„Einige werden sie beim Impfen nie erreichen“
Momentan ist die Covid-Lage entspannt am Universitätsklinikum Augsburg. Wo es dennoch Engpässe gibt und was der Ärztliche Direktor von einer Impfpflicht für Pflegekräfte hält
Herr Professor Beyer, wie ist die Lage, wie viele Covid-Patienten werden in Ihrem Haus aktuell behandelt?
Professor Michael Beyer: Wir hatten letzte Woche gar keinen CovidPatienten mehr, weder auf einer unserer Normal- noch auf einer Intensivstation. Heute haben wir nun zwei nachgewiesene Fälle und drei Verdachtsfälle, aber niemanden auf der Intensivstation. Momentan ist für uns die Covid-Lage also entspannt.
Wie sehr beunruhigt Sie die DeltaVariante?
Beyer: Ich sage es einmal so: Wir hatten die britische Variante, jetzt haben wir die Delta-Variante, es wird wahrscheinlich noch die Epsilonund die Lambda-Variante kommen. Wer weiß das schon? Fakt ist – und das wird aktuell ja auch diskutiert – inwieweit die Inzidenz als alleiniger Parameter aussagekräftig ist. Und wir haben von Anfang an gesagt, dass der entscheidende Punkt nicht allein die Inzidenz sein kann, sondern die Antworten auf die Fragen: Wie belastet sind die Kliniken? Und: Kommt das Gesundheitssystem unter Druck? Ich bin mir sicher, wir werden hier wieder sehr schnell reagieren können, wenn das der Fall sein wird.
Jetzt besteht noch keine Gefahr? Beyer: Man muss die Lage sehr eng exakt überprüfen. Aktuell aber sehen wir hier in Augsburg – aber auch die anderen Krankenhäuser in Bayern – noch keine schweren Fälle auf uns zukommen, obwohl ja etwa die Hälfte der neuen Fälle mit der Delta-Variante infiziert sind.
Das heißt, auch auf Ihren Intensivstationen – das ist ja auch ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Lage – ist es momentan entspannt. Beyer: Nein, das kann man so nicht sagen. Da schon vor Corona die Lage auf den Intensivstationen nicht entspannt war und das ist sie generell nie. Denn schon vor Corona hatten wir zu wenig Intensivbetten zur Verfügung. Man darf nicht vergessen: Wir sind ein Maximalversorger mit einem Einzugsgebiet von zwei Millionen Menschen.
Wie viele Intensivbetten haben Sie? Beyer: Wir haben 80 Intensivbetten.
Aber die Kliniken bekamen im vergangenen Jahr auch Geld als Ausgleich für verschobene oder ausgefallene Operationen und um freie Kapazitäten zu schaffen. Die Uniklinik Augsburg bekam 15,6 Millionen. Wie viel neue Intensivbetten entstanden denn?
Beyer: Wir könnten theoretisch auf 120, 130 Intensivbetten aufstocken. Rein, was die apparative Ausstattung angeht. Das Problem ist aber im Intensivbereich ein anderes – und das Problem haben nicht nur wir hier in Augsburg: Uns fehlen die Ärzte und die Pflegekräfte.
Ein Problem, das ja schon während der Pandemie die Lage verschärfte ...
Beyer: So ist es. Denn die Behandlung von Covid-Patienten ist noch arbeitsintensiver als die von normalen Intensivpatienten. Und wir waren eines der Häuser, das am stärksten betroffen war. Durch die Krise sind wir nur gekommen, weil die Bereitschaft unserer Pflegekräfte so groß war, hier einzuspringen.
Das heißt konkret?
Beyer: Viele Teilzeitkräfte haben beispielsweise aufgestockt. Die Wertschätzung und der Dank an die Leistung der Ärzte und Pflegekräfte kann wirklich gar nicht groß genug sein. Sie haben Enormes geschultert. Als kleines Dankeschön haben wir nun im Übrigen eine SommerLounge aufgebaut, auf der wir mit verschiedenen Aktionen und Angeboten unseren Dank auch zeigen möchten.
Aber was machen Sie gegen den massiven Personalmangel?
Beyer: Wir versuchen uns als interessanter und attraktiver Arbeitgeber noch stärker zu positionieren. Und wir machen auch intern gerade beim Punkt flexible Arbeitszeiten sehr viel, damit gerade auch junge Mitarbeiter Beruf und Familie besser vereinbaren können. Außerdem laufen Rekrutierungskampagnen, auch über soziale Medien, um gerade junge Menschen anzusprechen.
Wie viele Pflegekräfte fehlen Ihnen?
Beyer: Das kann man sich leicht ausrechnen: Der Schlüssel besagt, dass für zwei Intensivbetten eine Pflegekraft da sein muss. Bei Schichten an sieben Tagen rund um die Uhr braucht man also etwa sechs bis sieben Intensivpflegekräfte, um zwei zusätzliche Intensivbetten zu betreiben. Man sieht, wie groß der personelle Ressourcenbedarf gerade im Intensivbereich ist.
Wo haben Sie dann das Geld investiert?
Beyer: Wir haben ganz gezielt vor allem die apparative Ausstattung hochgefahren. Und wir mussten ja das gesamte Haus umgestalten, hier waren Umbaumaßnahmen notwendig, auch haben wir Hilfskräfte eingestellt.
Apropos Personal: Wie hoch ist die Impfquote bei den Mitarbeitern in Ihrem Haus?
Beyer: Das können wir ziemlich genau anhand des verabreichten Impfstoffes sagen: Wir haben eine sehr hohe Quote von rund 70 Prozent.
In anderen europäischen Ländern werden nun Pflegekräfte zur Impfung verpflichtet. Für Sie ein guter Weg?
Beyer: Das ist in erster Linie eine politische Frage. Ich persönlich glaube nicht, dass man Menschen zum Impfen zwangsverpflichten kann, die große Vorbehalte haben. Man kann Aufklärungskampagnen intensivieren. Aber Arbeitskräfte zu verpflichten, sich impfen zu lassen und in dem Moment, in dem sie sich nicht impfen lassen, auszustellen, diesen Schritt würde ich unter keinen Umständen gehen. Ich glaube sogar, dass man, wenn man diese Überlegungen weiter verschärft, eher das Gegenteil erreicht.
Dass Trotz und Ablehnung entstehen?
Beyer: Genau. Und was machen wir denn, wenn eine nicht unerhebliche
Zahl an Pflegekräften sagt, sie lassen sich nicht impfen, und wir sie dann nicht weiter beschäftigen? Man stelle sich vor, was das für die Krankenversorgung bedeuten würde.
Macht Ihnen die generelle Impfmüdigkeit keine Sorge?
Beyer: Einen gewissen Sättigungsgrad habe ich schon erwartet. Ich prognostiziere ihn bei etwa 60 Prozent. Denn man darf sich hier nichts vormachen: Wir werden nie eine hundertprozentige Impfbereitschaft haben. Umso wichtiger ist es aber, dass die Kampagnen jetzt intensiviert werden, beispielsweise mit den To-go-Aktionen, damit könnte man noch einmal zehn bis 15 Prozent erreichen. Einige werden sie aber nie erreichen, egal, was sie machen.
Viele Operationen wurden durch Corona verschoben. Wie viele werden jetzt nachgeholt?
Beyer: Wir hatten Operationen mindestens im hohen dreistelligen Bereich, die aufgrund der Krise verschoben werden mussten und die wir nun versuchen nachzuholen.
Und Blutkonserven fehlen auch noch. Beyer: Also das Problem konnten wir zumindest bisher immer händeln. Bei uns wurde zum Glück bisher keine Operation verschoben, weil zu wenig Blut vorhanden ist. Das große Problem ist, wie gerade geschildert, der Intensivbettenmangel, und wir haben gerade bei den großen Operationen, bei denen der Patient nach der OP ein Intensivbett braucht, Engpässe, da wir zu wenig Intensivpflegekräfte, aber zum Beispiel auch zu wenig Instrumentierschwestern haben. Wir können momentan nicht alle Operationssäle betreiben, weil wir personelle Lücken haben. Wir schieben also eine ganz schöne Bugwelle an Operationen vor uns her.
Es waren vor allem auch Ärzte und Pflegekräfte, die sich an ihrem Arbeitsplatz mit Covid infiziert haben. Wie viele waren es in Ihrem Haus?
Beyer: Über 700 Mitarbeiter aller Berufsgruppen haben sich infiziert.
Sie haben jetzt auch eine eigene PostCovid-Ambulanz. Wie viele Ihrer Mitarbeiter leiden denn an Post-Covid?
Beyer: Das sind sicher einige. Schätzungsweise sind es fünf bis acht Prozent von denjenigen, die sich mit Covid infiziert haben. Man darf hier aber nicht vergessen: Die psychologische Herausforderung war für alle Mitarbeiter in dieser Pandemie ausgesprochen hoch, auch für die, die nicht erkrankten. Und nun, wo die Anspannung ein wenig nachlässt, zeigt sich oft erst dieser massive Stress. Das kann sogar dazu führen, dass der eine oder andere ins Burnout getrieben wird.
Patienten und Angehörige leiden noch immer sehr unter den restriktiven Besucherregeln. Wann ändern die sich?
Beyer: Das ist mir ein Herzensanliegen. Denn ich kann mir wirklich vorstellen, wie schlimm es ist, wenn man als kranker Mensch im Krankenhaus kaum Besuch bekommen darf. Wir müssen hier aber vorsichtig vorgehen. Wir beobachten jetzt die Delta-Variante weiter, hoffen aber, dass wir im Laufe des Sommers noch Lockerungen verkünden können.
Interview: Daniela Hungbaur
Professor Michael Beyer, 65, ist Chirurg sowie der Ärztliche Direktor und der Vorstandsvorsitzende des Augsburger Uniklinikums.