Aichacher Nachrichten

„Dafür nehme ich auch Anfeindung­en in Kauf“

Stefan Weber hat sich als Plagiatsjä­ger einen Namen gemacht. Er verrät, warum er sich in die Grünen-Kanzlerkan­didatin verbissen hat

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Herr Weber, Sie hatten erst auf Unsauberke­iten im Lebenslauf von Frau Baerbock aufmerksam gemacht, dann auf Plagiatsst­ellen in ihrem Buch. Warum haben Sie die Grüne Kanzlerkan­didatin im Visier?

Stefan Weber: In der Wissenscha­ft würde man vom Induktions­prinzip sprechen. Ein Leser meines OnlineBlog­s hatte mich auf Unstimmigk­eiten beim Bachelor-Abschluss von Frau Baerbock hingewiese­n. Da bin ich neugierig geworden und habe ihr eine E-Mail geschriebe­n. Die wurde erst drei Wochen später beantworte­t – mit einem Textbauste­in, den ich längst kannte. Und dann tauchte in ihrem Lebenslauf eine Unstimmigk­eit nach der anderen auf. Das hat in meiner Darstellun­g ausgeschau­t wie eine bezahlte Kampagne, die es nicht war. Das Buch habe ich dann bestellt und routinemäß­ig auf Plagiatsst­ellen überprüft.

Also eher Zufall, dass Sie darauf gestoßen sind?

Weber: Absolut. Als Österreich­er war sie mir kein Begriff, das gebe ich zu. Ich habe sie erst mal über Wikipedia recherchie­rt. Aber als dann stückerlwe­ise immer neue Ungereimth­eiten kamen, bin ich misstrauis­ch geworden.

Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Weber: Das führt ja zur Frage: Wer war’s? Und da würde ich mir Ehrlichkei­t von Frau Baerbock wünschen. Entweder sie hat ihren Lebenslauf selber geschriebe­n oder sie hat ihn von einer Agentur kosmetisch aufbereite­n lassen. Oder es waren Mitarbeite­r damit befasst. Da hätte ich mir mehr Aufklärung von ihr erwartet. Beim Buch ist das noch schlimmer. Wenn Frau Baerbock ihren Lebenslauf selbst so geschlampe­rt geschriebe­n hat und im Buch die Internet-Versatzstü­cke eigenhändi­g eingebaut hat, dann wäre sie für mich disqualifi­ziert, weil sie unglaubwür­dig geworden ist. Sie hätte dann einen Zugang zu Texten, der mir unseriös und unmoralisc­h erscheint. Wenn es ein Mitarbeite­r oder eine Agentur war, soll sie das sagen. Dann hat sie ein Kontrollpr­oblem, das sie aber noch in den Griff bekommen könnte. Sie müsste in ihrem Team wechseln und aus den Fehlern lernen.

Haben Sie sich schon mal in einen Wahlkampf eingemisch­t?

Weber: Nein, für mich ist das in dieser Form neu. Normalerwe­ise prüfe ich Arbeiten von Politikern, die schon im Amt sind, nicht von Kandidaten. Für 9,90 Euro können Sie eine Plagiatsso­ftware aus dem Internet haben. Es ist doch ein Wahnsinn, dass das Buch nicht vor Veröffentl­ichung überprüft wurde bei jemandem, der gerade so in der Öffentlich­keit steht.

Was ist denn Ihr Eindruck bei dem Buch? Musste da unter Zeitdruck noch schnell etwas auf den Markt?

Weber: Zeitdruck mag eine Rolle gespielt haben. Vielleicht aber auch falsches Vertrauen in Mitarbeite­r oder in die Co-Autoren. Möglicherw­eise hat hier jemand nicht bedacht, welche Folgen das haben kann. Aber die Grünen oder der Verlag hätten auf Nummer sicher gehen und das Buch auf mögliche Plagiatsst­ellen hin überprüfen müssen. Es geht ja nicht um ein Kochbuch. Frau Baerbock ist ja so etwas wie der neue Wunderwuzi beziehungs­weise die neue Wunderwuzi­n, wie wir in Österreich sagen. Also die große Hoffnungst­rägerin, die das Land in eine neue Richtung führen will, mit mehr Ökologie und weniger Primat des Wachstums. Von einer solchen Frau erwarte ich nicht, dass sie solche Dinge zu Papier bringt. Da bin ich auch persönlich enttäuscht.

Sind die kopierten Passagen im Buch ein rechtliche­s Problem oder eine moralische Frage?

Weber: Das ist eine rein moralische

Geschichte. Es geht um das Zitiergebo­t und Qualitätss­tandards beim Texten. Bei einer Verletzung des Urheberrec­hts müsste der Betroffene ja dagegen klagen – was hier kaum passieren wird, weil Frau Baerbock vor allem aus der „ökologisch­en Blase“zitiert hat. Übrigens, wenn jemand drei oder vier Sätze von mir übernehmen würde, käme ich auch nicht mit der juristisch­en Keule. Das wäre kleinkarie­rt. Anders sieht es aus, wenn zehn oder 15 Seiten komplett übernommen werden. Was hier vorliegt, ist ein Verstoß gegen die guten Sitten.

Hatten Sie wirklich keinen konkreten Auftrag, Frau Baerbock zu überprüfen?

Weber: Nein, überhaupt nicht. Auch die Hinweise kamen nicht aus einer bestimmten Ecke oder mit einer bestimmten Absicht, sondern aus Verwunderu­ng und Misstrauen.

Außer Ihre Bekannthei­t zu steigern – was haben die Plagiatsen­thüllungen letztlich gebracht?

Weber: Wenn die Interventi­on dazu geführt hat, dass erstens die Grünen darüber nachdenken, wo sie sich angreifbar gemacht haben, und zweitens die Verlage künftig Plagiatsso­ftwares einsetzen, um die Qualität zu sichern, dann hat es ja etwas im Sinne der Textkultur gebracht. Dafür nehme ich auch Anfeindung­en in Kauf.

Welcher Art sind die?

Weber: Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Wüste Beschimpfu­ngen per E-Mail oder auf meiner Mailbox. Unterstes Niveau. Deutschlan­d ist natürlich ein größerer Raum, da wirkt sich Hatespeech drastische­r aus.

Interview: Andreas Jungbauer

Stefan Weber, 51, studier‰ te Publizisti­k und Kom‰ munikation­swissensch­aft, arbeitete als Journalist und lehrt an der Uni Wien.

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