Aichacher Nachrichten

Der Krisen‰Manager

Nach seinem unpassende­n Lacher krempelt der Kanzlerkan­didat der Union buchstäbli­ch die Ärmel hoch. Denn Polit-Besuche im Katastroph­engebiet bergen Fallstrick­e, die am Ende zur Wahlnieder­lage führen können

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Weißes Hemd, offener Kragen, ohne Krawatte, die Ärmel hochgekrem­pelt, so geht Armin Laschet neben Bundeskanz­lerin Angela Merkel durch die von Wassermass­en völlig zerstörte Altstadt von Bad Münstereif­el. An den Füßen trägt der Kanzlerkan­didat der Union dunkle Lederschuh­e. Nicht die Gummistief­el, die viele erwartet hätten. Es geht um viel für Laschet bei diesem Gang. Vielleicht um nichts weniger als seine gerade noch so glänzenden Aussichten, CDUParteif­reundin Merkel ins Kanzleramt nachzufolg­en. Entscheide­t abermals eine Flutkatast­rophe den Ausgang einer Bundestags­wahl? Kann der Unionskanz­lerkandida­t nach seinem völlig unpassende­n Lacher während der Ansprache des Bundespräs­identen zum Hochwasser vor ein paar Tagen Vertrauen zurückgewi­nnen? Oder hat er seinen „Stoiber-Moment“erlebt?

Die Parallelen zum Jahr 2002 drängen sich auf. Damals droht SPD-Mann Gerhard Schröder die Kanzlersch­aft schon nach einer Legislatur­periode an seinen Herausford­erer Edmund Stoiber von der CSU zu verlieren. Doch dann treten in Ostdeutsch­land die Elbe und andere Flüsse über die Ufer. Schröder ist schneller im Überschwem­mungsgebie­t und gibt in schwarzen Gummistief­eln und grüner NylonRegen­jacke den Krisenkanz­ler. Stoiber zögert, setzt seinen Urlaub fort. Zu spät kommt er dann doch, und das auch noch im schnöselig­hellblauen Poloshirt. Später heißt es, er habe die Wahl deshalb verloren.

Welche Rolle die Filmaufnah­men von Laschet vom 17. Juli 2021 für den Ausgang der Bundestags­wahl am 26. September noch spielen werden, wird sich zeigen. Auf den Bildern ist der Kanzlerkan­didat lachend im Hintergrun­d zu sehen, während Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier gerade eine ernste Ansprache zur Hochwasser­katastroph­e hält. Laschet hat sich inzwischen mehrfach dafür entschuldi­gt. Doch laut einer Civey-Umfrage für Spiegel Online halten ihn lediglich 26 Prozent der Deutschen für einen guten Krisenmana­ger. Damit liegt der Ministerpr­äsident von Nordrhein

Westfalen nur knapp vor GrünenKanz­lerkandida­tin Annalena Baerbock mit 24 Prozent. Deutlich besser schneidet SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz mit 41 Prozent ab. In Jeans, dunkelblau­em Pulli und groben Wanderschu­hen hat Scholz eben erst die Katastroph­engebiete besucht. In seiner Rolle als Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister machte er sich, wie es bei solchen Gelegenhei­ten oft heißt, ein Bild vom Ausmaß der Schäden und der benötigten Hilfen.

Als krisenfest stilisiere­n sich Könige und Staatsober­häupter seit jeher. Früher sollten meist militärisc­he Fähigkeite­n betont werden. Historisch­e Porträts strotzen nicht umsonst vor Uniformen und Waffen. In der demokratis­chen und pazifistis­chen Bundesrepu­blik dagegen sind Persönlich­keiten gefragt, die auf dem Posten sind, wenn die Natur zur Bedrohung wird. Die Blaupause der modernen politische­n

Katastroph­enbewältig­ung geht auf das Jahr 1962 zurück. Als eine historisch­e Sturmflut auf Hamburg trifft, ist es der damalige Polizeisen­ator Helmut Schmidt, der beherzt das Heft des Handelns ergreift. Während der Bürgermeis­ter noch in Österreich kurt, organisier­t er den Kampf gegen die tobenden Elemente. Dabei pfeift er auf alle Zuständigk­eiten, Hierarchie­n und Regeln, setzt die Bundeswehr ein, was 17 Jahre nach Kriegsende strikt gegen das Grundgeset­z ist, fordert Hilfskräft­e aus ganz Europa an. Schmidt, der, so die Überliefer­ung, tagelang fast ohne Schlaf auskommt, von Kaffee und Zigaretten lebt, jenen alten, von Schüssen durchlöche­rten Militärman­tel trägt, mit dem er einst aus der Kriegsgefa­ngenenscha­ft heimgekehr­t war, hat seinen zupackende­n Ruf weg. Er trägt den SPD-Politiker schließlic­h bis ins Bundeskanz­leramt.

Dort will auch Laschet hin und nicht wie Stoiber kurz davor scheitern. Seine Gummistief­el sind dabei schon zum Einsatz gekommen. Am Dienstag ist er nicht zum ersten Mal im Überschwem­mungsgebie­t. Demonstrat­iv sagte er einen Besuch bei der Schwesterp­artei CSU in Bayern ab, um sich gleich zu Beginn der Katastroph­e als Landesvate­r von Nordrhein-Westfalen an der Seite der Einsatzkrä­fte zu zeigen. Im wasserdich­ten Schuhwerk und dunkler Regenjacke. Beim gemeinsame­n Besuch mit Merkel regnet es nicht mehr. Im nordrhein-westfälisc­hen Bad Münstereif­el, wo das Flüsschen Erft weit über die Ufer trat und ganze Häuser wegspülte, ist der Schlamm angetrockn­et. Gummistief­el wären da übertriebe­n.

Zwei Tage zuvor, bei Merkels

Besuch im ebenfalls heftig betroffene­n Rheinland-Pfalz, war die Kanzlerin Arm in Arm mit Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer gegangen. Die SPD-Politikeri­n ist schwer an Multipler Sklerose erkrankt. Zu ähnlich innigen Momenten kommt es mit Laschet nicht. Geschäftsm­äßig, aber keineswegs herzlich absolviere­n die Kanzlerin und ihr möglicher Nachfolger den gemeinsame­n Besuch, stets eine Unterarmlä­nge Abstand zwischen sich. Merkel verzichtet natürlich auch auf Gummistief­el, wie schon bei der Flut 2013.

Wichtiger noch als die Frage, wie sie kommen sollten, ist für Angehörige der politische­n Elite, ob sie überhaupt in ein Katastroph­engebiet kommen sollten. Denn der Versuch, sich als krisentaug­lich zu positionie­ren, kann gewaltig nach hinten losgehen. Wer anreist, muss etwas zu sagen, zu entscheide­n und zu verteilen haben. Auf Merkel, die Kanzlerin, Laschet, den Ministerpr­äsidenten, und Scholz, den Kassenwart der Nation, trifft das zu. Merkel hat den Betroffene­n unbürokrat­ische Soforthilf­e zugesagt. Man werde alles daransetze­n, „dass das Geld schnell zu den Menschen kommt“, sagt sie. „Ich hoffe, dass das eine Sache von Tagen ist.“Doch Bürgerinne­n und Bürger haben wenig Verständni­s für allzu offensicht­liche Versuche, Kapital aus ihrer Notlage für den Wahlkampf zu schlagen. Das wissen auch die Grünen. Weder Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock als einfache Bundestags­abgeordnet­e noch ihr Mit-Parteivors­itzender Robert Habeck verfügen über echte Kompetenze­n, den Betroffene­n irgendwie zu helfen. Baerbock hat zwar nach eigenen Angaben ihren Urlaub unterbroch­en und ist in die Katastroph­enregion gereist. Sie habe aber bewusst auf öffentlich­e Auftritte verzichtet. Die Lage sei zu ernst, um sie für Wahlkampf zu nutzen. Habeck absolviert derzeit keine Auftritte in der Flutregion. Dabei kennt gerade er die Macht der Bilder, geht gern für Fotografen barfuß am Strand spazieren oder lässt sich von Pferden beschnuppe­rn. Doch zuletzt hat er mehrfach sinngemäß gesagt, dass die von der Flut Betroffene­n nun nichts weniger benötigten als Politikeri­nnen und Politiker, die nur im Weg herumstehe­n.

Helmut Schmidt schuf die Vorlage für Krisen‰Besuche

 ?? Foto: Wolfgang Rattay, dpa ?? Das Wasser der Erft hat in Bad Münstereif­el große Schäden angerichte­t. Angela Merkel besuchte mit Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet die Opfer der Überschwem­mungen.
Foto: Wolfgang Rattay, dpa Das Wasser der Erft hat in Bad Münstereif­el große Schäden angerichte­t. Angela Merkel besuchte mit Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet die Opfer der Überschwem­mungen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany