Wie man sich neu verwurzelt
„Minari“zeigt, welche Bereicherung für das US-Kino in der asiatisch-amerikanischen Perspektive steckt. Für die Geschichte einer Einwandererfamilie gab es einen Golden Globe
Das neue Zuhause steht auf Rädern mitten in der Landschaft. Davor erstreckt sich eine fünf Hektar große Wiese. „Das ist nicht das, was du versprochen hast“, sagt Monica (Yeri Han) leise zu ihrem Mann. Aus Kalifornien ist die Familie Anfang der Achtzigerjahre ins ländliche Arkansas gezogen, um einen Neuanfang zu wagen. Was seine Frau als triste Einöde empfindet, ist für Jacob (Steven Yeun) ein Ort der Hoffnung. Er gräbt die Hände in den Boden. Das hier sei die beste Erde in ganz Amerika, behauptet der Familienvater. Hier werde er Gemüse anbauen – koreanisches Gemüse für die vielen anderen Immigranten, die genau wie sie aus Korea in die USA gekommen sind und die Speisen ihrer Heimat vermissen.
Ein paar Kilometer weiter steht eine Hühnerfabrik, wo die beiden wie schon zuvor in Kalifornien im Akkord die männlichen Küken fürs Krematorium aussortieren. „Du musst dich nützlich machen“sagt der Vater zu dem Sohn, der auf den qualmenden Schornstein blickt. Aber wenn die Gemüsefarm erst einmal läuft, so hofft Jacob, könnten sie endlich den stupiden Job aufgeben. Das Geld für den Wünschelrutengänger, der die Wasserader für den Brunnen finden soll, spart er sich. Durch vernünftiges Nachdenken werde er den richtigen Ort für einen Brunnen ausmachen, was Jacob in der Senke nahe der grünen Bäume auch gelingt. Der Einwanderer ist beseelt von der Vorstellung, aus dem Nichts mit den eigenen Händen für sich und seine Familie eine eigene Existenz aufzubauen.
Aber der amerikanische Traum ist in Lee Isaac Chungs „Minari“eine unstete Angelegenheit. Er fordert Fleiß, Risiken und Zuversicht ein, ohne seine Versprechungen verlässlich einlösen zu können. Die Vernunft reicht als alleiniger Ratgeber nicht aus. Das Schicksal spielt auch eine große Rolle, und das Glück ist nicht immer auf Jacobs Seite, wenn der Brunnen plötzlich versiegt oder der Abnehmer mitten in der Erntesaison plötzlich abspringt und das Gemüse im Kühlhaus verdirbt.
Vor allem aber nagt die Jagd nach dem amerikanischen Traum an den Ehe- und Familienstrukturen, die sich in diesem ganz anderen Leben neu justieren müssen. Monica holt ihre Mutter Soonja (Oscar für die beste Nebendarstellerin: Yuh-Jung Youn) aus Korea nach Arkansas, damit diese auf die Kinder aufpassen kann – aber vor allem, um die eigenen Wurzeln zu spüren. „Sie ist keine richtige Oma“, behauptet der fünfjährige David. Die alte Dame kann weder kochen noch Kuchen backen, dafür umso besser Karten spielen. Und sie rieche nach Korea, stellt der Junge fest, der ein schwaches Herz hat und sich nicht anstrengen darf. Aber während das strauchelnde Farmgeschäft die Eltern zunehmend auseinandertreibt, finden der skeptische Enkel und die schräge Großmutter langsam zueinander. Dabei wächst das eigentliche Glück an unerwarteten Stellen. Etwa wenn das Loch im Herzen des Sohnes, der von dem kleinen Alan S. Kim mit einnehmendem Charme verkörpert wird, von selbst wieder zugewachsen ist. Das Glück sprießt hier ohne großes Zutun, so wie das titelgebende nahrhafte Minari-Kraut, das die Großmutter am Rand des Bachs ausgesät hat und das nun schon die ganze Böschung überwuchert.
Weder Verklärung noch Verbitterung bestimmen den Blick, den Chung auf die Verheißungen des amerikanischen Traumes wirft. Ohne Parteinahme beobachtet er die Dynamik in der Einwandererfamilie, die im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten Fuß zu fassen und das „Streben nach Glück“, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verbrieft ist, in die Tat umzusetzen versucht. Regisseur Chung, der selbst als Sohn von koreanischen Einwanderern auf einer Farm im ländlichen Arkansas aufgewachsen ist, befragt diesen Mythos mit einem genauen und sehr zärtlichen Blick auf die Figuren, angenehm ungeschwätzigen Dialogen und einer metaphorischen Bildsprache, die ihre Kraft aus den Weiten der Natur und den eigenen kulturellen Wurzeln schöpft.
Vor allem aber zeigt der Film, welche erzählerische und ästhetische Bereicherung für das US-Kino in der asiatisch-amerikanischen Perspektive steckt, die in Hollywood bisher weitgehend vernachlässigt wurde. Es ist ein Blick der feinen Nuancen, der ohne Polarisierungen auskommt und einen tragfähigen, mäandernden Erzählfluss bildet. Diese Haltung und die unverbaute, kritische Sicht auf amerikanische Mythen verbinden „Minari“, der absurderweise als „bester fremdsprachiger Film“mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde, mit dem Oscargewinner „Nomadland“der chinesischen Regisseurin Chloé Zhao. Von beiden dürfen wir noch viele beseelte Filme erwarten.
» Minari USA 2020, 115 Min.; Regie: Lee Isaac Chung; Darsteller: Yeri Han, Steven Yeun, YuhJung Youn