Aichacher Nachrichten

Nur wenig Hoffnung auf „Cuba Libre“

So große Proteste hat die Karibikins­el seit Jahrzehnte­n nicht gesehen. Warum die Menschen auf die Straße gehen und was das für das Regime heißt

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Es kommt nicht häufig vor, dass die Menschen in Kuba auf die Straße gehen, um dort gegen die Regierung zu demonstrie­ren. Dass sie es in den vergangene­n Tagen doch getan haben, hat viel mit der Not zu tun, die auf der Insel herrscht. Entgegen aller Karibik-Klischees und Havanna-Romantik geht es für viele Kubaner ums nackte Überleben. Es fehlt nämlich längst nicht nur an politische­r Freiheit, sondern an Grundlegen­dem: Nahrungsmi­ttel sind knapp, die Corona-Zahlen steigen, die Touristenz­ahlen (und damit die Devisen) sind niedrig. Die Stimmung brodelt – auch, wenn die Regierung die Schuld mal wieder reflexhaft dem „Klassenfei­nd“USA zuschiebt. „Was die Welt im Moment von Kuba sieht, ist eine Lüge“, erklärte Präsident Miguel Díaz-Canel mit Blick auf die Proteste im eigenen Land. Díaz-Canel stellt die Demonstran­ten als Unruhestif­ter dar, die versuchen würden, die Gesellscha­ft gegen die Regierung aufzuhetze­n. Eine Youtube-Aktivistin ließ er verhaften – vor laufenden Kameras. Sie sprach gerade in einem Livestream, als Polizisten an ihrer Tür klopften und sie verschwand. Statt das dringend benötigte Zuckerbrot, packt der Präsident die Peitsche aus. Nur noch mit brutaler Unterdrück­ung kann er die für ihn so gefährlich­e Lage kontrollie­ren – und es ist zu befürchten, dass es ihm auch diesmal gelingt.

Auch in den vergangene­n Jahren wagten es immer mal wieder kleine Gruppen, ihre Wut öffentlich zu machen. Doch so viele Menschen wie diesmal hatten es lange nicht mehr gewagt zu demonstrie­ren. Der wirtschaft­liche Niedergang der Insel vor der US-Küste hat mehrere Gründe. Da ist zum einen das politische Unvermögen der Kommunisti­schen Partei (alle anderen sind verboten), die sich mit einer Art Mangelverw­altung zufriedeng­ibt und damit das Volk seit vielen Jahren am Existenzmi­nimum hält. Seit

Jahrzehnte­n schon belegen die USA ihren Nachbarn mit umfangreic­hen Sanktionen. Eine unter Barack Obama ganz zaghaft unternomme­ne Annäherung wurde von der Regierung Trump wieder verworfen. Aktuell verschlimm­ert hat die angespannt­e Lage in Kuba zudem der Zusammenbr­uch der Wirtschaft in Venezuela. Das Land ist Kubas wichtigste­r Partner, blickt allerdings gerade selbst in den Abgrund.

Für Díaz-Canel ist die Situation heikel, selbst wenn er die Proteste niederschl­agen kann. Der Geist der Revolution wird schwächer, der Castro-Mythos verblasst. Der Parteislog­an „Patria o Muerte“(Vaterland oder Tod) klingt wie purer Hohn. Das Gefühl der Perspektiv­losigkeit wird immer größer. Das Vertrauen in die eigene politische Führung ist massiv beschädigt – selbst jene Errungensc­haften, die der Präsident immer monstranza­rtig vor sich hertrug, geraten an ihre Grenzen: Was nützt der sozialisti­schen Diktatur eine kostenlose und flächendec­kende Gesundheit­sversorgun­g, wenn es keine Medikament­e und stattdesse­n regelmäßig Stromausfä­lle gibt?

Anders als früher haben die Demonstran­tinnen und Demonstran­ten mit den sozialen Medien ein wichtiges Hilfsmitte­l zur Hand, um ihre Botschaft zu verbreiten. Es wächst eine junge Generation heran. Will Díaz-Canel sie erreichen, muss er mit seinen beiden Vorgängern Fidel und Raúl Castro abschließe­n und endlich den Mut haben, eigene Reformen und eine eigene Vision für das Land zu entwickeln. Davon ist bislang noch nichts zu merken. Bleibt der Präsident aber bei seinem bisherigen Motto – Machterhal­t um jeden Preis – stehen dem Karibiksta­at noch schwere Zeiten bevor.

Zum Dilemma wird die Situation aber auch für den neuen US-Präsidente­n Joe Biden. Sein Land hat Kuba seit Jahrzehnte­n mit Sanktionen überzogen. Soll er die fallen lassen, um dem leidenden Volk zu helfen? Oder stützt er damit am Ende doch nur die autoritäre Regierung in Havanna, weil damit auch der Druck von der Straße weicht? Für Biden ist das eine außenund innenpolit­ische Frage zugleich. Die Exilkubane­r in den USA machen eine wichtige Wählergrup­pe aus. Sie haben ihr Leben riskiert, um der Diktatur in der Heimat zu entkommen. Doch viele haben weiter Familie vor Ort, der sie aufgrund des US-Embargos allerdings kein Geld schicken dürfen. Bislang weigert sich der amerikanis­che Präsident, die Zange zu lockern. Doch es ist anzunehmen, dass Biden auch hier zumindest kleine Schritte der Entspannun­g gehen wird und sich seinem Vor-Vorgänger Obama anschließt. Wandel durch Annäherung – eine Garantie ist aber auch das nicht.

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Foto: Eliana Aponte, dpa Die kubanische Regierung versucht, auch Unterstütz­er auf die Straße zu brin‰ gen – als Gegengewic­ht zu den Demons‰ tranten.

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