Aichacher Nachrichten

Tanzminist­er auf Touren

Wenn der Rhythmus treibt, der Bass vibriert und die Bläser fetzen, dann ist Jan Delay nicht weit. Der Sänger und seine Band Disko No. 1 sorgen beim Strandkorb Open Air für jede Menge gute Laune

- VON SEBASTIAN KRAUS

Normalerwe­ise gehört es sich nicht, aus einem zweistündi­gen Konzert eines großartige­n Entertaine­rs samt seiner großartige­n Band genau die 20 Sekunden herauszupi­cken, in denen etwas schiefgeht. In diesen ausgerechn­et ersten 20 Sekunden beim Strandkorb Open Air auf dem Messegelän­de hörte man ein bisschen was vom Schlagzeug, ein paar Tasten und die Bläser – und sonst, obwohl die zwölfköpfi­ge Band schon voll ins erste Stück einstieg, eigentlich nichts. Das merkte Jan Delay dann bald selbst: „Was war da los?“, fragte er, „ich hab mich die ganze Zeit gefragt, wo der Bass bleibt.“Und das ist in diesem Kontext wahrlich ein erwähnensw­erter Satz, denn an Bass mangelt es normalerwe­ise weder den Platten noch den Auftritten des Hamburger Diskomeist­ers in keiner Sekunde.

Wenn man Hits am Fließband schreibt, kann man einen der größten auch gleich als zweiten Song in das ausverkauf­te Haus feuern. „Klar“von der Funkhommag­e „Mercedes Dance“ist so etwas wie Delays Regierungs­erklärung in seiner Funktion als amtierende­r Chef des Tanzminist­eriums der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Das liegt in Hamburg-Eimsbüttel, und Herr Jan Philipp Eißfeldt steht dem Haus seit dem Absolute Beginner-Debüt „Flashnizm“1996 nun in seiner siebten Legislatur­periode vor, um der Nation das Tanzen beizubring­en. Und ihr zu sagen, dass es mehr zu hören gibt als hannoveran­ischen Rock ’n’ Roll. Er kümmerte sich um alle Ressorts der Bassmusik, brachte mit den Beginnern das erste Mal ernst zu nehmenden Hip Hop ins Bundesgebi­et und erzählte seiner Wählerscha­ft dann als Solokünstl­er von Reggae, Funk und Soul.

Und als Tanzminist­er muss man seine Botschafte­n auch nicht in dröge Wahlprogra­mme oder langatmige Reden packen, sondern kann aus dem Vollen schöpfen. „Spass“hat funky Gitarren, einen schönen alten Lo-Fi-Beat aus den EimsbuschK­ellern von DJ Mad und live ordentlich Energie dank Bläsersatz und souligem Background­gesang. Ein wichtiges Anliegen hat er auch, Jan Delay sorgt sich um die Spaltung der Gesellscha­ft, um die wachsende

Aggression der neuen Rechten und die Unversöhnl­ichkeit der „besorgten Bürger“. Nur, diesen Hass zu unterstell­en, weil sie nicht wissen, wie man Spaß habe, ist eine doch recht dünne Diskursmas­se. Als könne ein rechtsradi­kaler Anschlag auf eine Shishabar mit einer guten Diskoplatt­e verhindert werden.

Von diesen hat Delay einige in der Diskografi­e stehen, seine vor zwei Monaten erschienen­e, fünfte Soloplatte „Earth, Wind & Feiern“ist vielleicht die erste, die nicht das hanseatisc­he Gütesiegel „derbe“verdient. Vielleicht sollte es so eine Art „Best Of“der ersten vier Alben werden, ein „Von allem ein Bisschen“ist es schließlic­h geworden. Es gibt viel Vertrautes, aber eben auch sich den neuen Sounds anbieAfrob­eat- und Trap-Elemente, und leider hat auch niemand den Autotune aus dem Studio geräumt, bevor Jan Delay seine Parts eingesunge­n hat.

Doch live auf der Bühne gibt es keine künstliche Verfremdun­g der Stimme, da gibt es das reine, seit zweieinhal­b Jahrzehnte­n polarisier­ende Näseln von Jan Delay und ehrliche gute Laune. Man sieht ihm an und nimmt ihm ab, dass er es nicht erwarten konnte, wieder Konzerte zu spielen, vor allem mit dieser Band in seinem Rücken. Denn Disko No. 1 sind eine Bank, Delays Regierungs­bank sozusagen. Es gab einige Wechsel, doch die Arbeitsgru­ppe „Rhythmusfr­aktion“mit Bassist Ali Busse und dem Schlagzeug­er Jost Nickels ist unveränder­t, und auch die Neuzugänge an Tasten, Mikro und Saiten haben die DNA der Band schon aufgesogen. So wird aus dem streitbare­n „King von meim Ding“ein amtlicher Dancehall-Knaller, aus dem unspektaku­lären „Saxophon“ein treibender Ska-Song, und die aktuelle Single „Eule“zeigt den Minister auf Staatsbesu­ch bei den französisc­hen Diskokönig­en Daft Punk. Der Bass vibriert in den Rückenlehn­en der Strandkörb­e, doch das bekommen die meisten der 1412 Gäste gar nicht mit, die standen schon zur Intro und nutzten die ihnen zugesproch­enen zwei Quadratmet­er vor den Strandkörb­en zum Tanz.

Die Veranstalt­ung ist zu kontrollie­rt, die Nachbarn zu weit weg, die Bühne zu hoch, um die Ekstase erdernde zeugen zu können, die ein Konzert der Disko No. 1 normalerwe­ise verdient. Trotzdem verschmelz­en die Band und das Publikum spätestens mit dem treibenden, brodelnden Instrument­alteil von „Raveheart“zu einer großen Diskokoali­tion. „Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“, heißt es auf dem neuen Album.

Um das Feuer der Band samt ihres Protagonis­ten muss man sich keine Sorgen machen, sie brennen für ihre Musik und ihr Publikum. Und Jan Delay wird, solange er sich seine stylishen Anzüge noch selbst anziehen kann, der Volksvertr­eter für tanzbare Musik bleiben und der Nation den Bass bringen. Selbst, wenn der mal für 20 Sekunden nicht zu finden ist.

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Foto: Michael Hochgemuth Knackig umweht: Jan Delay während seines Auftritts beim Strandkorb Open Air.

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