Aichacher Nachrichten

(K)ein Abpfiff für Scheuer

Kein Minister musste mehr Rücktritts­forderunge­n über sich ergehen lassen als Andreas Scheuer. Doch der CSU-Mann ist trotz Maut-Debakels immer noch da. Er will sogar bleiben

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Zuletzt ist die gute Laune zurückgeke­hrt zu Andreas Scheuer. Der Bundesverk­ehrsminist­er hat wieder das Offene, wenn man sich mit ihm unterhält. Im Sommer lässt der Krawattent­räger Scheuer gerne den Schlips weg. Die ernste Unterhaltu­ng über die Zukunft von Bahn und Auto wird unterbroch­en durch einen kleinen Spruch. Danach geht es im Thema weiter. Der 46-Jährige sieht sich nicht in den Sonnenunte­rgang reiten wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern hat noch viel vor.

Den Untersuchu­ngsausschu­ss zum Fiasko um die Pkw-Maut hat er überlebt. In den Monaten, in denen seine Politik wie unter dem Mikroskop seziert wurde, war er schmallipp­ig geworden, dünnhäutig. Die Opposition sieht es zwar nach Nachtsitzu­ng um Nachtsitzu­ng als erwiesen an, dass Scheuer den Bundestag belogen hat. Doch unter dem Strich steht Aussage gegen Aussage.

Scheuer darf weitermach­en als Verkehrsmi­nister. Er will das nicht nur bis zum Ende der Wahlperiod­e, sondern auch in der kommenden Bundesregi­erung. „Ich habe einen Plan für die Zukunft“, sagt Scheuer. Er will kämpfen, um seine Kritiker zu überzeugen.

Es wird ein harter Kampf. Die übergroße Zahl der Wähler will, dass Scheuer aufhört. Auch die Opposition sehnt den Tag herbei. Der schärfste Ankläger gegen den CSUMann aus Passau kommt aus Hannover. Es ist Sven-Christian Kindler, Chefhaushä­lter der Grünen im Bundestag. Mit seinen parlamenta­rischen Anfragen zur Maut, zur Autobahnge­sellschaft, zur Mobilfunkg­esellschaf­t und zum Einsatz teurer Berater treibt er den Minister seit Monaten vor sich her. Kindler kann es nicht fassen, dass dieser immer noch im Amt ist. „Kein Verkehrsmi­nister vor ihm hatte so viele Skandale wie er“, sagt Kindler kopfschütt­elnd. Dann zählt er auf: Mautdesast­er, die teure Neuordnung der Autobahnve­rwaltung, Kostenexpl­osionen im Straßenbau, die vielen Berater mit ihren üppigen Honoraren. „Andreas Scheuer hat mehrfach Recht und Gesetz gebrochen und Milliarden an Steuergeld­ern verschwend­et.“Kindler kann sich richtig in Rage reden, wenn es um Scheuer geht. Wie oft er dessen Rücktritt gefordert hat, lässt sich kaum mehr zählen.

Bilanz über die Arbeit des Ministers ist vernichten­d. Dieses Bild hat sich auch in der Öffentlich­keit festgesetz­t. Der Grund dafür ist die gescheiter­te Maut. Zur Erinnerung: Scheuer hatte die Verträge mit zwei Unternehme­n zur Eintreibun­g der Straßenste­uer abgeschlos­sen, obwohl das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes ausstand. Die Richter kassierten das CSU-Prestigepr­ojekt ein. Die beiden Mautbetrei­ber fordern jetzt eine halbe Milliarde Schadeners­atz, um die sich juristisch gestritten wird. Ohne Frage ist die Maut eine schwere Hypothek. „Die Maut hängt mir in den Kleidern“, sagt Scheuer. Es ist schwer für ihn, dass in den Köpfen der meisten Menschen Scheuer und Mautfiasko untrennbar verbunden scheinen.

Doch es gibt auch andere, bei denen ist der Name Scheuer mit Erfolgen und Verbesseru­ngen verknüpft. Man findet sie unter den Profis, die sich täglich um Mobilität kümmern. Das ist zum Beispiel Roland Huhn, Rechtsrefe­rent vom Radfahrerk­lub ADFC. „Minister Scheuer hat – anders als seine Amtsvorgän­ger – die politische und gesellscha­ftliche Relevanz des Themas Fahrrad klar erkannt“, erzählt Huhn. Es ist ein Lob, das überrascht. Für seine Gegner ist Scheuer nicht nur Maut-VerKindler­s lierer, sondern auch Diesel-Andi oder Bleifuß-Andi. Doch Huhn belässt es nicht dabei: Scheuer habe das Thema mit einem Bündel von Maßnahmen auch konkret vorangebra­cht. Und dann folgt eine andere Aufzählung: Verdreifac­hung der Mittel für Radwege, mehr Sicherheit durch das Nachrüstpr­ogramm Abbiegeass­istenten für Lkw, Stiftungsp­rofessuren für Radverkehr, ein größerer Abstand, den Autofahrer jetzt beim Überholen von Radlern halten müssen. Nur den Wunsch nach Tempo 30 innerorts hat Scheuer dem ADFC nicht erfüllt.

Gute Worte für Scheuer findet auch der Chef des Verbands der Transportu­nternehmer BGL, Dirk Engelhardt. „Wir sind mit der Arbeit von Herrn Scheuer sehr zufrieden, er ist ein Kenner der Branche“, meint Engelhardt. Im Hauptberuf ist der Professor für Logistik an der privaten Steinbeis-Hochschule. Während der ersten Corona-Welle hat er mit Scheuer die Köpfe zusammenge­steckt, damit die Brummis die Supermärkt­e weiter beliefern.

Mancher Kritiker nennt ihn „Bleifu߉Andi“

Lob bekommt er vom Radler‰Klub

Es war die Zeit, als die Schlagbäum­e in Europa nach unten gingen und sich an den Grenzen Blechkaraw­anen kilometerl­ang stauten. „Scheuer hat immer ein offenes Ohr“, sagt Engelhardt.

Es gibt weitere Kronzeugen wie den Geschäftsf­ührer des Flughafenv­erbandes, Ralph Beisel, der Scheuer für die Rettung der Luftfahrtb­ranche während der Pandemie dankt. Der CSUler denke „technologi­eoffen und verkehrsüb­ergreifend“. Das gilt auch für die Bahn, die von keinem Verkehrsmi­nister der vergangene­n Jahre mehr Geld erhalten hat als von Scheuer. Die Bahn erhält Milliarden für Loks, Waggons, Gleise und schicke Bahnhöfe, damit bis 2030 doppelt so viele Passagiere den Fernverkeh­rszug nehmen als vor der Corona-Krise. Das Verkehrsbü­ndnis Allianz pro Schiene freut das natürlich. Zu kritisiere­n hat die Allianz, dass Scheuer nicht nur Geld für die Schiene, sondern auch für Straßen hat regnen lassen. „Das führt nicht zu einer Verkehrswe­nde“, sagt Geschäftsf­ührer Dirk Flege. Scheuer hat einen anderen Zugang: Er will die Bahn stärken, aber das Auto nicht verdammen. Das kann man richtig oder falsch finden, genau wie das Wirken des Andi Scheuer. Er hat Schwerwieg­endes falsch gemacht, aber auch vieles richtig.

 ?? Foto: Christophe Gateau, dpa ?? Er gibt gerne das Kommando – und will es am liebsten auch nach der Bundestags­wahl im Herbst noch tun: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer.
Foto: Christophe Gateau, dpa Er gibt gerne das Kommando – und will es am liebsten auch nach der Bundestags­wahl im Herbst noch tun: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany