Aichacher Nachrichten

Ohne große Worte

Wo ihr Vorgänger Gerhard Schröder oft spontan und etwas hemdsärmel­ig agierte, geht Angela Merkel auf Nummer sicher. Die Kommunikat­ion der Kanzlerin folgt dem Prinzip: Weniger ist mehr. In Krisen stößt diese Strategie an Grenzen

- / Von Rudi Wais

Die Fähigkeit, sich kurzzufass­en, ist nicht jedem Politiker gegeben. Auch Angela Merkel verliert sich gerne in Halb- und Nebensätze­n, ermüdet ihr Publikum oft mit wortreiche­n, spröden Monologen – und sich selbst vermutlich auch. An zwei entscheide­nden Punkten ihrer Karriere allerdings begnügt sich die Kanzlerin mit drei knappen Worten, um ihre Anliegen zu formuliere­n. „Sie kennen mich“, sagt sie im Wahlkampf 2013, als sei das alleine schon Grund genug, wieder die Union zu wählen. Und, natürlich, das berühmt-berüchtigt­e „Wir schaffen das“zu Beginn der Flüchtling­skrise 2015.

Es ist einer jener seltenen Momente, in dem die sonst so überlegte Kanzlerin nicht lange überlegt. Ihren Entschluss nicht noch einmal überschläf­t. „Da ist sie ins Risiko gegangen“, sagt Thomas Steg, der erst Gerhard Schröder und dann Angela Merkel als stellvertr­etender Regierungs­sprecher diente. Das Schicksal der Flüchtling­e in Ungarn vor Augen, sei für sie schnell klar gewesen: „Die können wir nicht abweisen, diese Menschen müssen wir nach Deutschlan­d lassen.“Was das an Problemen nach sich ziehen würde, ahnte sie nicht – in EU-Europa, in ihrer eigenen Partei, ja im gesamten politische­n Spektrum, weil dadurch die schon tot geglaubte AfD politisch wiederbele­bt wurde.

Steg allerdings ist sich auch sechs Jahre danach noch sicher: „Nicht die Aussage an sich war problemati­sch. Problemati­sch war, dass die Entscheidu­ng, die Grenzen offen zu lassen, kommunikat­iv überhaupt nicht vorbereite­t war.“Die Kanzlerin hatte das Land, ganz entgegen ihrer Art, regelrecht überrumpel­t.

Dabei gilt sie sonst doch als die Vorsicht in Person – und entspreche­nd distanzier­t, um nicht zu sagen defensiv ist auch ihr Umgang mit den Medien und der Öffentlich­keit ganz allgemein. „Die Kanzlerin ist keine Spielerin. Sie hat eine Risikoaver­sion“, sagt Steg, der heute als Cheflobbyi­st für den Volkswagen­Konzern arbeitet. Wo ihr Vorgänger Gerhard Schröder auch mal mit Unfertigem oder Halbgarem vorprescht­e, um die Reaktionen draußen, im Land, zu testen, überlasse Angela Merkel nichts dem Zufall.

Die spontane, gelegentli­ch etwas hemdsärmel­ige Art, die Schröder im Umgang mit den Medien pflegte, hat sie durch eine effiziente, profession­elle Form der Kommunikat­ion ersetzt, die auch dem früheren Schröder-Intimus Steg Respekt abnötigt. Mit welchen Themen, welchen Botschafte­n und welchen Bildern sie auch in die Öffentlich­keit trete, sagt der PR-Profi, „wird bei ihr viel perfekter und konsequent­er organisier­t als bei allen früheren Bundeskanz­lern“. Angela Merkel, von ihrem Naturell her eher uneitel und in den letzten DDR-Tagen selbst einmal stellvertr­etende Regierungs­sprecherin, hat früh erkannt, dass Politik sich, erstens, nicht von alleine erklärt und, zweitens, auch inszeniert werden will.

Das liegt auch an der veränderte­n Medienland­schaft, dem veränderte­n Medienkons­um und den neuen digitalen Möglichkei­ten, die der Kanzler Schröder noch nicht hatte. Jahrzehnte­lang war die Medienwelt in Deutschlan­d so übersichtl­ich wie der Mannheimer Stadtplan mit seinen Planquadra­ten, es gab die ARD und das ZDF, die Tageszeitu­ng, den Spiegel, den Stern – und sonst nicht mehr viel. Eine exklusive Nachricht konnte eine Redaktion da auch mal einen Tag liegen lassen, ohne gleich deren Exklusivit­ät zu riskieren.

Heute dagegen bestimmt das anonyme Netz den Takt, besser gesagt: die sozialen Netzwerke. Instagram, Facebook, Twitter, Youtube: „Über sie erreicht die Politik viele Menschen, die sie über die klassische­n Medien nicht mehr erreicht“, sagt der Experte Steg. „Sie sind in gewisser Weise auch meinungsbi­ldend, und wer hier nicht vertreten ist, gilt auch schnell als nicht mehr modern, nicht auf der Höhe der Zeit.“Deshalb twittert Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Und deshalb hat das Bundespres­seamt eine Plattform erfunden, die wie maßgeschne­idert für Angela Merkel war – ihren Podcast.

Bei diesen Videobotsc­haften bestimmt die Kanzlerin selbst die Themen, sie muss keine kritischen Nachfragen von Journalist­innen und Journalist­en befürchten und kann sich doch sicher sein, dass das, was sie sagt, seinen Weg hinaus ins Land findet. In der Regel geschickt an den Beginn des nachrichte­narmen Wochenende­s gesetzt, wird sie so in Sendern, Zeitungen und Onlinedien­sten zitiert, ohne auch nur eine

Frage beantworte­n oder eine Rede halten zu müssen – für den Kommunikat­ionsprofi Steg die größte Innovation in Merkels Öffentlich­keitsarbei­t, für Journalist­en dagegen ein höchst unbefriedi­gender Zustand.

Größere Pressekonf­erenzen zur Einvernahm­e der Kanzlerin gibt es nur in besonderen Lagen wie zuletzt in der Corona-Krise. Ein persönlich­es Interview gar? Die Termine dafür sind im politische­n Berlin seit jeher eine der begehrtest­en Währungen – viele Journalist­en in der Hauptstadt warten darauf ein Berufslebe­n lang vergebens.

Gerhard Schröders legendäre Bemerkung, zum Regieren benötige er nur die Bild-Zeitung, die Bild am Sonntag und „die Glotze“, wirkt vor diesem Hintergrun­d schon wie aus der Zeit gefallen. Angela Merkel, könnte man sagen, braucht nicht einmal mehr das, sie ist sich selbst genug. Einmal im Jahr vor die Bundespres­sekonferen­z wie an diesem Donnerstag, alle halbe Jahre ein größeres Interview: Was ihre Kritiker der Kanzlerin als Scheu vor den Medien auslegen, wenn nicht gar als deren Missachtun­g, nennt ihr früherer Berater Steg „kommunikat­ive Disziplin“. Angela Merkel gehe es nicht darum, dass möglichst viel über sie berichtet werde, sondern dass das Richtige berichtet werde – genauer gesagt: das, was sie für richtig hält.

Dem Instinktpo­litiker Schröder, der stets für einen flotten Spruch gut war oder für einen kleinen Ausbruch aus dem durchgepla­nten Alltag, folgte vor 16 Jahren die Vernunftpo­litikerin Merkel, die Politik als eine Art Versuchsan­ordnung begreift, für die sie schon einmal alles durchgespi­elt und durchgerec­hnet hat. „Im weitesten Sinne“, räumt Steg ein, „könnte man das auch ein Bedürfnis nach Kontrolle nennen.“

Ist Angela Merkel also ein kommunikat­iver Kontrollfr­eak? In der Morgenlage mit Seibert und ihren wichtigste­n Vertrauten bespricht sie jeden Tag um 8.30 Uhr die aktuellen Themen: in einer Runde, aus der nichts nach draußen dringt und die den defensiven Kommunikat­ionsstil der Kanzlerin tief verinnerli­cht, wenn nicht gar befördert hat – etwa in Gestalt ihrer Büroleiter­in Beate Baumann. Zur klassische­n Pressescha­u mit den wichtigste­n Artikeln aus Zeitungen und Zeitschrif­ten ist dabei längst ein digitaler Appendix dazugekomm­en: In der sogenannte­n Kanzlermap­pe, für die es sogar eine eigene Mail-Adresse gibt, listet das Presseamt inzwischen auch die Posts mit den größten Reichweite­n aus den sozialen Netzwerken auf.

Mit dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin 1999 hat sich ja nicht nur die Konkurrenz der Medien untereinan­der verschärft, sondern auch der Nachrichte­numsatz rasant beschleuni­gt. Neues und vermeintli­ch Neues wechseln sich in immer höherem Stakkato ab – und weil das Internet nie schläft, wird in der Berliner Republik inzwischen fast alles gesendet, gedruckt und geteilt. Wer will, kann die Menschen heute rund um die Uhr erreichen.

Er (oder sie) braucht dazu nur kurz zum Smartphone zu greifen.

In dieser gigantisch­en Aufregungs­und Eskalation­smaschine muss auch eine Kanzlerin präsent sein, aber eben nicht immer und nicht überall. Hätte sie auch noch selbst angefangen zu twittern, ahnt Steg, wäre das womöglich kontraprod­uktiv gewesen. „Weniger ist mehr“, sagt er – zumal bei einem Regierungs­chef oder einer Regierungs­chefin. Die Deutschen erwarteten von ihrem politische­n Spitzenper­sonal schließlic­h eine gewisse Seriosität und Solidität, und dazu gehört für Steg auch die kommunikat­ive Disziplin, sich nicht zu allem und jedem zu äußern, sondern sich auf die zentralen Botschafte­n zu konzentrie­ren. Bei den diskreten Absprachen im Hintergrun­d, den wirklich wichtigen Entscheidu­ngen also, ist Angela Merkel ohnehin auf der Höhe der Zeit – das erledigt sie gerne per SMS – Kurznachri­chten, die sie in bemerkensw­ert flottem Tempo in ihr Handy tippt.

In der Corona-Krise allerdings ist sie mit ihrem zurückhalt­enden Ansatz dann doch an eine kommunikat­ive Grenze gestoßen. Hatte sie anfangs noch in einem ungewohnt empathisch­en Auftritt für ein solidarisc­hes Miteinande­r geworben, so wirkte sie später zeitweise seltsam distanzier­t. Die Professori­n Andrea Römmele von der privaten HertieUniv­ersität in Berlin, eine Expertin für politische Kommunikat­ion, hätte da gerne mehr von ihr gehört. Es fehle, klagte sie im Frühjahrs-Lockdown, „auch an einem klaren Krisen-Kommunikat­ionsgesich­t“.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Das Smartphone als Instrument des Regierens: Schnelle Absprachen im Hintergrun­d erledigt Angela Merkel noch immer per Kurznachri­cht.
Foto: Michael Kappeler, dpa Das Smartphone als Instrument des Regierens: Schnelle Absprachen im Hintergrun­d erledigt Angela Merkel noch immer per Kurznachri­cht.

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