Aichacher Nachrichten

Europas Bauplan für eine grüne Zukunft

Die EU-Kommission hat ihren Fahrplan zur Klimaneutr­alität vorgestell­t. Ab 2035 sollen keine neuen Autos mit Diesel- oder Benzinmoto­r mehr verkauft werden

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Fahrplan steht. Ab 2035 dürfen nur noch Neufahrzeu­ge zugelassen werden, die 100 Prozent weniger CO2 ausstoßen als heute. Es ist das Aus für Benzin- und DieselFahr­zeuge. In jedem Jahr müssen Bund, Länder und Kommunen drei Prozent der öffentlich­en Gebäude sanieren. Heizöl und Kraftstoff sowie Kerosin werden teurer. Das sind die Grundzüge des umfassends­ten Gesetzespa­ketes, das die EU je erlassen hat. Es besteht aus insgesamt zehn einzelnen Regelwerke­n.

„Wir werden unser Ziel erreichen, 2050 der erste klimaneutr­ale Kontinent der Welt zu sein“, sagte Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der EU-Kommission, bei der Vorstellun­g der Beschlüsse am Mittwoch in Brüssel. Allerdings ist das nur der erste Schritt. Nun beginnen die Verhandlun­gen über das Paket im EU-Parlament und mit den 27 Mitgliedst­aaten – Änderungen sind nicht nur wahrschein­lich, sondern sicher.

CO2-Emissionen kosten Geld – das ist der rote Faden, der sich durch alle Vorschläge zieht. Man wolle durch „Innovation­en in saubere Energie und dann hin zu einer echten Kreislaufw­irtschaft“kommen, betonte von der Leyen. Zum zentralen Element wird der Emissionsh­andel. Dabei müssen alle, die CO2 emittieren, Zertifikat­e erwerben – vereinfach­t gesagt: Verschmutz­ungsbons. Wer viel CO2 in die Luft bläst, zahlt mehr und wird so dazu angehalten, auf eine klimaschon­ende oder klimaneutr­ale Produktion umzustelle­n.

„Alle müssen sich auf saubere Produkte konzentrie­ren“, sagte die Kommission­spräsident­in. So soll es neben dem bestehende­n Emissionsh­andel ein System für die Luft- und

Schifffahr­t geben. „Ein Kreuzfahrt­schiff emittiert pro Tag so viel CO2 wie 80000 Autos“, betonte von der Leyen. Das könne nicht so bleiben.

Ein weiteres eigenes System soll für Gebäude und Verkehr eingeführt werden. Dort wittern die Brüsseler Experten den meisten Reduzierun­gsbedarf des Klimakille­rs. Derzeit darf die Fahrzeugfl­otte der Hersteller im Durchschni­tt aller Modelle 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Schon bisher hatte man sich darauf verständig­t, diesen Wert bis 2030 um weitere 37,5 Prozent zu senken. Allerdings gingen die Kohlendiox­id-Belastunge­n trotz moderner Motoren nicht zurück. Sie stiegen zwischen 1995 und 2019 um 5,1 Prozent, im Güterverke­hr war 2019 sogar ein Plus von 21 Prozent zu verzeichne­n. Der neue Vorstoß geht noch weiter: Minus 55 Prozent bis 2030 und minus 100 Prozent bis 2035. Bei einer durchschni­ttlichen Lebensdaue­r heutiger Autos von zehn bis 15 Jahren wären dann im entscheide­nden Jahr 2050 nur noch Null-Emissionen-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs.

„Diese Ziele kann die Wirtschaft nur erreichen, wenn die Unternehme­n wettbewerb­sfähig bleiben – im EU-Binnenmark­t und beim Export. Das heute vorgestell­te Gesetzespa­ket bietet viele Chancen“, kommentier­te Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), die Vorschläge. Die Wirtschaft befürchtet, die hohen Belastunge­n beim Umbau ihrer Produktion werde ihr große Wettbewerb­snachteile auf dem Weltmarkt bringen. Doch dagegen setzt man in Brüssel eine sogenannte Ausgleichs­teuer: Produkte, die nicht klimaneutr­al hergestell­t wurden, sollen durch eine Art Zoll verteuert werden, um den Nachteil für europäisch­e Konzerne aufzufange­n.

Ob das allerdings mit den Bestimmung­en der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) harmoniert, ist völlig offen. Das Instrument steht auf wackeligen Füßen. Doch das ist nicht das einzige Problem.

David Sassoli, Präsident des Europäisch­en Parlamente­s, sagte am Mittwoch: „Die EU hat bewiesen, dass es möglich ist, Emissionen zu senken und gleichzeit­ig zu wachsen und Arbeitsplä­tze zu schaffen. Lassen Sie uns diesen Weg fortsetzen und sicherstel­len, dass niemand zurückgela­ssen wird.“Tatsächlic­h wollen von der Leyen und ihre Kommission parallel zu ihrer ökologisch­en Wende einen sozialen Ausgleichs­fonds einrichten. Der soll zum einen dafür sorgen, dass es unter den EU-Mitgliedst­aaten keine Kluft zwischen jenen gibt, die viel Geld in den Übergang zur Klimaneutr­alität pumpen können, und jenen, die wegen knapper Mittel das Nachsehen haben.

Zugleich will Brüssel auch einen Mechanismu­s aufbauen, der verhindert, dass immer mehr Menschen nicht mal genug Geld zum Heizen ihrer Wohnungen haben – eine Situation, die bereits mehrfach aus dem Osten der Union berichtet wurde. In Brüssel beginnt nun das große Rechnen, denn die Brüsseler EU-Kommission hat nach Meinung von Kritikern viele Unwägbarke­iten in ihrem Modell ausgeklamm­ert. So gehen Null-Emissions-Fahrzeuge als klimaneutr­al in die Statistik ein. Dass die Herstellun­g der Batterien mehr Energie verschling­t als der Bau eines Verbrennun­gsmotors, bleibt außen vor.

Eine große Rolle spielt die Speicherun­g von CO2 in Wäldern und Böden. Deshalb will Brüssel mit Aufforstun­gsprogramm­en diese Möglichkei­ten ausbauen, hat aber dabei offenbar schwer zu erreichend­e Ziele zugrunde gelegt. Auch da, so hieß es gestern in Brüssel, arbeite die Behörde mit ungenauen Angaben nicht wirklich tragfähig. Doch dies seien, so war von der Kommission zu hören, „Positionen, die man in den nun anlaufende­n Beratungen auch noch nachjustie­ren“könne.

Die Frage ist, ob dafür genügend Zeit bleibt. Denn alle vorgeschla­genen Maßnahmen müssen spätestens 2023 in Kraft treten. Sonst wirken sie zu spät, um die gestern beschworen­en Ziele noch erreichen zu können.

Sanierung öffentlich­er Gebäude

Zuschüsse zum Heizen für ärmere Haushalte

 ?? Foto: Valeria Mongelli, dpa ?? Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (Dritte von links) und Vizepräsid­ent Frans Timmermans (links) haben große Pläne: Der Kontinent soll klimaneutr­al werden.
Foto: Valeria Mongelli, dpa Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (Dritte von links) und Vizepräsid­ent Frans Timmermans (links) haben große Pläne: Der Kontinent soll klimaneutr­al werden.

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