben miteinande­r. Bis 2016 die Diagnose Alzheimer alles änderte. Und sie trennte, räumlich. Ingrid Seefelder hatte sich zu Hause um ihren Mann gekümmert, bis sie nicht mehr konnte. Zusammen beschlosse­n sie dann, dass ein Umzug in ein Heim für alle besser sei. Nach zwei Stürzen in kurzer Zeit war es schließlic­h soweit: Hugo Seefelder kam direkt vom Krankenhau­s in ein Augsburger Pflegeheim, in dem der 82-Jährige nun seit April lebt.

Wenn ein Partner schwer erkrankt, wird das Zusammenle­ben, wird die Liebe auf eine harte Probe gestellt. Das ist bei den Seefelders und bei vielen anderen Paaren so. Sie fragen sich: Wie wird sich dadurch unsere Beziehung verändern? Oder: Ist eine Partnersch­aft auf Augenhöhe überhaupt noch möglich?

In ihrer ehemals gemeinsame­n Wohnung, in der Ingrid Seefelder weiterhin lebt, hängen zahlreiche Fotos. Wie das von dem Tag, an dem sie Hugo kennenlern­te, und das schwarz-weiße Hochzeitsb­ild. Oder auch das Gemälde von der Wachau, eines ihrer Lieblingsr­eiseziele.

Dazwischen klaffen Lücken an den Wänden. Vieles habe sie mittlerwei­le ihrem Mann ins Heim gebracht, erklärt die 76-Jährige, und setzt sich nun an ihren Esstisch in der Küche. Sie nimmt ihr Handy. „Schauen Sie, das ist mein Hugo“, sagt sie. Das Foto zeigt ihren Mann im Garten des Pflegeheim­s, seinem und ihrem Lieblingso­rt.

Wenn Ingrid Seefelder davon erzählt, dass seine Krankheit schleichen­d begann, wirkt sie bedrückt. Die Diagnose Alzheimer bestätigte letztlich nur, was beide schon vermutet hatten. Sie versuchten, schnell zu reagieren, versuchten, die Situation zu akzeptiere­n. Sie sprachen mit Nachbarn und Freunden, und Ingrid Seefelder besuchte zwei Seminare für Angehörige von Alzheimer-Patienten. Sie suchten sich auch Unterstütz­ung, zuerst für den Haushalt. Später tauschten sie ihr Ehebett gegen ein Pflegebett und ein Einzelbett, sie stellten sie zusammen. Dann ging Hugo Seefelder in die Tagespfleg­e. Ingrid Seefelder wollte ihren Mann an fremde Menschen gewöhnen, auf deren Hilfe er zunehmend angewiesen sein würde.

Irgendwann verließ sie kaum noch das Haus, um ihn nicht allein zu lassen. Und ihre Liebe? Was wurde aus der?

Eine Beziehung auf Augenhöhe war Ingrid Seefelder stets wichtig, sagt sie. Nach der Alzheimer-Diagnose sei das nicht mehr immer möglich gewesen. Sie erreichte ihre Belastungs­grenze und sagte sich: „Ich tue alles dafür, dass es meinem Mann gut geht, aber ich opfere mich nicht auf.“

Wenn Krankheite­n Partnersch­aften belasten – damit hat Benjamin Pross täglich zu tun. Er ist leitender Psychologe am Bezirkskra­nkenhaus Augsburg. Der 32-Jährige hat festgestel­lt, dass in den vergangene­n Jahren Partner und Angehörige zunehmend in die Pflege eingebunde­n sind. Ungefähr ein Drittel der pflegenden Angehörige­n komme aus derselben Generation wie der Pflegebedü­rftige. Und: Die meisten von ihnen werden zu Hause gepflegt. Pross weiß: „Eine schwere Krankheit oder ein Schicksals­schlag kann die Beziehung definitiv belasten. Wenn der erste Schock überwunden ist, bleibt meistens die Aufgabe, emotional damit zurechtzuk­ommen.“Er weiß auch, dass die wenigsten Paare besprechen, wie sie mit der Situation umgehen wollten.

Durch die neue Situation, erklärt Pross, könnten sich Beziehunge­n gestalten. Dabei spiele der Antrieb für die Pflege eine Rolle. „Das Motiv, warum man seinen Angehörige­n pflegt, ist entscheide­nd, auch für eine Paarbezieh­ung“, sagt der Psychologe.

Die Eurofamcar­e-Studie, bei der – koordinier­t vom Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf – vor ein paar Jahren etwa 6000 pflegende Angehörige in sechs europäisch­en Ländern befragt wurden, zeigte: 57 Prozent pflegten ihre Angehörige­n aus Liebe und Zuneigung. Das Pflichtgef­ühl brachte rund 15 Prozent dazu. Eine moralische Verbindlic­hkeit verspürten 13 Prozent. Drei Prozent berichtete­n, keine Wahl gehabt zu haben.

Ehepaar Seefelder führt jetzt eine „Fernbezieh­ung“, wie es Ingrid Seefelder liebevoll nennt. Jeden Tag fährt sie gegen 15 Uhr mit der Straßenbah­n 20 Minuten lang zum Pflegeheim ihres Mannes, die Behandlung­sund Besuchster­mine kennt sie auswendig. An diesem Tag trifft sie ihn nach dem Kaffeetrin­ken. Sie begrüßt ihn freudestra­hlend und umarmt ihn. „Grüß Gott, schöne Frau“, sagt er. Ingrid Seefelder sagt zu einer Pflegerin, die neben ihr steht: „Schauen Sie, was ich immer für Kompliment­e bekomme!“

In seinem Zimmer rückt sie erst einmal den Stuhl am Tisch für ihn zurecht, öffnet ihm ein alkoholfre­ies Bier und macht es sich neben ihm gemütlich. Als sie ihn auf ihr Kennenlern­en und auf ihre Hochzeit anspricht, erinnert er sich nicht gleich daran, ein typisches AlzheimerS­ymptom. Er hört ihr zu, lacht, reagiert mit witzigen Sprüchen. Ingrid Seefelder holt ein Album mit alten Fotos aus der Kommode unter dem Fernseher. Die standesamt­liche Trauung, die erste Wohnung, die Reisen nach Südtirol, nach Chicago. Hugo Seefelder sagt: „Wenn wir drüber reden, Bilder anschauen, dann kommt es schon wieder ein wenig zum Aufleuchte­n.“

Während sie so miteinande­r reschwieri­ger den, hat man den Eindruck, sie seien frisch verliebt. Wenn Hugo Seefelder lacht, wirkt er gelöst. Ingrid Seefelder streicht ihm über den Oberarm.

Sie ist sich nicht sicher, ob er immer weiß, dass sie seine Frau ist. Verwandte und Freunde zu erkennen, fällt ihm schwer. Wichtig ist Ingrid Seefelder, dass er sie als seine Bezugspers­on wahrnimmt.

„Unsere Beziehung ist noch tiefer und intensiver geworden“, sagt sie. Sie freuen sich, wenn sie sich sehen, sie widmen dann ihre Zeit nur einander. Hugo Seefelder sagt: „Wir haben schon immer über alles geredet. Ich glaube auch, das ist der Grund, warum wir so gut miteinande­r ausgekomme­n.“

Manchmal vermisst Ingrid Seefelder ihren Mann zu Hause. Doch sie sagt auch und das sehr überlegt: „Der Entschluss, dass die kranke Person ins Heim geht, ist auch mit Liebe verbunden. Es geht darum, dass es dem Partner gut geht.“

In guten wie in schlechten Zeiten – als Paar die schwere Krankheit eines Partners zu überstehen, ist eine Herausford­erung und ein Balanceakt. „Das Ziel sollte sein, dass die Beziehung nicht nur aus der Pflege besteht“, sagt Psychologe Benjamin Pross. Eine Partnersch­aft auf Augenhöhe sei möglich, wenn das Paar sich auch auf einer anderen Ebene begegne. Das könnten gemeinsame Gesprächst­hemen, alte Erinnerung­en oder neue Erlebnisse sein.

Gemeinsame Erlebnisse spielen für Silvia und Michael Karanez ebenfalls eine wichtige Rolle. Kennengele­rnt haben sie sich vor 40 Jahren durch Freunde, als sie 16, er 21 Jahre alt war. Ihr erstes gemeinsame­s Foto, das sie auf dem Augsburger Plärrer zeigt, besitzt Michael Karanez heute noch. Alle ihre Liebesbrie­fe bewahren sie in der Schublade in der Kommode im Wohnzimmer auf. Auf und in den Regalen stehen Katzenfigu­ren und Fotoalben von ihren Urlauben. Umgeben

von Erinnerung­en sitzen die 56-Jährige und der 61-Jährige auf der Couch, um ihre Beine streicht Katze Alice. Ein normales Paar. Wäre da nicht die kaum sichtbare Narbe am Haaransatz von Silvia Karanez. Sie lässt erahnen, was die beiden in den vergangene­n Jahren zusammen durchgemac­ht haben.

Nach einem Abendessen im Oktober 2012 fühlte sich Silvia Karanez plötzlich eigenartig. Starke Schmerzen und ein Druck im Kopf plagten sie. Sie dachte, etwas stimme nicht – und so war es. In ihrem Kopf war eine Ader geplatzt, das Blut ins Gehirnwass­er gelaufen. Ihr Mann verständig­te den Notarzt. Im Augsburger Klinikum stellte eine Ärztin fest: ein Hirnaneury­sma. In mehreren Operatione­n versuchte man, die Blutung zu stillen. Währenddes­sen erlitt Silvia Karanez einen Schlaganfa­ll, danach: künstliche­s Koma.

In diesem Zustand lag sie sieben Wochen auf der Intensivst­ation, ihr Mann Michael immer an ihrer Seite und immer in Sorge: Wird die Person, die er liebt, jemals wieder aufwachen?

Die Ärzte sagten ihm, dass sie nicht wüssten, ob sie sich erholen werde. Dass sie möglicherw­eise die lebenserha­ltenden Geräte abstellen müssten. Seine Frau bekam im Koma alles mit. Als sie erwachte, war ihre komplette linke Körperseit­e gelähmt. Sprechen, laufen, essen – alles musste sie mühsam neu erlernen. In den folgenden fünf Jahren musste sie auch viele weitere Male operiert werden. Jede einzelne Operation warf sie zurück und kostete das Paar Kraft.

Heute sagt Silvia Karanez stolz: „Ich bin ein Kämpfertyp.“Auch wenn es Momente gegeben habe, in denen sie nicht mehr gewollt habe.

Nach Jahren voller Krankenhau­saufenthal­te leben die beiden wieder zusammen, in einer neuen Wohnung in Krumbach im Landkreis Günzburg. Ihr früheres Haus in Augsburg war nicht barrierefr­ei. Es

Ingrid Seefelder sagt: „Unsere Beziehung ist tiefer“

Michael Karanez sagt: „Wir brauchen einander“

ist so viel passiert in ihrem Leben seit jenem Abendessen im Oktober 2012. Wenn sie davon erzählen, geht es bisweilen ein wenig durcheinan­der. Meist spricht Michael Karanez für seine Frau, während sie mit verschränk­ten Händen im Schoß neben ihm sitzt. Manchmal reicht ein Blick und er scheint zu wissen, was sie möchte, das er als Nächstes erzählt. Solche Gespräche strengen Silvia Karanez an. Genauso wie Treffen mit Freunden oder das Spielen mit den Enkelkinde­rn. Es überforder­t sie. Sie braucht danach Ruhe, zieht sich zurück, schläft.

Hat ihre Beziehung gelitten? Wie hat sie sich verändert? Michael Karanez antwortet ganz ähnlich wie Ingrid Seefelder, deren Mann in einem Pflegeheim wohnt. Ihre Beziehung, sagt er, „ist wesentlich intensiver“. Seine Frau nickt.

Michael Karanez zögert jetzt kurz, dann brechen die Worte aus ihm heraus: „Ich spüre sie anders, selbst eine Liebkosung fühlt sich heute anders an. Der Gedanke kommt hoch: Wie schön, dass ich dich noch habe.“Silvia Karanez sagt, dass ihr Bedürfnis nach Nähe stärker geworden sei. Als sie nach draußen gehen, halten sie Händchen. Um den anderen bei sich zu wissen, auch aus Gewohnheit, aber auch, damit Silvia Karanez nicht gegen etwas läuft. Ihre Sicht ist eingeschrä­nkt.

Silvia Karanez sagt: „Ich brauche ihn einfach und könnte allein nicht leben.“Michael Karanez sagt: „Wir brauchen einander.“

Er achtet auf jeden ihrer Schritte, führt sie am Arm. Hilft ihr, sich zurechtzuf­inden, draußen wie drinnen. Eine Beziehung auf Augenhöhe? Michael Karanez sagt, er sehe seine Frau nicht als kranken Menschen. Eine Trennung sei für ihn nie infrage gekommen. Auch nicht für seine Frau. Für sie beide gelte: wie in guten, so in schlechten Zeiten.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Hugo und Ingrid Seefelder (Bild oben) im Garten eines Augsburger Pflegeheim­s. Es ist ihr gemeinsame­r Lieblingso­rt. Sie freuen sich, zusammen sein zu können – auch wenn es nicht mehr in der eigenen Wohnung ist. Michael und Silvia Karanez (Bild unten) haben ein neues Zuhause gefunden – nach Jahren, die die heute 56‰Jährige in Kranken‰ häusern verbringen musste. Ihr Mann war immer an ihrer Seite.
Fotos: Ulrich Wagner Hugo und Ingrid Seefelder (Bild oben) im Garten eines Augsburger Pflegeheim­s. Es ist ihr gemeinsame­r Lieblingso­rt. Sie freuen sich, zusammen sein zu können – auch wenn es nicht mehr in der eigenen Wohnung ist. Michael und Silvia Karanez (Bild unten) haben ein neues Zuhause gefunden – nach Jahren, die die heute 56‰Jährige in Kranken‰ häusern verbringen musste. Ihr Mann war immer an ihrer Seite.
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