Abgeschoben und wieder zurück
69 Flüchtlinge wurden 2018 zum 69. Geburtstag Seehofers abgeschoben. Viele waren sehr gut integriert. Sie hatten Jobs oder Ausbildungsplätze in Aussicht. Wie zwei von ihnen den Weg wieder in unsere Region fanden
Augsburg Ein halber Tod sei das für ihn gewesen. Ohne Schuhe. In Handschellen. So wurde der heute 28-Jährige am frühen Morgen des 3.Juli 2018 von Polizisten abgeholt. Als wäre er ein Verbrecher. Dabei habe er sich nichts zuschulden kommen lassen. Gar nichts. Doch sein Asylantrag war abgelehnt worden. Und für die Behörden war Ahmad, der wie ein weiterer Betroffener, der hier erzählt, noch immer aus Angst nur mit Vornamen genannt werden will, wohl leicht aufzufinden; hatte er doch einen Job und eine Wohnung in Waltenhofen bei Kempten. So saß der junge Afghane zusammen mit 68 anderen Männern, bis er sich verguckte, in einem Flieger zurück nach Afghanistan. In ein Land, das er nicht kannte. In ein Land, das nach wie vor von vielen Experten nicht als sicherer Rückführungsort gilt. 51 der 69 Männer waren aus Bayern. Mindestens fünf wie Ahmad aus unserer Region.
Die Abschiebung fand kurz vor dem 69. Geburtstag von Innenminister Horst Seehofer statt. Der CSU-Politiker, der damals gerade seinen „Masterplan Migration“vorstellte, witzelte: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“Anschließend hagelte es breite und massive Kritik. Bundesweit. Doch das nutzte den vielen jungen abgeschobenen Männern, von denen nach Medien-Recherchen mindestens 50 unbescholten waren, nichts. Einer nahm sich das Leben.
Viele von ihnen galten als sehr gut integriert. Nicht selten waren sie in Bereichen beschäftigt, in denen händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht werden. Oder sie hatten einen Ausbildungsplatz in Aussicht. Vor allem auch Unternehmen in der Hotel- und Gaststättenbranche sind auf Kräfte aus dem Ausland angewiesen. „Wir kriegen einfach niemanden“, sagt Helga Filser-Nußbickel. „Wir finden keinen Nachwuchs.“Die Seniorchefin des traditionsreichen Oberstdorfer Vier-Sterne-Hotels Filser saß vor Jahren schon im ZDF und schimpfte, weil man ihren damaligen KochLehrling abschieben wollte. Sie wehrte sich mit Erfolg. Nun lernt Ahmad bei ihr. Seit Herbst 2020. Auch er macht eine Ausbildung zum
Dass man ihn damals einfach abgeschoben hat, kann Helga FilserNußbickel nicht verstehen. „Diese Jungs tun mir leid, das ist doch ungerecht.“Fleißig ist Ahmad, strengt sich an „und nimmt niemanden einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz weg“. Vor allem imponiert ihr „die hohe Motivation dieser Jungs, die wollen wirklich etwas lernen“. Gekannt hatte sie ihren Azubi vor der Ausbildungsvertragsunterzeichnung nicht. Aber sie wusste: Der Frau, die ihn ihr empfohlen hat, könne sie vertrauen.
Es ist Josefine Steiger. Die Expertin in Sachen Ausbildung, die über 40 Jahre bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben die Ausbildung leitete und im Ruhestand einfach weitermacht mit ihrem Einsatz für junge Menschen. Vor allem für junge Flüchtlinge. Vor allem auch für diejenigen, denen aus ihrer Sicht im Juli 2018 mit der Abschiebung großes Unrecht angetan wurde. „Unmenschlich war diese Aktion“, sagt die 66-Jährige. „Ich habe mich geschämt.“
Doch was tun? Die jungen Afghanen waren erst einmal weg. Aufgeben kam für Josefine Steiger nicht infrage. Bundesweit ist sie längst für ihr Engagement bekannt. Also setzte sie alle Hebel in Bewegung. Kümmerte sich um rechtliche Voraussetzungen für eine Rückkehr, sammelte in Flüchtlingshelferkreisen Geld für die Abschiebegebühren, nahm
zu den abgeschobenen Männern auf. Vor allem mussten feste Ausbildungsverträge her. Denn dann konnten sich die Männer ein Ausbildungsvisum für Deutschland beschaffen und so wieder legal den Rückweg antreten.
Allein schafft das alles auch Josefine Steiger nicht. Und sie ist auch nicht die Einzige, die die deutsche Asylpolitik kritisiert. Die sich dafür einsetzt, dass Geflüchtete, die hier nicht nur einen Ausbildungsplatz, sondern Arbeit finden, von Betrieben gebraucht werden, die sich nichts zuschulden kommen lassen, nicht auf Staatskosten leben, einen Pass vorlegen, bleiben dürfen.
Dass ein anderer der 69 abgeschobenen Männer aus unserer Region jetzt wieder hier ist, nämlich in Lindau am Bodensee und eine AusKoch. bildung zum Restaurantfachmann macht, ist Wolfgang Sutter und einem Kreis von Flüchtlingshelfern zu verdanken. Auch für den pensionierten Lehrer ist die Abschiebeaktion der 69 noch heute „eine Ungeheuerlichkeit“. In einem Deutschkurs lernte er 2015 Farid kennen. „Er war mein Musterschüler“, erzählt der 73-Jährige. Immer pünktlich. Immer höflich. Immer fleißig. Ein junger Afghane, der mit seiner Mutter und zwei Geschwistern nach Lindau gekommen war. Er hatte in seiner Heimat nie eine Schule besucht, wie er am Telefon selbst erzählt. Als er nach Deutschland kommt, kann er endlich etwas lernen. Er ist glücklich. Doch auch ihn holen sie am frühen Morgen des 3. Juli 2018 einfach ab und verfrachten ihn in den Flieger. Eigentlich wollte Farid wie immer pünktlich in seiner Praktikumsstelle in einem Kindergarten sein. „Ich habe die Polizisten so angefleht, dass ich zu meiner Mutter darf, zu meinen Geschwistern.“Aber alles Bitten half nichts.
Wolfgang Sutter konnte es damals einfach nicht fassen, erzählt er. So etwas durfte nicht sein. „Denn ich war mir sicher, wenn bei einem die Integration klappt, dann bei Farid.“Und so wurde Sutter aktiv. Er schrieb auf politischer Ebene alle an, von denen er hoffte, sie könnten helfen – bis hin zum Kanzleramt. „Farids Fall musste bekannt werden.“Auch sammelte der UnterstützerKontakt kreis Geld. Denn, um zurückkommen zu können, müssten die Flüchtlinge einen beträchtlichen Teil der Abschiebekosten bezahlen. „Knapp 5000 Euro waren das bei Farid“, sagt Sutter. Und es wurde ein Ausbildungsplatz gesucht.
In Daniel Stütz, dem Geschäftsführer der Eilguthalle, einem Restaurant in Lindau, schön am Bodensee gelegen, fanden sie einen Mitkämpfer. „Das Risiko gehe ich jetzt einfach ein, dachte ich mir“, erzählt Stütz. „Wenn die Betreuer dieses jungen Mannes ihn mir so ans Herz legen, dann muss da doch was dran sein.“Auch Stütz unterschrieb den Ausbildungsvertrag, ohne seinen künftigen Mitarbeiter zu kennen. Und er hat wie Helga Filser-Nußbickel auch bis jetzt diesen Schritt nicht bereut. Im Gegenteil. „Ich sage immer: Farid ist jede Mühe wert“, beginnt Stütz zu schwärmen. Ehrlich. Ordentlich. Immer freundlich zu den Gästen und im Team. Immer pünktlich. Und mit seinem Charme schaffe er es sogar, dass er die noch vorhandenen Sprachprobleme einfach überspiele.
Wer mit Farid am Telefon spricht, merkt, dass er nicht immer gleich alles versteht. Dass er aber ein ausgesprochen fröhlicher, positiver Mensch ist, obwohl er so viel Schrecken, so viel Chaos erlebt hat. Doch er habe jetzt einen Ausbildungsplatz. Und das ist ihm wichtig. „Die Praxis in meiner Ausbildung macht mir sehr viel Spaß“, erzählt der 22-Jährige. „Die Praxis geht sehr gut. Aber die Theorie ist schwer, sehr schwer.“Sehr viel Nachhilfe ist also nötig. Doch sein Chef Daniel Stütz sieht das nicht als Problem, „sondern als Herausforderung“.
Doch noch haben es nicht alle, die wollen, zurück hierher geschafft. Ein junger Mann hat bereits einen Ausbildungsvertrag als Fliesenleger in Memmingen in der Tasche. Er sitzt aber noch in Kabul. „Die Hürden sind hoch“, sagt Josefine Steiger, die Umwege aber gewöhnt ist. „Die Jungs“müssten aber ihr Bestes geben. Josefine Steiger ist keine Befürworterin für einen Aufenthalt für alle Geflüchtete. Doch wer beweist, dass er es ernst meint, der tüchtig ist, sich an alle Regeln hält, lernt und arbeitet, hat ihre volle Unterstützung. So wie Ahmad. Aber warum will man wieder in ein Land, das einen so hinausgeworfen hat? „Ich hatte hier gute Freunde“, erzählt Ahmad. Und eine Freundin. „Ich hatte viele gute Erinnerungen. Ich habe mir das Zurückkommen wirklich gewünscht“, sagt er in seiner leisen, zurückhaltenden Art. „Ich habe aber nie gedacht, dass es wirklich möglich ist.“
Die hohe Motivation imponiert der Hotelchefin