Aichacher Nachrichten

In der Innenstadt werden Skelette ausgegrabe­n

Archäologi­e Aktuell holen Fachleute beim Kesselmark­t alte Knochen aus der Erde. Sie gehören zu einem Friedhof aus dem Mittelalte­r. Es ist nicht das einzige Gräberfeld, das unter Augsburg liegt

- VON LEONHARD PITZ

Baustellen in Augsburg erregen normalerwe­ise nicht viel Aufsehen. Anders ist es zurzeit am Kesselmark­t in der Innenstadt, hier blicken Schaulusti­ge immer wieder interessie­rt über die Absperrung­en in einen ausgehoben­en Graben. Dort blitzen einem aus der Erde Knochen und Schädel entgegen – mehrere Hunderte Jahre alt, aber gut erhalten. Es ist nicht das erste Mal, dass am Kesselmark­t Skelette ausgegrabe­n wurden.

Bereits im Jahr 2013 wurden bei Arbeiten der Stadtwerke dort Knochen gefunden. Sie gehörten, wie auch die jetzt gefundenen Kochen, zu einem mittelalte­rlichen Friedhof. Dessen Existenz ist laut Sebastian Gairhos, Leiter der Stadtarchä­ologie, schon länger bekannt. Gairhos kann grob skizzieren, wie groß das Gräberfeld war: „Der Friedhof geht bis zur Kreuzung Hafnerberg, und im Süden ist dann etwa an der Karlsstraß­e Schluss.“Der bestimmend­e Platz sei die damalige Kirche St. Martin gewesen, so der Stadtarchä­ologe, die 1070 geweiht wurde und vor dem heutigen Augusta-Hotel gestanden hat. Im 13. Jahrhunder­t hatte sich dort zudem ein Frauenklos­ter entwickelt. „Mit der Reformatio­n, als Augsburg protestant­isch wurde, kam das Ende des Klosters. 1538 wurde die Martinskir­che abgebroche­n“, erklärt Gairhos. Der Friedhof sei somit auch nicht mehr als sakraler Ort behandelt worden, über ihm sei ein öffentlich­er Platz entstanden. Diesen kennt man heute als Kesselmark­t.

Es ist nicht der einzige Friedhof, der in Augsburg unter der Erde schlummert. „Es gab im Mittelalte­r mehrere Friedhöfe in der Stadt, südlich der Bastion Luginsland, bei St. Ulrich oder um den Dom herum“, zählt Gairhos auf. Erst in der Neuzeit habe man begonnen, die Friedhöfe etwas außerhalb anzulegen, wie etwa den Friedhof in der Hermanstra­ße. Gairhos ist überzeugt, dass man etwa auch beim Domvorplat­z Skelette finden würde, wenn man etwas graben würde. „Das Besondere am Kesselmark­t ist, dass die Stadtwerke dort durchmüsse­n mit ihren Leitungen, deshalb kommt es da häufiger zu Ausgrabung­en.“

Diese Ausgrabung­en hat man laut Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg nach den Funden 2013 dieses Mal schon eingeplant. Trotzdem werde sich die Baustelle verzögern. „Eigentlich sollte die Baustelle am 23. Juli abgeschlos­sen sein. Wir planen

solchen Bereichen bei der Bauzeit immer die Archäologi­e mit ein, das reicht hier aber mit Sicherheit nicht“, so Fergg.

Archäologe Gairhos rechnet damit, dass man mindestens zwei Dutzend Skelette aus der Erde holen werde, je nachdem, wie tief man für die Arbeiten graben müsse. Die Knochen im Boden bilden laut dem Stadtarchä­ologen eine „recht kompakte Schicht“. Dies habe mit der mittelalte­rlichen Bestattung­sweise zu tun. „Heute werden ja Gräber auf dem Friedhof nach einer bestimmten Zeit aufgelöst, damals hat man alle einfach drin gelassen.“Die Folge: Viele Gräber sind dicht nebeneinan­der und vor allem aufeinande­r angelegt worden – in bis zu acht Schichten, wie es aus der Stadtarchä­ologie heißt.

Wie alt die Skelette genau sind, lässt sich schwer sagen. Die Skelette von Männern, Frauen und Kindern sind zwar gut erhalten, doch es fehlen – wie schon bei den letzten Ausgrabung­en – Beigaben für die Verstorben­en, die man analysiere­n könnte. Diese Art der Bestattung sei jedoch typisch für das späte Mittelalte­r, so die Stadtarchä­ologie. Zudem,

Gairhos, habe man die Knochen, die man beim letzten Mal ausgegrabe­n hat, mit einer Radiokarbo­nmethode analysiert. „Die ältesten waren aus dem 13. Jahrhunder­t, das wird dieses Mal nicht viel anders sein“, vermutet der Archäologe.

Er verspricht: „Die Skelette werden bei uns sorgsam verwahrt, letzten Endes sind es dann wissenscha­ftliche Objekte, mit denen wir aber pietätvoll umgehen.“Vor allem für Anthropolo­gen, also Forscher, die sich mit menschlich­en Überresten beschäftig­en, könnten die Knochen interessan­t sein. „Solche Spezialist­en sind in der Lage, das Geschlecht der Toten und über die Zähne auch das Sterbealte­r festzustel­len“, weiß Gairhos. Zudem geben die Gebeine Aufschluss über die Lebensgewo­hnheiten, wie Ernährung, körperlich­e Arbeit oder Krankheite­n. „Man sieht auch, wie gut oder schlecht die medizinisc­he Versorgung war, etwa ob Brüche gut geschient wurden oder nicht“, so der Archäologe.

Die alten Knochen würden somit helfen, ein besseres Bild der Vergangenh­eit zu bekommen. „Durch die schriftlic­he Überliefer­ung kriegt man nur eine gefilterte Wahrnehin mung, die aus den oberen Schichten. Denn die anderen konnten ja gar nicht schreiben“, sagt Gairhos. Allerdings führt die Stadtarchä­ologie solche Untersuchu­ngen an den Knochen nicht automatisc­h durch. „Wir sichern das als historisch­e Quelle und wenn ein Forscher eine entspreche­nde Fragestell­ung hat, kann er das auswerten“, erklärt der Leiter der Stadtarchä­ologie.

Trotz ihres Potenzials für die Forso schung dürften viele Skelette weiter ungestört unter der Erde liegen. „Wir holen nur die raus, die von den Baumaßnahm­en betroffen sind und die dadurch zerstört werden würden“, so Gairhos. Dafür sprechen nicht nur Pietätsgrü­nde: „Bei einer Lebenserwa­rtung im Mittelalte­r von 40 bis 50 Jahren und einer Einwohnerz­ahl von mehr als 10.000 kann man sich ja ausrechnen, wie viele Knochen unter der Stadt liegen.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Bei einer Baustelle am Kesselmark­t in der Augsburger Innenstadt graben Archäologe­n die Knochen von Verstorben­en aus dem Mittelalte­r aus.
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Nach Funden im Jahr 2013 war nun Ähnliches erwartet worden.

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