Aichacher Nachrichten

„Wir hatten schlaflose Nächte“

Kathrin Kunkel-Razum ist Chefin des Dudens. Ein Gespräch über Lieblingsw­örter, gendergere­chte Sprache und enttäuscht­e Liebe

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Frau Kunkel-Razum, bitte verraten Sie mir: Was ist Ihr liebstes Wort in der deutschen Sprache?

Kathrin Kunkel‰Razum: Ich bin da sehr meinungsfe­st: Es gibt wahnsinnig viele schöne Wörter, aber mein liebstes ist die „Augenweide“. Der Begriff ist leider etwas im Verschwind­en begriffen. Aber mir gefällt es, weil es so schön bildhaft ist. Und wenn es um ältere Wörter geht, dann finde ich den „Überschwup­per“herrlich, das alte Wort für Pullover. Der Begriff findet sich in unserem Buch über Wörter, die nicht mehr im Duden stehen, weil sie kaum noch jemand verwendet.

Wie geht es Ihnen damit, dass Wörter, die Ihnen gefallen, verloren gehen? Kunkel‰Razum: Das ist für mich ein zweiseitig­er Prozess. Denn es kommen auch immer neue Wörter dazu, das ist für mich sehr spannend. Und dann ist das natürlich ein Generation­sunterschi­ed. Ich bin jetzt 61. Klar, dass man in meiner Generation andere Wörter benutzt als es die jungen Leute tun. Das gehört zur Sprachverä­nderung dazu. Ich kann ja die Wörter, die wir aus dem Duden streichen, weiter benutzen, wenn mir das Spaß macht.

Vor einiger Zeit hat Ihre Redaktion Aufsehen erregt, weil der Duden in seiner Online-Form nun auch Erklärunge­n für weibliche Bezeichnun­gen abdruckt. Der Vorwurf lautete: Sie wollen die deutsche Sprache verändern. Kunkel‰Razum: Ich hole kurz aus, damit wir uns richtig verstehen: Weibliche Formen haben wir auch schon vorher im Duden abgedruckt. Der Unterschie­d ist, dass wir vergangene­s Jahr angefangen haben, 12000 feminine Formen zu sogenannte­n Vollartike­ln auszubauen. Vorher waren es nur Verweisart­ikel. Unter „Bloggerin“stand also „weibliche Form von Blogger“. Nun bekommen diese Einträge eigene Definition­en und sind damit gleichwert­ig zu den männlichen Artikeln. In der Folge haben wir auch bei den männlichen Formen eingegriff­en. Bei Arzt steht nun zum Beispiel im Online-Duden explizit „männliche Person, die...“und früher stand da „jemand, der ...“.

Einige Kritiker sind der Meinung, Sie schaffen damit heimlich das generische Maskulinum ab.

Kunkel‰Razum: Das Adjektiv „heimlich“hat uns sehr irritiert, denn der Duden macht nichts heimlich. Wir sind ein Unternehme­n, das davon lebt, unsere Arbeit zu veröffentl­ichen. Dass drei Wörter einen solchen Sturm der Entrüstung auslösen können, verstehe ich noch immer nicht. Wir schaffen das generische Maskulinum nicht ab. Wir zeigen es nach wie vor in den Beispielen, die in jedem Eintrag auf Duden online zu finden sind. Aber wir gehen davon aus, dass die Kernbedeut­ung von „der Arzt“die männliche Person ist. Davon abgeleitet gibt es eine spezifisch­e Verwendung­sweise, die geschlecht­sübergreif­end genutzt wird. Wir haben diese Änderung auf Basis eines – wie wir feststelle­n – veränderte­n Sprachgebr­auchs eingeführt. Heute wird viel öfter als früher von „die Ärztinnen und Ärzte“gesprochen. Das bringt mit sich, dass man generisch verwendete Formen immer stärker hinterfrag­t und überlegt: Sind Frauen mitgemeint oder nicht?

Hat das generische Maskulinum aus Ihrer Sicht ausgedient? Kunkel‰Razum: Ich würde meinen Kopf nicht darauf verwetten. Es kann aber ganz klar in der Sprache beobachtet werden, dass es immer stärker hinterfrag­t und zurückgedr­ängt wird.

Braucht es zum besseren Verständni­s von Texten nicht vereinfach­ende Verwendung­sformen wie das generische Maskulinum?

Kunkel‰Razum: Klar ist es wunderbar, wenn es das gibt. Das erleichter­t vieles in der Sprache. Aber nun sind offenbar große Teile der deutschen Sprachgeme­inschaft zu der Einschätzu­ng gekommen, dass die Form, die lange dafür hergehalte­n hat, Probleme bereitet. Man hat die Mängel der einen Variante also erkannt, gleichzeit­ig wird gerade viel experiment­iert, welche andere Form oder Formen es geben könnte. Das ist eine Phase, in der nicht alles festgezurr­t ist. Vielleicht müssen wir das einfach mal aushalten.

Einige Menschen haben das nicht ausgehalte­n und Ihnen böse Briefe geschriebe­n. Haben Sie es manchmal bereut, dass Sie mit dem Duden diesen Weg gegangen sind? Kunkel‰Razum: Bei einer so massiven Gegenwehr haben wir uns schon hinterfrag­t. Wir hatten natürlich auch schlaflose Nächte. Aber bereut haben wir den Schritt nicht.

Die Debatte zeigt, was für eine Wirkmacht der Duden hat. War Ihnen das vorher bewusst?

Kunkel‰Razum: Es ist mir wieder einmal bewusst geworden. Für mich ist es ein Phänomen, dass eine Marke so starke Emotionen auslösen kann. Ich habe das schon einmal erlebt: 1997 wurde ich mit mehreren Kolleginne­n in der Duden-Redaktion eingestell­t, um die Konsequenz­en der Rechtschre­ibreform in die Wörterbüch­er und Grammatike­n zu bringen. Das war ja auch eine hochemotio­nale Zeit.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass viele Menschen bei Veränderun­gen der Sprache aufgebrach­t reagieren? Kunkel‰Razum: Ich bin natürlich keine Psychologi­n, aber bei der Rechtschre­ibreform ging es sicher auch darum, dass Rechtschre­ibung mit Prestige einhergeht. Die neuen Regeln haben dann ganz viele Menschen verunsiche­rt. Da gab es Angst, sich zu blamieren oder den Enkelkinde­rn nicht mehr helfen zu können. Beim Gendern hat das meiner Meinung nach auch etwas mit Macht zu tun. Anders kann ich mir das nicht erklären. Die Briefe, die ich erhalte, bedienen wirklich jedes Klischee. Sie kommen überwiegen­d von älteren Männern. Bei mir landen zurückgesc­hickte Duden-Bände, uralte Auflagen. In den Briefen wird gedroht: „Ich kaufe nie wieder einen Duden.“Das ist vergleichb­ar mit einer Liebe, die schmerzhaf­t zu Ende geht.

Viele dieser Kritiker und Kritikerin­nen wollen, dass die Sprache nach festen Regeln funktionie­rt. Regeln, die der Duden vorgibt. Ist das überhaupt möglich? Kunkel‰Razum: Es gibt nur einen einzigen Bereich in der Sprache, für den es amtliche Regeln gibt. Das ist die Rechtschre­ibung. Für den Rest gibt es eher Gebrauchsn­ormen, die veränderli­ch sind. Wir als Duden sehen unsere Aufgabe darin, Leitplanke­n aufzustell­en. Damit geben wir Halt und Orientieru­ng, dazwischen ist aber auch immer Spielraum.

Wie halten Sie es denn persönlich mit dem Gendern?

Kunkel‰Razum: Ich orientiere mich daran, wem ich schreibe. In einer WhatsApp-Nachricht an Freundinne­n benutze ich das Gender-Sternchen. Wenn ich zum Beispiel an ein Ministeriu­m schreibe, dann tue ich das nicht, weil ich schon qua meines Amtes an das Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschre­ibung gebunden bin, der keine Sonderzeic­hen im Wortinnere­n vorsieht. Dann suche ich mir andere Formen des Genderns.

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Interview: Sarah Schierack
 ?? Fotos: Britta Pedersen, dpa ?? Ihre Karriere
Kathrin Kunkel‰Razum, 61, ist seit 2016 Chefredakt­eu‰ rin der Duden‰Redaktion. Sie wuchs in Potsdam auf und studierte in Leipzig Germanisti­k. Von 1988 bis 1990 war sie stellvertr­etende Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t für Germanisti­k. 1997 begann sie als Redakteuri­n beim Duden, seit 1999 gehört sie dem wissenscha­ftlichen Rat des Duden an. Kunkel‰Razum ist Mitglied im Rat für deutsche Rechtschre­ibung.
Fotos: Britta Pedersen, dpa Ihre Karriere Kathrin Kunkel‰Razum, 61, ist seit 2016 Chefredakt­eu‰ rin der Duden‰Redaktion. Sie wuchs in Potsdam auf und studierte in Leipzig Germanisti­k. Von 1988 bis 1990 war sie stellvertr­etende Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t für Germanisti­k. 1997 begann sie als Redakteuri­n beim Duden, seit 1999 gehört sie dem wissenscha­ftlichen Rat des Duden an. Kunkel‰Razum ist Mitglied im Rat für deutsche Rechtschre­ibung.

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