Aichacher Nachrichten

Die Kirchen schrumpfen weiter

Die Zahl der Austritte ist im vergangene­n Jahr zwar gesunken. Das ist allerdings kein Zeichen für eine Trendwende. Ganz im Gegenteil

- VON DANIEL WIRSCHING

Bonn/Hannover/Augsburg Es ist eine merkwürdig­e Mischung aus Ratlosigke­it, Niedergesc­hlagenheit und leiser Zuversicht, die einem am Mittwoch aus Kirchenkre­isen entgegensc­hlägt. Wie in jedem Sommer haben die beiden großen christlich­en Kirchen in Deutschlan­d ihre Statistik für das abgelaufen­e Jahr veröffentl­icht, die in jüngerer Zeit stets von einer gewissen Betroffenh­eitsroutin­e begleitet wurde.

Auch dieses Mal spricht der Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, von einer „tiefgreife­nden Erschütter­ung“. Und auch dieses Mal ist die Zahl der Kirchenaus­tritte in seiner Pressemitt­eilung etwas versteckt. Vor allem sie ist es, die ein realistisc­hes Bild vom Zustand der Kirche gibt. Er bleibt bedenklich.

Was anders ist und die Interpreta­tionen erschwert, das ist die Pandemie. Denn die Kirchensta­tistik bezieht sich auf das Jahr 2020 – in dem sich die Corona-Krise massiv auf kirchliche­s Leben, unter anderem in Form von Gottesdien­stverboten oder weggebroch­enen Kirchenste­uereinnahm­en, auswirkte. Diese gingen in der katholisch­en Kirche um 4,6 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro und in der evangelisc­hen um 5,4 Prozent auf 5,63 Milliarden Euro zurück. Was sich in den Zahlen dagegen noch nicht niederschl­ägt, sind die Turbulenze­n, die es 2021 besonders in der katholisch­en Kirche gab.

So nahm im Herbst 2020 der Skandal um Kardinal Woelki seinen Anfang. Sein Umgang mit Missbrauch­sfällen wurde jedoch erst im Laufe dieses Jahres zum Problem in seinem Erzbistum Köln, in dem Katholiken seit Monaten scharenwei­se austreten, und für die gesamte katholisch­e Kirche in Deutschlan­d. Auch der vom Münchner Kardinal Marx angebotene und vom Papst spektakulä­r abgelehnte Amtsverzic­ht fällt ins laufende Jahr.

Kirchenver­antwortlic­he wissen, dass sie über die Folgen im nächsten Sommer Aufschluss bekommen werden. Die Hoffnung des Augsburger Bischofs Bertram Meier könnte daher enttäuscht werden. Er sagte mit Blick auf die im Jahr 2020 gesunkenen Austrittsz­ahlen: „Vielleicht haben viele Menschen in diesem Corona-Jahr ... doch auch gemerkt, wie sehr die Gemeinscha­ft im Glauben stärkt – und auch, dass die Kirche für sie in diesen Krisenzeit­en da gewesen ist.“Der Religionss­oziologe

Detlef Pollack glaubt dagegen nicht an eine Renaissanc­e der Kirchen. Auch sein Kollege an der Uni Münster, der Kirchenrec­htler Thomas Schüller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass bereits bekannte Zahlen für 2021 eine Austrittsw­elle „bisher ungeahnten Ausmaßes“belegten. „Beide Kirchen schauen in den Abgrund ihrer Bedeutungs­losigkeit.“

2020 sank die Zahl der Austritte in der katholisch­en Kirche auf 221390. Selbst im Erzbistum Köln ging sie zurück, von 24298 auf 17281. Mit insgesamt 272771 hatte sie 2019 einen Negativrek­ordwert erreicht und ist nach wie vor überaus hoch. Aus der evangelisc­hen Kirche traten bundesweit 220000 Menschen aus (2019: 266738). Im katholisch­en Bistum Augsburg sank die Zahl von 15532 auf 13042, lag damit aber höher als 2010 (12065), dem Jahr, in dem der damalige Bischof Walter Mixa zurücktret­en musste. Im evangelisc­hen Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben gab es 2020 3319 Austritte (2019: 3803).

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Auch 2020 traten Hunderttau­sende aus der Kirche aus. Symbolfoto: H. Kaiser, dpa

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