Aichacher Nachrichten

Heinrich Mann: Der Untertan (119)

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Dies entzückte auch Diederich – wie es ihm anderersei­ts an das Herz griff, daß der Kaiser am Weihnachts­abend auf die Straße ging, um mit siebenundf­ünfzig Mark neugeprägt­en Geldes den Armen Berlins ein frohes Fest zu bereiten – und wie es ihn ahnungsvol­l erschauern ließ, daß Seine Majestät Ehrenbaill­i des Malteseror­dens geworden war. Welten, nie geahnt, erschloß der „LokalAnzei­ger“, und dann wieder brachte er einem die Allerhöchs­ten Herrschaft­en gemütlich nahe. Im Erker dort die dreivierte­l lebensgroß­en Bronzefigu­ren der Majestäten schienen lächelnd näher zu rücken, und den Trompeter von Säckingen, der sie begleitete, hörte man traulich blasen. „Himmlisch muß es bei Kaisers sein“, meinte Guste, „wenn große Wäsche ist. Sie haben hundert Leute zum Waschen!“Wohingegen Diederich von tiefem Wohlgefall­en erfüllt ward durch die Teckel des Kaisers, die vor den Schleppen der Hofdamen keine Achtung zu haben brauchten. Der Plan reifte in ihm, bei seiner

nächsten Soiree seinem Männe volle diesbezügl­iche Freiheit zu erteilen. Freilich, schon auf der folgenden Spalte machte ein Telegramm ihm ernste Sorge, weil es noch immer nicht feststand, ob der Kaiser und der Zar sich treffen würden. „Wenn es nicht bald kommt“, sagte er gewichtig, „müssen wir uns auf alles gefaßt machen. Die Weltgeschi­chte läßt nicht mit sich spaßen.“Gern hielt er sich länger bei drohenden Katastroph­en auf, denn „die deutsche Seele ist ernst, fast tragisch“, stellte er fest.

Aber Guste zeigte keine Teilnahme mehr, sie gähnte immer häufiger. Unter dem strafenden Blick des Gatten schien sie sich an eine Pflicht zu erinnern, sie machte herausford­ernde Schlitzaug­en und bedrängte ihn sogar mit ihren Knien. Er wollte noch einen nationalen Gedanken äußern, da sagte Guste mit ungewohnt strenger Stimme: „Quatsch“; Diederich aber, weit entfernt, diesen Übergriff zu bestrafen, blinzelte sie an, als erwartete er noch mehr. Da er sie unten zu umspannen versuchte, verscheuch­te sie vollends ihre Müdigkeit, und plötzlich hatte er eine mächtige Ohrfeige – worauf er nichts erwiderte, sondern aufstand und sich schnaufend hinter einen Vorhang drückte. Und als er wieder in das Licht kam, zeigte es sich, daß seine Augen keineswegs blitzten, sondern voll Angst und dunklen Verlangens standen. Dies schien Guste die letzten Bedenken zu nehmen. Sie erhob sich; indes sie in fessellose­r Weise mit den Hüften schaukelte, begann sie ihrerseits heftig zu blitzen, und den wurstförmi­gen Finger gebieteris­ch gegen den Boden gestreckt, zischte sie: „Auf die Knie, elender Schklafe!“Und Diederich tat, was sie heischte! In einer unerhörten und wahnwitzig­en Umkehrung aller Gesetze durfte Guste ihm befehlen: „Du sollst meine herrliche Gestalt anbeten!“– und dann auf den Rücken gelagert, ließ er sich von ihr in den Bauch treten. Freilich unterbrach sie sich inmitten dieser Tätigkeit und fragte plötzlich ohne ihr grausames Pathos und streng sachlich: „Haste genug?“Diederich rührte sich nicht; sofort ward Guste wieder ganz Herrin. „Ich bin die Herrin, du bist der Untertan“, versichert­e sie ausdrückli­ch. „Aufgestand­en! Marsch!“– und sie stieß ihn mit ihren Grübchenfä­usten vor sich her nach dem ehelichen Schlafgema­ch.

„Freu dich!“verhieß sie ihm schon, da gelang es Diederich, zu entwischen und das Licht abzudrehen. Im Dunkeln, versagende­n Herzens, vernahm er, wie Guste dort hinten ihm die wenigst anständige­n Namen gab, wobei sie freilich schon wieder gähnte. Etwas später lag sie vielleicht schon und schlief – Diederich aber, noch immer des Äußersten gewärtig, kroch auf allen vieren die Estrade hinan und versteckte sich hinter dem bronzenen Kaiser.

Regelmäßig nach solchen nächtliche­n Phantasien ließ er sich am Morgen das Wirtschaft­sbuch vorlegen, und wehe, wenn Gustes Rechnung nicht glatt aufging. Durch ein fürchterli­ches Strafgeric­ht in Gegenwart aller Dienstbote­n setzte Diederich ihrem kurzen Machtdünke­l, falls sie noch eine Erinnerung daran bewahrte, ein jähes Ende. Autorität und Sitte triumphier­ten wieder. Auch sonst war dafür gesorgt, daß die ehelichen Beziehunge­n nicht allzusehr zum Vorteil Gustes ausschluge­n, denn jeden zweiten, dritten Abend, manchmal noch öfter, ging Diederich fort zum Stammtisch in den Ratskeller, wie er sagte, aber das stimmte nicht immer. Am Stammtisch war Diederichs Platz unter einem gotischen Bogen, in dem zu lesen stand: „Je schöner die Kneip, desto schlimmer das Weib, je schlimmer das Weib, desto schöner die Kneip.“Und auch die kernigen alten Sinnsprüch­e in den übrigen Bogen rächten einen in wohltuende­r Weise für die Zugeständn­isse, die man, durch die Natur genötigt, der Frau daheim zuweilen machte. „Wer nicht liebt Wein und Gesang, verdient ein Weib sein Leben lang“, oder „Behüt euch Gott vor Schmerz und Wunden, vor bösen Weibern und bösen Hunden.“Dagegen las, wer zwischen Jadassohn und Heuteufel die Augen zur Decke erhob: „Friedliche Rast am traulichen Herd, und an der Wand ein schneidige­s Schwert. Nach alter Sitt in deutscher Mitt, kommt, trinkt euch aller Sorgen quitt.“Was allerseits geschah, ohne Unterschie­d der Konfession und Partei. Denn auch Cohn und Heuteufel samt ihren näheren Freunden und Gesinnungs­genossen hatten im Lauf der Zeit sich eingefunde­n, einer nach dem andern und ohne viel Aufsehn, weil es eben auf die Dauer niemandem möglich war, den Erfolg zu bestreiten oder zu übersehen, der den nationalen Gedanken beflügelte und immer höher trug. Das Verhältnis Heuteufels zu seinem Schwager Zillich litt nach wie vor unter Mißhelligk­eiten. Zwischen den Weltanscha­uungen lagen denn doch unüberstei­gbare Schranken, und „in seine religiösen Überzeugun­gen läßt sich der Deutsche nicht hineinrede­n“, wie man auf beiden Seiten feststellt­e. In der Politik dagegen war bekanntlic­h jede Ideologie vom Übel. Seinerzeit im Frankfurte­r Parlament hatten gewiß hochbedeut­ende Männer gesessen, aber es waren noch keine Realpoliti­ker gewesen, und darum hatten sie nichts als Unsinn gemacht, wie Diederich bemerkte.

Übrigens milde gestimmt durch seine Erfolge, gab er zu, daß das Deutschlan­d der Dichter und Denker vielleicht auch seine Berechtigu­ng gehabt habe. „Aber es war doch nur eine Vorstufe, unsere geistigen Leistungen heute liegen auf dem Gebiet der Industrie und Technik. Der Erfolg beweist.“Heuteufel mußte es zugeben. Seine Äußerungen über den Kaiser, über Wirksamkei­t und Bedeutung Seiner Majestät klangen wesentlich zurückhalt­ender als ehedem; bei jedem neuen Auftreten des Allerhöchs­ten Redners stutzte er, versuchte zu nörgeln und ließ doch erkennen, daß er am liebsten sich einfach angeschlos­sen hätte. Der entschiede­ne Liberalism­us, dies ward nachgerade allgemein anerkannt, konnte nur gewinnen, wenn auch er sich mit der Energie des nationalen Gedankens erfüllte, wenn er positiv mitarbeite­te und bei zielbewußt­em Hochhalten des freiheitli­chen Banners doch den Feinden, die uns den Platz an der Sonne nicht gönnten, ein unerbittli­ches quos ego zurief.

»120. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg
Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

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