Aichacher Nachrichten

Die Mutter des Opfers hofft auf Antworten

Stefan D. wurde bei einem Streit an einer Bushaltest­elle in Pfersee mit einem Messerstic­h getötet. Nun beginnt der Prozess gegen eine junge Frau. Die Angehörige­n wollen wissen, warum der 28-Jährige sterben musste

- VON INA MARKS

Was Anita D. von ihrem Sohn Stefan geblieben ist, sind die Erinnerung­en – und eine Kiste. In diese hat die Mutter seine Taufkerze gepackt, seinen Taufanzug, die letzte Kleidung, die er trug, und Bilder. Die 50-Jährige bewahrt die Kiste als Andenken auf. Sieben Monate sind seit dem gewaltsame­n Tod ihres Sohnes vergangen. Für die Mutter ist es, als sei alles erst gestern passiert. Trauer ist zäh.

Der 27. November war ein Freitag. Stefan D., 28, war mit Freunden im Augsburger Stadtteil Pfersee unterwegs, geriet an der Bushaltest­elle Uhlandstra­ße mit einem Pärchen in Streit. Plötzlich soll die damals 19 Jahre alte Fabienne K. ein Messer gezückt und zugestoche­n haben. Stefan D. starb innerhalb weniger Minuten. An diesem Donnerstag beginnt der Prozess gegen Fabienne K., die seit der Tat im Aichacher Gefängnis sitzt, vor der Jugendkamm­er des Augsburger Landgerich­ts. Die inzwischen 20-Jährige ist wegen Mordes angeklagt.

Rechtsanwa­lt Michael Weiss vertritt im Prozess die Mutter des Opfers. Anfang dieser Woche trifft sich der Anwalt mit der Frau, um ihr zu erklären, was sie im Prozess erwartet. Anita D. ist nervös. Sie hofft auf Antworten. Sie will wissen, warum ihr Junge, den Freunde „Dorschi“nannten, sterben musste. „Ich will wissen, was wirklich vorgefalle­n ist. Ich will, dass sie keine Ausreden sucht, sondern dazu steht, was sie getan hat“, sagt die Mutter. Sie – das ist Fabienne K., eine junge Frau, mit einer abgebroche­nen Friseurleh­re, angeklagt wegen Mordes. Verteidigt wird sie von Rechtsanwa­lt Werner Ruisinger. „Meine Mandantin wird sich im Prozess selbst dazu äußern und ihre Sicht der Dinge darstellen“, kündigt dieser an. Denn die zentrale Frage ist: Warum stach die junge Frau zu?

Zwei jeweils dreiköpfig­e Gruppen sollen am frühen Abend gegen 18.30 Uhr in Pfersee zunächst verbal aneinander­geraten sein. Zu der einen Gruppe, die sich an der Bushaltest­elle aufhielt, gehörten Stefan D. und zwei Freunde, zu der anderen Fabienne K., deren Freund und ein weiterer Bekannter. Gekannt hatte man sich offenbar nicht. Fabienne K. soll Stefan D. beschuldig­t haben, ihren Freund am Hintern angefasst zu haben. Es kam zum Streit, dann zu einer Rangelei zwischen dem 28-jährigen Freund der Angeklagte­n und „Dorschi“. Laut Staatsanwa­ltschaft soll Fabienne K. ein Klappmesse­r aus ihrer Handtasche genommen, in ihrer Manteltasc­he verborgen und dann damit unvermitte­lt zugestoche­n haben. Der Stich in den oberen Brustberei­ch war offenbar so wuchtig, dass Stefan D. binnen weniger Minuten auf offener Straße starb. Die Staatsanwa­ltschaft sieht das Mordmerkma­l der Heimtücke erfüllt, da das Opfer nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnen habe können. Auch für Nebenklage­vertreter Michael Weiss handelt es sich zweifelsfr­ei um Mord. Da Fabienne K. jünger als 21 ist, könnte sie nach dem Jugendstra­frecht verurteilt werden. Dann wäre bei Mord eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren möglich.

Strafverte­idiger Werner Ruisinger bewertet den Fall freilich anders. Heimtücke könne er hier nicht erkennen. Natürlich werde seine Mandantin im Prozess das Geschehene einräumen, sagt er. „Aber sie wird schildern, was genau passiert ist. Schließlic­h ist sie nicht an jenem Tag aufgestand­en und hat geplant, auf einen Menschen einzustech­en.“Fabienne K. sei eine zarte Persönlich­keit, die einen Rucksack voller Probleme mit sich trage. Ruisinger spricht von einer Affekthand­lung und von einer Überreakti­on seiner Mandantin.

Im Prozess dürfte auch zur Sprache kommen, was Fabienne K. nach Informatio­nen unserer Redaktion während ihrer Untersuchu­ngshaft in der JVA Aichach einer Sozialarbe­iterin erzählt haben soll. Demnach seien sie und ihr Freund nach dem verbalen Streit nach Hause gegangen, um sich zu beruhigen, Alkohol zu trinken und zu kiffen. Dann soll der Entschluss gefallen sein, sich das Ganze nicht gefallen zu lassen und zur Bushaltest­elle zurückzuke­hren. Die Mutter des Opfers macht die Tat nach wie vor fassungslo­s. „Sie hätten einfach heimgehen und es bei dem Streit belassen können.“

Anita D. leidet unter dem Tod ihres Sohnes. Freunde hätten sie in den vergangene­n, schweren Monaten aufgefange­n, erzählt sie. „Die Gespräche mit ihnen helfen mir“. Sie hat mit Walking angefangen, das tue ihr gut. Zudem steht sie im regelmäßig­en Kontakt mit der Freundin ihres Sohnes. Das Paar wollte eigentlich zusammenzi­ehen. Für Anita D. ist es inzwischen nicht mehr wichtig, wie das Urteil gegen Fabienne K. ausfallen wird. „Am Anfang hoffte ich, dass sie für zehn Jahre ins Gefängnis muss. Aber das macht Stefan auch nicht mehr lebendig“, sagt sie. Anita D. bleiben die Erinnerung­en und die Kiste mit den Sachen ihres Sohnes. Hineingesc­haut habe sie in die Kiste bislang nicht. „Das schaffe ich noch nicht.“Anwalt Michael Weiss glaubt, dass Anita D. erst wirklich mit der Verarbeitu­ng beginnen kann, wenn der Prozess beendet ist.

 ?? Foto: Annette Zoepf (Archivbild) ?? Stefan D. wurde im November vergangene­s Jahr an einer Bushaltest­elle im Stadtteil Pfersee erstochen. Nun beginnt der Mordprozes­s gegen eine junge Frau am Augsburger Landgerich­t.
Foto: Annette Zoepf (Archivbild) Stefan D. wurde im November vergangene­s Jahr an einer Bushaltest­elle im Stadtteil Pfersee erstochen. Nun beginnt der Mordprozes­s gegen eine junge Frau am Augsburger Landgerich­t.

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