Bei diesem Trio lauscht sogar die Natur
Faszinierende Soli, begeisterndes Zusammenspiel: Gitarrist Julian Lage und seine Mitstreiter im Botanischen Garten
Niemand der 500 Gäste des Jazzsommers am Mittwochabend würde sich wohl gesträubt haben, eines der sechs Konzerte des Julian Lage Trios Anfang 2020 im Village Vanguard zu erleben. Doch die Kulisse des Rosenpavillions im botanischen Garten ist mindestens genauso adäquat wie der legendäre New Yorker Jazz Club. Die Reinheit des Klangs, die aus den Händen des kalifornischen Gitarristen fließt, fügt sich in die Schönheit der Natur, in die Farbenpracht der Blüten, die in der sanften Röte der Abendsonne schimmern. Nur der sorgenfreie Gesang der Vögel im nahen Stadtwald verstummt, als die Band einsteigt. Vielleicht war es ihnen zu laut; oder sie merkten, dass für die Sorgenfreiheit in den nächsten eineinhalb Stunden Julian Lage mit Bassist Jorge Roeder und Schlagzeuger Kenny Wollesen zuständig sein sollte.
Nach den oben erwähnten Konzerten wollte Lage eigentlich ins Studio gehen, um „Squint“, seine erste Veröffentlichung auf dem weltbekannten Jazzlabel Blue Note einzuspielen, doch ein Unhold namens Covid wusste das erst einmal zu verhindern. Die Zwangspause gab Lage die Möglichkeit, noch einmal über Musik nachzudenken und sich mit Menschen auszutauschen, die nicht aus dem Jazzkontext stammen. Wilco-Frontmann Jeff Tweedy gehörte dazu, ein großartiger Songwriter, dessen Kunst Lage ebenso schätzt wie die Kunst der Improvisation.
Beide Facetten vereint Lage in Kompositionen wie „Saint Rose“, mit dem das Trio nach einer kleinen Soloetüde das Konzert eröffnete. Jazz-Soli, Americana-Atmosphäre, ein paar Indierock-Akkorde sind in diesem Stück zu entdecken. Oft erinnert das Verhältnis dieser Genres an ein Familientreffen, bei dem sich der krawallige Onkel Rock über den schrulligen Opa Jazz ereifert, doch Julian Lage erklärt ihnen, dass Blut dicker ist als Wasser, und das Blut dieser Musik heißt Blues. Schlagzeuger Kenny Wollesen ist ein mehr als angemessener Ersatz für den auf dem Album zu hörenden Bad PlusDrummer Dave King. Denn Wollesen, ein hervorragender Jazzdrummer, ist sich auch nicht zu schade für einen geraden Vierviertel-Takt, wenn es denn gerade passt.
Julian Lage selbst ist die Freude ins Gesicht geschrieben. Er spielt mit einer Leichtigkeit, die virtuoses Gitarrenspiel als die unkomplizierteste Sache der Welt erscheinen lässt, doch das täuscht, denn in seiner Musik stecken Arbeit, Hingabe und sehr viel Talent. Bei hart angeschlagenen Akkorden hört man den typischen Crunch eines einfachen Fender-Verstärkers, sonst verfremdet kein Effekt den klaren Sound von Lages Gitarre. Er braucht nur seine Fingerspitzen und das rechte Handgelenk, um dem altbekannten Instrument die wunderbarsten Klänge zu entlocken, und während viele Gitarristen ihre überragende Technik für seelenlose Höherschneller-weiter-Aufführungen benutzen, ist sie für Lage ein Mittel, um Großes zu erschaffen.
Ein Gitarrentrio bietet Luft und Platz für alle Beteiligten, auch für den essenziellen, aber manchmal stiefmütterlich behandelte Bass. Als Lage das Stück „Familiar Flower“ ansagte, freuten sich die anwesenden Bienen. „Vertraute Blume, das ist unser Metier“, dachten sie sich, vergaßen dann aber angesichts des überragenden Daumenlagensolos von Jorge Roeder für ein paar Momente das Nektarnaschen in den Rosenblüten. Roeders Bass ist bei kraftvoll angeschlagenen Leersaiten ebenso präsent wie bei kleinen, akzentuierten Läufen in hohen Lagen oder einem sprintenden Walking Bass.
Der ist kurz vor dem Ende zu hören, als die Band die aufgestaute Energie aus monatelanger Bühnenabstinenz in einen improvisierten Parforceritt voller Salto schlagender Soli, Haken schlagender Drumfills und Lachen steckt. Band und Publikum genossen gleichermaßen. Es war der erste Auftritt eines Gitarrentrios in der fast 30 Jahre währenden Geschichte des Augsburger Jazzsommers. Für das nächste hat Julian Lage die Messlatte sehr hoch gelegt.