Aichacher Nachrichten

Pflegebetr­ug: Über fünf Jahre Haft für heimliche Chefin

Das Landgerich­t verurteilt fünf Verantwort­liche des Augsburger Pflegedien­stes „Fenix“. Sie haben Kranken- und Pflegekass­en um über drei Millionen Euro geschädigt

- VON KLAUS UTZNI

Nach drei Monaten ist am Mittwoch im ersten Prozess um Millionenb­etrügereie­n der sogenannte­n „PflegeMafi­a“das Urteil gefallen: Die 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts unter Vorsitz von Johannes Ballis hat fünf Verantwort­liche des Pflegedien­stes „Fenix“wegen banden- und gewerbsmäß­igen Betrugs zu Freiheitss­trafen zwischen 20 Monaten sowie fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Drei Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Der Pflegedien­st hat Kranken- und Pflegekass­en über sieben Jahre hinweg systematis­ch durch falsche Abrechnung­en um über drei Millionen Euro geschädigt.

So wurden Leistungen an vor allem russischsp­rachigen Patienten abgerechne­t, die gar nicht erbracht worden waren. Außerdem waren mit den Patienten Verträge über eine 24-Stunden-Pflege abgeschlos­sen worden, obwohl mit den Kassen dazu gar keine Vereinbaru­ng bestand.

Im Oktober 2019 waren bei einer Großrazzia acht Pflegedien­ste im Stadtgebie­t sowie 120 Wohnungen durchsucht worden. An der Razzia nahmen 500 Polizisten teil. Der erste Prozess, der nach 15 Verhandlun­gstagen zu Ende ging, war anfänglich bis in den Dezember hinein terminiert worden. Allein die Anklage umfasste über 400 Seiten. Die fünf Angeklagte­n waren von zwölf Verteidige­rn vertreten worden. Dass der Mammutproz­ess früher als gedacht abgeschlos­sen werden konnte, ist vor allem den Geständnis­sen der Angeklagte­n zu verdanken.

Mit über fünf Jahren Haft am härtesten bestraft wurde Julia L., die offiziell als Qualitätsb­eauftragte des Pflegedien­stes firmierte. Wegen einer Vorstrafe hatten die Kassen sie nicht als Leiterin akzeptiert. Tatsächlic­h war die 43-Jährige aber laut Gericht die „heimliche Chefin“und damit „für alles verantwort­lich“, wie Richter Ballis sagte. Der mitangekla­gte Rechtsanwa­lt Torsten A. hatte eigens für Julia L. ein StrohmannK­onstrukt entworfen, in das seine ganze Familie offiziell eingebunde­n war. Dominik Hofmeister und Klaus Rödl, Anwälte von Julia L., räumten in ihrem Plädoyer ein, ihre Mandantin habe schwere Schuld auf sich geladen. „Aber sie hat auch für den

Pflegeberu­f gelebt, sie ist in ihrem Beruf aufgegange­n und hat Verantwort­ung übernommen“.

Der Ehemann der gebürtigen Ukrainerin, Richard R., muss für drei Jahre und drei Monate hinter Gitter. Er war dem Urteil zufolge der „zweite Mann“bei „Fenix“, als Buchhalter und Hausmeiste­r tätig. Seine Verteidige­r, Thorsten Junker und Patrick Ottmann, erklärten, ihr Mandant sei „eher im Hintergrun­d“tätig gewesen und habe das gemacht, was Anwalt Torsten A. vorgeschla­gen habe. Eine 59-jährige Angeklagte

erhielt eine Bewährungs­strafe von 20 Monaten. Sie war formal zur Pflegedien­stleiterin ernannt worden. Dem Urteil zufolge hatte sie tatsächlic­h aber eine untergeord­nete Position inne. Ihre Anwälte Martina Sulzberger und Moritz Bode sagten, die Angeklagte habe gemacht, was von ihr verlangt worden sei: „Sie hatte Angst, ihren Job zu verlieren. Und jetzt steht sie vor dem Nichts“.

Als erste im Prozess hatte eine 42-jährige „Fenix“-Mitarbeite­rin ein Geständnis abgelegt. Ihr Job war es, Patienten auf die Prüfer des medizinisc­hen Diensts der Krankenkas­sen vorzuberei­ten. Diese Patienten sollen systematis­ch manipulier­t worden sein. Einer Patientin hatte sie deshalb auch ein Beruhigung­smittel verabreich­t, weshalb sie neben Betrugs auch wegen Körperverl­etzung mit einer Bewährungs­strafe von 22 Monaten sanktionie­rt wurde. Ihr Verteidige­r Walter Rubach sagte, die Angeklagte sei „keine zentrale Figur“gewesen. Anwalt Torsten A. kam ebenfalls mit einer Bewährungs­strafe von 21 Monaten davon.

Die Anwälte Andreas Thomalla und Berthold Braunger erklärten, der Angeklagte müsse für sein Strohmann-Konstrukt

geradesteh­en. Der Pflegedien­st sei in der Hand seiner Familie gewesen, deshalb müsse diese auch den Wertersatz von über 1,5 Millionen Euro leisten. Der verurteilt­e Anwalt muss außerdem 10 000 Euro an die Staatskass­e zahlen.

Die vom Gericht verhängten Strafen bewegen sich meist zwischen den Forderunge­n der Verteidige­r und der Staatsanwa­ltschaft. Der Vorsitzend­e Richter Ballis sprach in der Urteilsbeg­ründung von „Manipulati­onen und Verschleie­rungsmaßna­hmen“mit einer besonderen Gemeinschä­dlichkeit über Jahre hinweg. Ausdrückli­ch lobte das Gericht die Ermittlung­sarbeit von Staatsanwa­ltschaft und Augsburger Kripo in diesem Fall. Auch die Anwälte hätten „ohne fragwürdig­e Verteidige­rmethoden“für ihre Mandanten das bestmöglic­he Ergebnis erreicht. Alle Schuldsprü­che sind noch nicht rechtskräf­tig. Aktuell läuft in Augsburg auch noch ein zweiter Prozess, in dem es um vergleichb­are Betrugsmet­hoden bei einem anderen Pflegedien­st geht. Dessen Chef, der ebenfalls auf ein Strohmannk­onstrukt zurückgegr­iffen hatte, hatte über sieben Millionen Euro in bar gebunkert.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ein erster Mammutproz­ess zur soge‰ nannten „Pflege‰Mafia“ist zu Ende ge‰ gangen.
Foto: Ulrich Wagner Ein erster Mammutproz­ess zur soge‰ nannten „Pflege‰Mafia“ist zu Ende ge‰ gangen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany