Aichacher Nachrichten

Sieg der Demokratie währte nur kurz

- VON SUSANNE GÜSTEN red@augsburger‰allgemeine.de

Die Türken haben schon so viele Staatsstre­iche erlebt, dass sie die diversen Umsturzver­suche mit Tag und Monat bezeichnen, um sie auseinande­rhalten zu können. Wenn man in der Türkei zum Beispiel über den „12. September“spricht, ist jedem klar, dass der Putsch von 1980 gemeint ist. Der „28. Februar“steht für den – letztlich erfolgreic­hen – Versuch der Militärs im Jahr 1998, den islamistis­chen Premier Necmettin Erbakan von der Macht zu verdrängen. Seit 2016 ist der „15. Juli“dazugekomm­en. Der versuchte Putsch von Teilen der Armee hat die Türkei mindestens so sehr verändert wie die Staatsstre­iche in den Jahrzehnte­n davor, vielleicht noch mehr.

Die große Mehrheit der Türken – auch die meisten Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan – lehnten den Putschvers­uch als Angriff auf die Demokratie ab. Unmittelba­r nach dem Umsturzver­such erreichte der Zuspruch für Erdogan einen Höhepunkt. Doch dann beschleuni­gte der Putsch den Marsch der Türkei in eine Autokratie, in der politische Gegner der Regierung als potenziell­e Verräter verfolgt werden. Die Einführung des Präsidials­ystems unter dem Eindruck des Aufstandes bescherte dem Land ein Regierungs­system, das fast die ganze Macht in die Händen eines einzigen Mannes legt und demokratis­che Kontrollin­stanzen außer Kraft setzt. Fünf Jahre nach dem Putsch will Erdogans Regierung die Kurdenpart­ei HDP als drittstärk­ste Kraft im Parlament verbieten lassen und den Opposition­sführer aus der Volksvertr­etung werfen. Medien und Justiz wurden von der Regierung größtentei­ls auf Linie gebracht. Selbst friedliche Kritik und Protestkun­dgebungen werden zu Terrordeli­kten umgedeutet.

Doch Wahlnieder­lagen der AKP bei Kommunalwa­hlen in großen Städten zeigen, Erdogans Heldenepos vom Widerstand des Volkes gegen die Putschiste­n kann die Empörung vieler Türken über die wachsende Repression, Korruption und die Enttäuschu­ng über die gescheiter­te Wirtschaft­spolitik nicht mehr überdecken.

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