Mensch, Merkel
Als die erste Frau ins Kanzleramt einzieht, rechnet niemand damit, dass sie eine Ära prägen wird. Nicht nur die Alpha-Männer in der CDU unterschätzen ihre Entschlossenheit. Unaufgeregt führt Angela Merkel das Land durch aufregende Zeiten
Was bleibt, wenn jemand 16 Jahre lang ein Land regiert hat? Es gibt ein paar ganz konkrete Antworten, die sich da auflisten ließen. 17 Ehrendoktorwürden wurden Angela Merkel in ihrer Amtszeit verliehen. In Singapur hat man eine Orchidee nach ihr benannt: die „Dendrobium Angela Merkel“. Randerscheinungen, natürlich. Aber fest steht: In eineinhalb Jahrzehnten hat Merkel auf der Welt Spuren hinterlassen. Manche werden bald verblassen, viele bleiben, einige weisen gar den Weg in Richtungen, die ohne Merkel niemand eingeschlagen hätte. Hunderttausende Zeilen sind über diese Regierungszeit geschrieben worden – unmöglich, alles in einem Artikel auch nur anzureißen. 16 Jahre Kanzlerin – eine Annäherung:
Aus dem Nichts an die Spitze
Im September 2005 bahnten die Deutschen den Weg für die erste Kanzlerin in Deutschland. Kaum jemand ahnte am Abend der knapp gewonnen Bundestagswahl, dass Angela Merkel eines Tages zur mächtigsten Frau der Welt auf der Forbes-Liste und zur beliebtesten Politikerin der Republik aufsteigen würde. Selbst ihre Gegner müssen heute anerkennen: Merkel hat eine Karriere hingelegt, die ihr zu Beginn kaum jemand zugetraut hätte.
Ende 1990 tauchte sie praktisch aus dem Nichts in der Bundespolitik auf – und musste sich erst gegen eine eingeschworene Männerriege und ihren scheinbar allmächtigen Ziehvater Helmut Kohl durchsetzen.
Als „mein Mädchen“pflegte der große Pfälzer die brave Ostdeutsche – Hobbys: Lesen, Wandern und Gartenarbeit – gönnerhaft zu bezeichnen. In der Boulevardpresse musste sich die Pfarrerstochter (eines der Etiketten, die ihr bis heute wohl am häufigsten aufgeklebt wurden), die ein Faible für klassische Musik, die Puhdys und Bruce
Springsteen hat, zudem noch hämische Bemerkungen über ihre wenig modische Frisur gefallen lassen. Zehn Jahre später wendete sich das Blatt: Merkel war jetzt Vorsitzende der CDU, die Männerriege hatte das Nachsehen und Kohl fiel im Zuge der Spendenaffäre in Ungnade.
Die Kanzlerin hatte 1999 jenen mittlerweile berühmten FAZ-Artikel lanciert, der die Abnabelung der CDU von Kohl einleitete. Jahre später wollte Merkel mit der ihr eigenen Verschmitztheit von einer Palastrevolte nichts mehr wissen. „Der Artikel war damals in einer von vielen vielleicht nicht erkannten, aber doch starken inneren Verbundenheit geschrieben, aber auch in der Überzeugung, eine notwendige Auseinandersetzung in einer Sache zu führen“, erklärte Merkel in einem ihrer wenigen persönlichen Interviews, das der mittlerweile gestorbene Politikwissenschaftler Gerd Langguth mit ihr führte.
„In Freiheit leben“
Merkel sagt zwar immer, Geschichte wiederhole sich nicht – und wenn, dann nur als Farce. Aber ihr selbstbewusster Umgang mit der so unbesiegbar erscheinenden Ikone Kohl wiederholte sich am 18. September 2005. Der noch amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder gab am Wahlabend in der „Elefantenrunde“vor laufenden Fernsehkameras den starken Mann: „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, in dem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Also ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen.“Merkel blieb äußerlich gelassen und vor dem Hintergrund ihrer darauffolgenden Jahre als Kanzlerin darf als gesichert angenommen werden, dass sie sich auch innerlich zurücklehnte und längst ausrechnet hatte, was dem testosterongesteuerten Schröder in diesem Augenblick nicht klar war: Er hatte verloren, sie gewonnen. Und er machte mit seiner Pöbelei alles noch schlimmer.
Die Merkel-Biografin Jacqueline Boysen hat eine weitere Erklärung für diese abgeklärte Art. Merkel war keine Karrieristin. Für sie war es schon ein Geschenk, frei über ihren Lebensweg entscheiden zu können. Sie habe ihre Jugend in der DDR ganz bewusst als unfreies Leben wahrgenommen, sagt die Autorin. Und sie habe später ebenso bewusst den Fall der Mauer erlebt und die Möglichkeit, dass sie auf einmal rauskonnte – raus aus ihren gewohnten Bahnen. Nicht mehr gegängelt zu werden, nicht mehr in ein ideologisches System gezwungen zu sein, das sei für sie und ihr späteres Handeln prägend geworden.
Immer diese Medien
Die Kanzlerin war nie eine Rampensau wie Gerhard Schröder. Ihre Parteitagsreden entfachten selten Begeisterung, Talkshow-Auftritte lassen sich an einer Hand abzählen. Nicht gerade dankbar für Journalisten. Und doch war das Verhältnis der Kanzlerin zu den Medien durchaus entspannt. Zwar gab sie selten Interviews, betrachtete Journalisten aber anders als beispielsweise Helmut Kohl nicht grundsätzlich mit Argwohn. Am ehesten kam man an den Menschen Merkel auf ihren Auslandsreisen heran. Dann setzte sie sich abends im Hotel schon mal an den Tisch der mitreisenden Reporter und plauderte ein bisschen. In solchen Situationen zeigte die sonst eher spröde wirkende Politikerin ihren Sinn für Humor. Die Macht ist ihr nicht zu Kopf gestiegen. Als ein Rückflug aus den USA nach Berlin von den Aschewolken eines isländischen Vulkans durchkreuzt und nach Lissabon umgeleitet wurde, ließ sie sich nicht etwa mit dem Helikopter nach Deutschland fliegen. Sie bestand darauf, die ganze Delegation gemeinsam nach Hause zu bringen. Zwei Tage dauerte die Odyssee am Ende – samt Busfahrt ab Rom und Reifenpanne. Doch die Kanzlerin blieb gelassen.
Merkel und die Männer
Wäre Merkels Leben ein Film, könnte der Untertitel auch lauten: „Unvollendete Karrieren ehrgeiziger Männer pflasterten ihren Weg“. Merkel zog auch an Kohls Kronprinzen Wolfgang Schäuble vorbei und führte die CDU als Parteichefin zu neuen Wahlerfolgen und Umfrage-Hochs. Während mächtige Ministerpräsidenten die Frau aus dem Osten an der Parteispitze allenfalls als kurze Episode hinzunehmen bereit waren, ging Merkel ihren Weg zum Gipfel unbeirrt weiter. Seilschaften wie den sogenannten Andenpakt – zu dem etwa Roland Koch oder Christian Wulff gehörten – hängte sie ab.
Im Januar 2002 fand dann in Wolfratshausen jenes Frühstück statt, das in die Geschichtsbücher eingehen sollte: Merkel ließ CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt zur Kanzlerkandidatur. Was ihr zunächst als Schwäche und böser Karriereknick ausgelegt wurde, erwies sich später als kluger Schachzug. Der Bayer scheiterte als Kanzlerkandidat, Merkel war einen weiteren männlichen Konkurrenten los. Bei einem Empfang in Seoul im Jahr 2010 – Merkel nahm dort eine ihrer Ehrendoktorwürden entgegen – ließ sie ihr Männerbild deutlich durchblicken. In der Uni, erzählte die Diplom-Physikerin, seien die Männer bei der Laborarbeit „meistens sofort zu den Knöpfen oder zu Lötstäben“gerannt und hätten losgelegt. Sie hingegen „habe erst einmal noch nachgedacht und überlegt“.
Merkel und die Frauen
Aber hat die erste Kanzlerin Deutschlands auch die Gleichberechtigung vorangebracht? Mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann und ihrer Medienberaterin Eva Christiansen vertraute die Kanzlerin in erster Linie auf den Rat zweier Frauen. Mit der CDU-Politikerin und Ex-Ministerin Annette Schavan ist sie privat eng befreundet – legendär wurden die Fotos, als die beiden 2011 während eines Termins auf der Messe Cebit vom Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs erfuhren, der bei seiner Doktorarbeit geschummelt hatte. Sie konnten kaum verbergen, dass der Fall des Glamour-Ministers sie ein wenig amüsierte. Dass Schavan später selbst unter Plagiatsverdacht geraten sollte, konnte da ja noch niemand ahnen. Merkel setzte in Anlehnung an den Gipfel der 20 führenden Industrienationen G20 den „Women20“durch und gab Frauen aus allen Teilen der Welt eine Bühne. Auf ihren Auslandsreisen traf sie sich bevorzugt mit Frauen, wohl wissend, dass ihre eigene Popularität deren Anliegen nützlich war. Anderseits tut sich gerade die CDU mit der Frauenförderung heute noch schwer. Und im Bundestag liegt der Frauenanteil nicht mal bei einem Drittel.
Anlaufschwierigkeiten
Was Merkel in ihrer eigenen Reflexion „nachdenken und überlegen“nennt, wirkt auf Kritiker eher wie taktieren und aussitzen. Die ersten Jahre ihrer Kanzlerschaft mäandert sie durch die nationale und internationale Politik. Sie muss erst ins Amt finden. Es gibt ein berühmtes Foto aus dem Jahr 2007, als Merkel in Moskau auf Wladimir Putin trifft. Der russische Präsident weiß, dass Merkel Angst vor Hunden hat und lässt seinen großen Labrador vor laufenden Fernsehkameras um seine Besucherin herumstreunen. Merkel sind Unbehagen und Ohnmacht anzusehen. Wäre ihr Ähnliches später passiert, hätte die Welt eine souveränere Kanzlerin erlebt.
Im Herbst 2008 wurde die neue Angela Merkel geboren. In der weltweiten Finanzkrise, aus der sich nahtlos die Eurokrise entwickelte, perfektionierte sie all die Fähigkeiten, die ihr in den Jahren danach den
Chefinnensessel im Kanzleramt sicherten: Sie analysierte schnell, scharte verlässliche Leute um sich herum, bildete sich im Team eine Meinung – und legte los. „Viele politische Entscheidungen, so stellt es sich mir jedenfalls dar, sind keine, wo man sagen kann: 100 Prozent Ja und null Prozent Nein“, sagte sie einmal. Im Grunde bestünden diese aus 40 Prozent der eigenen Meinung und 60 Prozent an anderen Argumenten. Merkel entwickelte ein Handlungsmuster, das sie auch bei späteren Krisen anwandte. An der Seite von Finanzminister Peer Steinbrück versicherte sie, die Spareinlagen der Deutschen seien sicher. Das nahm den Menschen die Angst, so wie drei Jahre später, als im japanischen Fukushima ein Atomreaktor in die Luft flog. Für Merkel war das der Anlass, ihre eigenen Überzeugungen über den Haufen zu werfen. „So sehr ich mich im Herbst letzten Jahres im Rahmen unseres umfassenden Energiekonzepts auch für die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke eingesetzt habe, so unmissverständlich stelle ich heute vor diesem Haus fest: Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert“, begründete sie im Juni 2011 vor dem Bundestag ihre radikale Kehrtwende in der Energiepolitik und den Vollzug des Atomausstiegs.
Merkel nahm damals die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger wahr und machte daraus praktische Politik. Einen ähnlichen Zweck verfolgte ihr Aufruf „Wir schaffen das“im August 2015, als zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen und nach der ersten Welle der Hilfsbereitschaft bei immer mehr Menschen auch Ängste auslösten.
„Mutti“Merkel
Es kam nicht von ungefähr, dass der Spitzname „Mutti“im Finanzkrisen-Herbst 2008 auftauchte. Merkel vermittelte den Deutschen zum ersten Mal das Gefühl: „Ich kümmere mich schon um euch.“Abgesehen davon ist „Mutti“eine interessante Beschreibung für eine Frau, die selbst keine Kinder hat. Sie selbst ging recht souverän mit dem Thema um. Als sie in einer Radiosendung von einer jungen Hörerin zur Vereinbarkeit von Karriere und Kinderwunsch gefragt wurde, konterte die Kanzlerin zur Verblüffung aller mit einer Gegenfrage: „Haben Sie denn schon einen Vater für Ihre Kinder, einen potenziellen?“Als das verneint wurde, bot Merkel Hilfe bei der Partnersuche an: „Na, den müssen wir dann auch noch finden.“
Merkel blieb die „Mutti“der Nation. Wenn es aufregend wird, bilden ihre Hände bis heute die berühmte Raute – sie entstand einst, weil sie bei Fototerminen nicht wusste, wohin mit den Armen, wie sie einmal zugab. In der letzten großen Krise, die sie zu bewältigen hatte, lernten die Deutschen die Gelassenheit und Sachlichkeit der Kanzlerin noch einmal neu zu schätzen. Merkel gab in der Pandemie stets Mahnerin. „Ich weiß nicht, ob sie ihren Spitznamen ,Mutti‘ mag oder nicht. Aber sie hat sich so verhalten wie eine Mutter, die ihre Kinder vor den Übeltätern der Welt bewahren will“, sagte der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel einmal.
Biografin Jacqueline Boysen konstatierte, Merkel habe den teils fast liebevollen, aber eben auch despektierlichen Spitznamen „ertragen und steht auch da in einem erstaunlichen Maße über den Dingen“. Durch ihr hohes Verantwortungsbewusstsein habe Merkel zwar eine „seltsame Form von Mütterlichkeit, also Verlässlichkeit, entwickelt. Aber die geht bei ihr nicht einher mit übermäßiger Emotionalität“.
Viel Feind und oft wenig Ehr’
Merkel musste in ihrem Politikerinnenleben viel einstecken. Sie wird geschätzt, aber nicht geliebt. Insbesondere ihre Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015 und 2016 förderte regelrechten Hass und Verachtung zutage. In der Bevölkerung, aber auch in den eigenen Reihen. Der damalige Innenminister und CSUVorsitzende Horst Seehofer ließ der Chefin der Schwesterpartei im Asylstreit kaum eine ruhige Minute. Auf dem CSU-Parteitag 2015 führte er die Kanzlerin vor und ließ später verlauten, er werde sich doch nicht von einer Kanzlerin feuern lassen, der er in den Sattel verholfen habe. Es war die Zeit, als Merkels Beliebtheitswerte einbrachen. Als von der vermeintlichen „Kanzlerinnendämauch merung“die Rede war. Doch selbst politische Gegner zeigten sich von der Kanzlerin immer wieder beeindruckt. Zu ihrem 60. Geburtstag lobte Sigmar Gabriel Merkel als herausragende Persönlichkeit und Politikerin. Es sei „zumindest zeitweise“eine große Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten, scherzte der SPD-Politiker damals und schob ein ernst gemeintes Kompliment hinterher: „Für mich sind Sie ein absolut zuverlässiger Mensch.“Manchmal dauere es, bis man Merkels Wort habe, „aber dann gilt es“. Fragt man Gabriel sieben Jahre später nach dieser Laudatio, so steht er immer noch zu seinen Worten. „Ich würde alles genauso wieder sagen, denn an meiner Beurteilung der menschlichen wie politischen Qualitäten der Kanzlerin hat sich nichts geändert“, sagt er, hat aber eine kritische Ergänzung: „Eines hat Angela Merkel in ihrer so langen und erfolgreichen Kanzlerschaft allerdings nicht geschafft und vielleicht auch nicht gewollt: die Deutschen mental und politisch auf eine völlig veränderte Welt vorzubereiten.“
Endgültig Schluss
Die Orchidee „Dendrobium Angela Merkel“kann bei entsprechender Pflege meterhoch werden und trotzt auch widrigen Bedingungen. Keine schlechte Wahl also für eine Politikerin, die es in ihrer Regierungszeit mit allerhand Widrigkeiten zu tun hatte. Die von US-Präsident Barack Obama mit der „Medal of Freedie dom“, der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten, ausgezeichnet wurde und sich die Jahre danach mit Obamas rabaukenhaftem Nachfolger Donald Trump herumschlagen musste. Die hoffnungsvolle Talente kommen und gescheiterte Existenzen gehen sah. Die als Klimakanzlerin einst gefeiert wurde und an der Erderwärmung und deren dramatischen Folgen doch nichts zu ändern vermochte.
Merkel widerstand oft, hielt aus, hielt durch. Nur in wenigen Momenten zeigte sie, dass es selbst ihr zu viel wurde. Da waren die Schwächeanfälle während eines Interviews am Rande eines CDU-Parteitages sowie bei einem Staatsbesuch in Mexiko. Die deutsche Regierungschefin bekam beim Empfang mit militärischen Ehren für alle Umstehenden sichtbar das Zittern. Es gab weitere Zitteranfälle, die Kanzlerin absolvierte daraufhin einige öffentliche Termine im Sitzen.
Als sie im Oktober 2018 ankündigte, nicht mehr für das Amt der CDU-Vorsitzenden zu kandidieren und 2021 auch ala Kanzlerin schluss zu machen, war auch das ein Zeichen von Müdigkeit. Sie hatte keine Lust mehr auf die innerparteilichen Vorwürfe, den Nervenkrieg, die Anfeindungen, das Lauern der anderen auf Fehler. Es gab später nicht wenige, die sich angesichts der erbitterten Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidatur wünschten, sie möge diesen Entschluss womöglich doch widerrufen. Merkels Entschluss allerdings stand und steht fest. Felsenfest.
Und nun? Bei ihrem letzten Besuch in Washington öffnet sie die Tür zu ihrem Inneren einen Spaltbreit – und lässt fast so etwas wie eine Sehnsucht nach dem Abschied erkennen. Sie werde „nicht gleich die nächste Einladung annehmen, weil ich Angst habe, ich habe nichts zu tun und keiner will mich mehr“, sagt sie da. Sie wolle eine Pause einlegen und nachdenken, was sie eigentlich so interessiere. „Und dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal.“Wahrscheinlich würden ihr aus Gewohnheit viele Gedanken kommen, was sie jetzt so alles machen müsste. Aber „dann wird mir ganz schnell einfallen, dass das jetzt ein anderer macht. Und ich glaube, das wird mir sehr gut gefallen.“Denkbar ist, dass sie mit ihrem Mann Joachim Sauer um die Welt reist, hier und da einen Vortrag hält, sich die Westküste der Vereinigten Staaten genauer anschaut – ein Wunsch, den sie früh in ihrer Amtszeit einmal äußerte. Denn die USA standen für sie stets für jene Freiheit, nach der sie sich in jungen Jahren so gesehnt hatte.
Politische Ämter wird Merkel nicht mehr übernehmen. Es könnte dahinter auch eine Erkenntnis stecken, die sie anlässlich ihres 60. Geburtstages äußerte. Eine Weisheit, die auf ihre Kanzlerschaft ebenso anwendbar ist wie auf ihre persönliche Zukunft als Privatperson, als Mensch Merkel, dessen politisches Wirken Geschichte ist: „Wenn’s heute schön ist“, sagte die Kanzlerin damals, „muss es morgen nicht genauso sein.“