Tanzminister auf Touren
Wenn der Rhythmus treibt, der Bass vibriert und die Bläser fetzen, dann ist Jan Delay nicht weit. Der Sänger und seine Band Disko No. 1 sorgen beim Strandkorb Open Air für jede Menge gute Laune
Normalerweise gehört es sich nicht, aus einem zweistündigen Konzert eines großartigen Entertainers samt seiner großartigen Band genau die 20 Sekunden herauszupicken, in denen etwas schiefgeht. In diesen ausgerechnet ersten 20 Sekunden beim Strandkorb Open Air auf dem Messegelände hörte man ein bisschen was vom Schlagzeug, ein paar Tasten und die Bläser – und sonst, obwohl die zwölfköpfige Band schon voll ins erste Stück einstieg, eigentlich nichts. Das merkte Jan Delay dann bald selbst: „Was war da los?“, fragte er, „ich hab mich die ganze Zeit gefragt, wo der Bass bleibt.“Und das ist in diesem Kontext wahrlich ein erwähnenswerter Satz, denn an Bass mangelt es normalerweise weder den Platten noch den Auftritten des Hamburger Diskomeisters in keiner Sekunde.
Wenn man Hits am Fließband schreibt, kann man einen der größten auch gleich als zweiten Song in das ausverkaufte Haus feuern. „Klar“von der Funkhommage „Mercedes Dance“ist so etwas wie Delays Regierungserklärung in seiner Funktion als amtierender Chef des Tanzministeriums der Bundesrepublik Deutschland. Das liegt in Hamburg-Eimsbüttel, und Herr Jan Philipp Eißfeldt steht dem Haus seit dem Absolute Beginner-Debüt „Flashnizm“1996 nun in seiner siebten Legislaturperiode vor, um der Nation das Tanzen beizubringen. Und ihr zu sagen, dass es mehr zu hören gibt als hannoveranischen Rock ’n’ Roll. Er kümmerte sich um alle Ressorts der Bassmusik, brachte mit den Beginnern das erste Mal ernst zu nehmenden Hip Hop ins Bundesgebiet und erzählte seiner Wählerschaft dann als Solokünstler von Reggae, Funk und Soul.
Und als Tanzminister muss man seine Botschaften auch nicht in dröge Wahlprogramme oder langatmige Reden packen, sondern kann aus dem Vollen schöpfen. „Spass“hat funky Gitarren, einen schönen alten Lo-Fi-Beat aus den EimsbuschKellern von DJ Mad und live ordentlich Energie dank Bläsersatz und souligem Backgroundgesang. Ein wichtiges Anliegen hat er auch, Jan Delay sorgt sich um die Spaltung der Gesellschaft, um die wachsende
Aggression der neuen Rechten und die Unversöhnlichkeit der „besorgten Bürger“. Nur, diesen Hass zu unterstellen, weil sie nicht wissen, wie man Spaß habe, ist eine doch recht dünne Diskursmasse. Als könne ein rechtsradikaler Anschlag auf eine Shishabar mit einer guten Diskoplatte verhindert werden.
Von diesen hat Delay einige in der Diskografie stehen, seine vor zwei Monaten erschienene, fünfte Soloplatte „Earth, Wind & Feiern“ist vielleicht die erste, die nicht das hanseatische Gütesiegel „derbe“verdient. Vielleicht sollte es so eine Art „Best Of“der ersten vier Alben werden, ein „Von allem ein Bisschen“ist es schließlich geworden. Es gibt viel Vertrautes, aber eben auch sich den neuen Sounds anbieAfrobeat- und Trap-Elemente, und leider hat auch niemand den Autotune aus dem Studio geräumt, bevor Jan Delay seine Parts eingesungen hat.
Doch live auf der Bühne gibt es keine künstliche Verfremdung der Stimme, da gibt es das reine, seit zweieinhalb Jahrzehnten polarisierende Näseln von Jan Delay und ehrliche gute Laune. Man sieht ihm an und nimmt ihm ab, dass er es nicht erwarten konnte, wieder Konzerte zu spielen, vor allem mit dieser Band in seinem Rücken. Denn Disko No. 1 sind eine Bank, Delays Regierungsbank sozusagen. Es gab einige Wechsel, doch die Arbeitsgruppe „Rhythmusfraktion“mit Bassist Ali Busse und dem Schlagzeuger Jost Nickels ist unverändert, und auch die Neuzugänge an Tasten, Mikro und Saiten haben die DNA der Band schon aufgesogen. So wird aus dem streitbaren „King von meim Ding“ein amtlicher Dancehall-Knaller, aus dem unspektakulären „Saxophon“ein treibender Ska-Song, und die aktuelle Single „Eule“zeigt den Minister auf Staatsbesuch bei den französischen Diskokönigen Daft Punk. Der Bass vibriert in den Rückenlehnen der Strandkörbe, doch das bekommen die meisten der 1412 Gäste gar nicht mit, die standen schon zur Intro und nutzten die ihnen zugesprochenen zwei Quadratmeter vor den Strandkörben zum Tanz.
Die Veranstaltung ist zu kontrolliert, die Nachbarn zu weit weg, die Bühne zu hoch, um die Ekstase erdernde zeugen zu können, die ein Konzert der Disko No. 1 normalerweise verdient. Trotzdem verschmelzen die Band und das Publikum spätestens mit dem treibenden, brodelnden Instrumentalteil von „Raveheart“zu einer großen Diskokoalition. „Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“, heißt es auf dem neuen Album.
Um das Feuer der Band samt ihres Protagonisten muss man sich keine Sorgen machen, sie brennen für ihre Musik und ihr Publikum. Und Jan Delay wird, solange er sich seine stylishen Anzüge noch selbst anziehen kann, der Volksvertreter für tanzbare Musik bleiben und der Nation den Bass bringen. Selbst, wenn der mal für 20 Sekunden nicht zu finden ist.