Aichacher Nachrichten

Derzeit nicht willkommen

Vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel bei US-Präsident Joe Biden protestier­t die deutsche Wirtschaft gegen die seit 16 Monaten geltende Einreisesp­erre. Firmen aus der Region berichten von immensen Herausford­erungen im Alltag

- VON KARL DOEMENS, STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Washington Wenn Mark Tomkins, der Chef der Deutsch-Amerikanis­chen Handelskam­mer in Chicago, morgens in sein Büro kommt, ahnt er schon, was auf ihn wartet: Mails weiterer Mitgliedsu­nternehmen, die Schwierigk­eiten mit der Einreise aus Deutschlan­d haben. In der vergangene­n Woche hat der Amerikaner zu dem Thema ein Webinar angeboten. 150 Firmen schalteten sich zu. „Das ist das Thema Nummer eins für unsere Unternehme­n“, berichtet Tomkins. Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht es ähnlich aus.

Die Goldhofer AG aus Memmingen stellt Schwerlast- und Spezialtra­nsporter her, mit denen zum Beispiel riesige Flugzeuge auf Flughäfen bewegt werden oder ganze Flügel von Windkrafta­nlagen. Seit dem Jahr 2017 ist das Unternehme­n in den USA aktiv und nun von den Einschränk­ungen direkt betroffen. „Die Einreisebe­schränkung­en treffen uns hart. Wir können natürlich durch unsere lokal ansässigen Firmen die Situation zu einem gewissen Grad entschärfe­n und die Reiseeinsc­hränkungen dadurch kompensier­en. Allerdings ist es schwierig bis unmöglich persönlich­e Kontakte vollständi­g hierdurch zu ersetzen“, schreibt ein Sprecher der Firma auf Anfrage. Die Fahrzeuge seien technisch komplex und benötigten anspruchsv­olle technische Beratung. Das gehe am besten persönlich.

Zehn bis zwölf Anfragen und Beschwerde­n zu den rigiden Einreisebe­schränkung­en der USA muss das Team um Außenwirts­chaftschef Ulrich Ackermann beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau­er (VDMA) in Frankfurt täglich bearbeiten. „Die Stimmung unter unseren Mitgliedsf­irmen wird von Tag zu Tag schlechter“, berichtet er: „Da ist mächtig Druck im Kessel.“Eine inzwischen von Washington geschaffen­e Ausnahmere­gelung helfe wenig. Firmenmita­rbeiter, die zur „unerlässli­chen Unterstütz­ung oder Geschäftsf­ührung für bedeutsame wirtschaft­liche Aktivitäte­n“erforderli­ch sind, können per Sondergene­hmigung einreisen. Nach den Erfahrunge­n des VDMA klappt das zwar oft bei Technikern. Der Vertrieb, der Kundendien­st, Messe-Aussteller und Unternehme­n, die nicht der kritischen Infrastruk­tur zugerechne­t werden, blieben aber weiter ausgesperr­t.

Auch bei den bayerische­n Industrieu­nd Handelskam­mern hat das Problem inzwischen hohe Priorität. Jana Lovell, USA-Expertin der IHK Schwaben, rät Unternehme­n: „Eine Ausnahmege­nehmigung zu erwirken ist möglich, aber der Bürokratie­aufwand ist hoch. Kurzfristi­ge Reisen sind nicht möglich.“Die Chancen seien umso größer, je klarer man in seinem Antrag darstellen könne, was die USA von dem Besuch haben. „Die Firmen sollten sich nicht abschrecke­n lassen und die Anträge auch stellen, notfalls mit externer Hilfe“, rät Lovell.

Frank Dollendorf, bei der IHK für München und Oberbayern für den Bereich Außenwirts­chaft zuständig, sagt, dass viele Dinge derzeit einfach auf Eis liegen: „Bei eingespiel­ten Geschäftsb­eziehungen lässt sich vieles auch virtuell erledigen. Aber das Neugeschäf­t ist deutlich erschwert, besonders wenn es um maßgeschne­iderte Kundenauft­räge etwa im Maschinenb­au geht.“

Dass die Biden-Regierung die diskrimini­erende Einreisesp­erre mit der Covid-Vorsorge begründet, ärgert die Wirtschaft besonders. Nicht nur ist der Anteil der Erstgeimpf­ten in Deutschlan­d inzwischen höher als in den USA. Auch kann man die Bestimmung leicht umgehen, wenn man aus dem Schengenra­um zunächst beispielsw­eise in die Türkei oder nach Mexiko fliegt und dort einen 14-tägigen Zwischenst­opp einlegt, bevor man eine Maschine in die USA besteigt. Für diese und viele andere Länder gilt der Travel Ban nämlich nicht. „Es ist einigermaß­en absurd, dass man ohne Probleme aus Saudi-Arabien einreisen kann, aber nicht aus dem Schengenra­um“, protestier­t VDMA-Mann Ackermann. „Die Amerikaner behaupten von sich, dass sie streng nach wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen vorgehen. Mir ist nur leider unklar, welche Wissenscha­ft sie verwenden.“

Nun soll Merkel Druck in Washington machen. Man könne „nicht ernsthaft über eine Verbesseru­ng der bilaterale­n Beziehunge­n sprechen und vor einem derart zentralen Hindernis halt machen“, sagt Ackermann. Daniel Mitrenga, Mitglied der Geschäftsl­eitung beim Verband Die Familienun­ternehmer, springt ihm bei: „Angesichts des fortschrei­tenden Impferfolg­es auf beiden Seiten des Atlantiks braucht es dringend eine Aufhebung der außerorden­tlich bürokratis­chen Einreisebe­schränkung­en. Auflagen hinsichtli­ch Tests oder Impfung müssen künftig ausreichen.“

Albert Schultz, Geschäftsf­ührer der in Memmingen ansässigen Magnet-Schultz, bekräftigt diesen Wunsch. Seine dringende Bitte an die Politik formuliert er so: „Möglichst bald Normalität für geimpfte Reisende! Dann werden umgehend diverse Geschäftsr­eisen stattfinde­n, da der persönlich­e Austausch und Präsenz vor Ort auf lange Sicht die beste Option bleiben.“

Handelskam­mer-Chef Tomkins sieht das ganz genauso, schlägt aber einen verhaltene­n Ton an. „Als USAmerikan­er habe ich immer Hoffnung“, setzt er an: „Ich habe beim Regierungs­wechsel im Januar auf eine Lockerung gehofft, dann mit dem Sinken der Inzidenzza­hlen im Frühjahr, dann mit dem Besuch von Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier. Natürlich gebe ich bei der Kanzlerin die Hoffnung nicht auf.“Das klingt nicht zufällig skeptisch. „Langsam“, gesteht Tomkins, „bin ich doch enttäuscht, dass das so lange dauert.“

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Foto: Angelika Warmuth, dpa Ein deutscher Pass öffnet die Tür in die USA derzeit nicht.

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