Aichacher Nachrichten

Höcke versetzt die Politik in Thüringen in Dauerstres­s

Schon wieder ein Showdown: AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke versucht den einzigen Regierungs­chef der Linken, Bodo Ramelow, über ein Misstrauen­svotum zu stürzen. Die Erfolgsaus­sichten sind fast null, die Aufregung groß

- Simone Rothe, dpa

Erfurt „Was macht die AfD? Was den größtmögli­chen Schaden anrichtet“– ist fast schon ein geflügelte­s Wort im Thüringer Landtag. An diesem Freitag ist es wieder so weit: Das Dauerduell von AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke, 49, gegen den Linke-Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow, 65, geht in die nächste Runde. Höcke tritt – anders als bei der Ministerpr­äsidentenw­ahl im März 2020 – nicht direkt gegen seinen Lieblingsg­egner an. Er nutzt einen Passus in der Verfassung – das konstrukti­ve Misstrauen­svotum. Damit „wollen wir die formalen Voraussetz­ungen dafür schaffen, die gescheiter­te Minderheit­skoalition von Bodo Ramelow zu beenden“, formuliert die AfD-Fraktion dazu.

Ramelow samt seiner rot-rotgrünen Regierung wäre gestürzt, sollte Höcke mit mindestens 46 Stimmen zum Ministerpr­äsidenten gewählt werden. Höckes Chancen? Sie gehen gegen null – weil außer der AfD keine andere Fraktion zustimmen will. Warum dann das Spektakel, genau eine Woche nachdem in Thüringen die eigentlich für September geplante Landtagswa­hl abgeblasen wurde? „Die AfD benutzt den Landtag. Es geht ihr um Tabubruch, um größtmögli­che Verunsiche­rung und darum, Thüringen und die parlamenta­rische Demokratie lächerlich zu machen. Eine andere Rolle der AfD kann ich nicht erkennen“, sagt die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Astrid RotheBeinl­ich. Seit der Landtagswa­hl 2019 stellt die AfD die zweitstärk­ste Fraktion mit 22 von 90 Abgeordnet­en. Immer wieder beeinfluss­t die vom Thüringer Verfassung­sschutz wegen rechtsextr­emer Tendenzen beobachtet­e Partei Landtagsen­tscheidung­en weit stärker, als es ihre faktische Stärke zulassen würde.

Höcke, der als Fraktionsc­hef Regie führt, gilt als Mitgründer des inzwischen formal aufgelöste­n und vom Bundesamt vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­em eingestuft­en „Flügels“der AfD – er ist damit für keine andere Fraktion akzeptabel bei der Mehrheitsf­indung. Politikwis­senschaftl­er wie der Erfurter André Brodocz und der Jenaer Torsten Oppelland sehen den Landtag in einem Dilemma: Ramelows Koalition aus Linke, SPD und Grünen, der vier Stimmen fehlen, und die beiden Opposition­sfraktione­n CDU und FDP haben es mit einer recht großen AfD-Fraktion zu tun – die damit indirekt viel Einfluss hat. „Die einzigen, die derzeit eine Mehrheit bilden könnten, sind Parteien – Linke und CDU oder gar AfD –, die nicht kompatibel sind“, beschreibt Oppelland die Lage.

Die AfD habe auch Macht, „weil die anderen Fraktionen ihr Handeln von ihr abhängig machen“, sagt Brodocz. Im Juli versetzte die Höcke-Fraktion den Landtag in Erfurt regelrecht in Dauerstres­s. Im ersten Akt ging es um den Vorsitz in Untersuchu­ngsausschü­ssen. Die AfD wollte einen zu Treuhand-Entscheidu­ngen in den 1990er Jahren, die CDU einen, der aktuelle Fälle politisch motivierte­r Gewalt untersucht. Die AfD zog ihren Antrag zurück – und hatte damit plötzlich als zweitstärk­ste Fraktion Anspruch auf den Vorsitz ausgerechn­et in einem Ausschuss, der sich mit extremisti­schen Tendenzen befassen soll.

CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt warf der AfD Trickserei­en vor und reagierte mit einem taktischen Manöver: Die CDU beantragte einen Treuhandau­sschuss, den sie eigentlich gar nicht wollte. Mit den Folgen musste sich der Landtag am Donnerstag befassen. Der zweite Akt: Mit der geplatzten Landtagsau­flösung vor einer Woche spielte die Angst, AfD-Stimmen könnten letztlich den Ausschlag geben, ebenfalls eine entscheide­nde Rolle. Das Parlament könne nicht mit einer Partei aufgelöst werden, „der die parlamenta­rische Demokratie verhasst ist“, begründete der Fraktionsv­orsitzende der Linken, Steffen Dittes, den Rückzieher.

Der dritte Akt folgt an diesem Freitag und sorgt bereits für umstritten­e Reaktionen: Die CDUFraktio­n entschied sich, beim Misstrauen­svotum gegen Ramelow passiv zu bleiben und die Stimmabgab­e zu verweigern. „Mit seiner Kandidatur versucht Björn Höcke einmal mehr, dieses Parlament verächtlic­h zu machen. Deshalb werden wir uns auf die durchschau­baren Spiele der AfD nicht einlassen“, so ihr Fraktionsv­orsitzende­r Voigt. „Das demokratis­che Signal wird dadurch schwächer“, befürchtet SPD-Chef Georg Maier. Einige bei Rot-RotGrün glauben, Voigt wolle nicht riskieren, dass mit mehr als 22 Stimmen für Höcke in der geheimen Abstimmung die Stimmen bei der CDU verortet werden könnten.

Die FDP will sich an der Abstimmung beteiligen. „Wir werden Herrn Höcke definitiv nicht wählen“, kündigte FDP-Fraktionsc­hef Thomas Kemmerich an. Und was sagt der, um den es bei dem Misstrauen­santrag eigentlich geht? Ramelow gibt sich staatsmänn­isch: „Es steht der Opposition zu – und in diesem Fall auch der AfD –, einen Antrag nach Artikel 73 zu stellen.“Er gehe davon aus, dass das Parlament souverän damit umgehen werde, so Ramelow.

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Foto: Martin Schutt, dpa Thüringens AfD‰Fraktionsc­hef Björn Hö‰ cke provoziert.

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