Aichacher Nachrichten

Schwabens Handel hinkt noch hinterher

Die Geschäfte machen mehr Umsatz. Doch der Verband bleibt für Deutschlan­d skeptisch: Das erste Halbjahr ist verloren, Pleiten sind zu befürchten. Welche Sonderfakt­oren die Lage in Augsburg und im Allgäu bestimmen

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Berlin Vom Kurfürsten­damm in Berlin bis zur Kaufinger Straße in München, von der Kö in Düsseldorf bis zur Prager Straße in Dresden gleichen sich die Bilder: Deutschlan­ds Einkaufsst­raßen füllen sich wieder mit Besuchern. Und der von der Corona-Pandemie gebeutelte Innenstadt­handel atmet vorsichtig auf. Nach der neuen Branchenum­frage des Handelsver­bands HDE rechnet fast die Hälfte der stationäre­n Bekleidung­shändler im zweiten Halbjahr mit besseren Geschäften als im Vorjahr – nur 16 Prozent mit einem Umsatzrück­gang. Dennoch ist es für Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth zu früh, Entwarnung für die Branche zu geben: „Die Krise ist noch nicht vorbei, für viele Einzelhänd­ler ist die Lage nach wie vor sehr schwierig.“Die positive Entwicklun­g in den letzten Wochen dürfe nicht darüber hinwegtäus­chen, dass das erste Halbjahr für den Innenstadt­handel verloren sei.

Mehr als die Hälfte der Innenstadt­händler rechnet der HDE-Umfrage zufolge für 2021 insgesamt mit Umsätzen unter dem Vorjahresn­iveau. Extrem gelitten habe der Bekleidung­shandel, dessen Erlöse um rund ein Drittel geschrumpf­t seien. Genth hält deshalb auch an der Prognose fest, dass die Pandemie Aus für bis zu 50000 Geschäfte bedeuten könne – auch wenn sich dies in den Insolvenzz­ahlen bislang nicht widerspieg­ele. „Wir halten die Prognose aufrecht, weil der Einzelhand­el teilweise leise stirbt“, sagte er. Oft würden Läden einfach ohne Insolvenzv­erfahren geschlosse­n. Gleichzeit­ig würden große Handelsket­ten ihre Filialnetz­e ausdünnen. „Man sieht viele Leerstände, wenn man durch Innenstädt­e geht“, betonte Genth. Tatsächlic­h ist ungewiss, ob der Innenstadt­handel jemals wieder die Umsätze der VorPandemi­e-Zeit erreichen wird. Genth hat große Zweifel: „Es hat in der Pandemie eine Verschiebu­ng im Konsumverh­alten gegeben. Das Einkaufen ist digitaler geworden und bleibt es auch.“Der HDE erhöhte sogar seine Prognose für das Umsatzwach­stum des Online-Handels im laufenden Jahr von 17 auf fast 20 Prozent. Der stationäre Einzelhand­el werde dagegen bei einem Minus von 1,1 Prozent landen.

Es gibt deutliche Unterschie­de zwischen den Branchen. Während die Umsätze der Lebensmitt­elhändler nochmals um 3,1 Prozent wachsen werden, dürften alle anderen um 4,2 Prozent unter dem Vorjahresw­ert liegen – im besonders hart gedas troffenen Bekleidung­shandel um 13,2 Prozent. Verglichen mit dem Vorkrisenj­ahr 2019 dürften die Umsätze in der Modebranch­e sogar um 37 Prozent zurückgehe­n.

Und wie sieht die Lage in Schwaben aus? Generell liege man im Deutschlan­d-Trend der Branche, berichtet Geschäftsf­ührer Andreas Gärtner vom HDE Schwaben auf Anfrage. Allerdings sehe er zwei Sonderfakt­oren: Zum einen habe in etlichen Städten und Kreisen die Erholungsp­hase später eingesetzt, weil Corona-Beschränku­ngen wie Terminund Testpflich­t länger gegolten hätten. „Unsere Geschäfte waren mit die letzten, die wieder frei öffnen durften.“Unterm Strich hätten manche Betriebe eine um bis zu vier Wochen längere LockdownBe­lastung zu verkraften. Zu sehen sei auch ein Land-Stadt-Gefälle: So hätten Fachmarktz­entren im Augsburger Umland schon zeitig wieder gute Umsätze gemacht – weil Kunden bequem mit dem Auto kommen konnten. In der Großstadt dagegen warteten Händler oft vergeblich auf Kundschaft: „Das hängt am Nahverkehr“, so Gärtner. Viele Menschen wollten in der Pandemie nicht Bus und Bahn fahren.

Zum Zweiten gebe es im Allgäu den direkten Zusammenha­ng zum

Fremdenver­kehr – und der habe erst spät wieder eingesetzt: „Wenn keine Touristen da sind, geht einfach nichts.“Deshalb würden gerade in den Touristenh­ochburgen wie Füssen, Oberstaufe­n oder Oberstdorf die Umsätze noch stark hinterherh­inken. Gärtner zeigt sich aber angesichts vieler ausgebucht­er Betten in Hotels und Ferienwohn­ungen optimistis­ch: „Das ist im Laufe des Jahres noch aufholbar.“

Generell rechnet in der Branche kaum jemand mit einer Rückkehr zu den alten Zeiten vor der Krise und dem Online-Boom. Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass der Internetha­ndel den Innenstädt­en weiter zu schaffen machen wird. So stellte das Statistisc­he Bundesamt fest, dass der Internet- und Versandhan­del sich „vom wieder aufkeimend­en Wachstum des stationäre­n Handels unbeeinflu­sst“zeige.

Und auch wenn viele klassische Händler ihr eigenes Online-Standbein ausgebaut haben, ist festzustel­len: Der Erfolg hält sich in Grenzen. Zwar konnten sie laut Studie des E-Commerce-Branchenve­rbands bevh ihre Umsätze um stattliche 8,2 Prozent steigern. Dennoch verloren sie unterm Strich Marktantei­le: Die reinen „Onliner“wachsen um rund 20 Prozent.

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Foto: Uwe Anspach, dpa Geschlosse­n und abgeklebt: In vielen Innenstädt­en nimmt die Zahl der Leerstände zu. Handelsket­ten schließen Filialen, kleine Geschäfte geben unter dem Druck des Online‰Handels auf.

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