Die Kirchen schrumpfen weiter
Die Zahl der Austritte ist im vergangenen Jahr zwar gesunken. Das ist allerdings kein Zeichen für eine Trendwende. Ganz im Gegenteil
Bonn/Hannover/Augsburg Es ist eine merkwürdige Mischung aus Ratlosigkeit, Niedergeschlagenheit und leiser Zuversicht, die einem am Mittwoch aus Kirchenkreisen entgegenschlägt. Wie in jedem Sommer haben die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ihre Statistik für das abgelaufene Jahr veröffentlicht, die in jüngerer Zeit stets von einer gewissen Betroffenheitsroutine begleitet wurde.
Auch dieses Mal spricht der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, von einer „tiefgreifenden Erschütterung“. Und auch dieses Mal ist die Zahl der Kirchenaustritte in seiner Pressemitteilung etwas versteckt. Vor allem sie ist es, die ein realistisches Bild vom Zustand der Kirche gibt. Er bleibt bedenklich.
Was anders ist und die Interpretationen erschwert, das ist die Pandemie. Denn die Kirchenstatistik bezieht sich auf das Jahr 2020 – in dem sich die Corona-Krise massiv auf kirchliches Leben, unter anderem in Form von Gottesdienstverboten oder weggebrochenen Kirchensteuereinnahmen, auswirkte. Diese gingen in der katholischen Kirche um 4,6 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro und in der evangelischen um 5,4 Prozent auf 5,63 Milliarden Euro zurück. Was sich in den Zahlen dagegen noch nicht niederschlägt, sind die Turbulenzen, die es 2021 besonders in der katholischen Kirche gab.
So nahm im Herbst 2020 der Skandal um Kardinal Woelki seinen Anfang. Sein Umgang mit Missbrauchsfällen wurde jedoch erst im Laufe dieses Jahres zum Problem in seinem Erzbistum Köln, in dem Katholiken seit Monaten scharenweise austreten, und für die gesamte katholische Kirche in Deutschland. Auch der vom Münchner Kardinal Marx angebotene und vom Papst spektakulär abgelehnte Amtsverzicht fällt ins laufende Jahr.
Kirchenverantwortliche wissen, dass sie über die Folgen im nächsten Sommer Aufschluss bekommen werden. Die Hoffnung des Augsburger Bischofs Bertram Meier könnte daher enttäuscht werden. Er sagte mit Blick auf die im Jahr 2020 gesunkenen Austrittszahlen: „Vielleicht haben viele Menschen in diesem Corona-Jahr ... doch auch gemerkt, wie sehr die Gemeinschaft im Glauben stärkt – und auch, dass die Kirche für sie in diesen Krisenzeiten da gewesen ist.“Der Religionssoziologe
Detlef Pollack glaubt dagegen nicht an eine Renaissance der Kirchen. Auch sein Kollege an der Uni Münster, der Kirchenrechtler Thomas Schüller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass bereits bekannte Zahlen für 2021 eine Austrittswelle „bisher ungeahnten Ausmaßes“belegten. „Beide Kirchen schauen in den Abgrund ihrer Bedeutungslosigkeit.“
2020 sank die Zahl der Austritte in der katholischen Kirche auf 221390. Selbst im Erzbistum Köln ging sie zurück, von 24298 auf 17281. Mit insgesamt 272771 hatte sie 2019 einen Negativrekordwert erreicht und ist nach wie vor überaus hoch. Aus der evangelischen Kirche traten bundesweit 220000 Menschen aus (2019: 266738). Im katholischen Bistum Augsburg sank die Zahl von 15532 auf 13042, lag damit aber höher als 2010 (12065), dem Jahr, in dem der damalige Bischof Walter Mixa zurücktreten musste. Im evangelischen Kirchenkreis Augsburg und Schwaben gab es 2020 3319 Austritte (2019: 3803).