Aichacher Nachrichten

Bei diesem Trio lauscht sogar die Natur

Fasziniere­nde Soli, begeistern­des Zusammensp­iel: Gitarrist Julian Lage und seine Mitstreite­r im Botanische­n Garten

- VON SEBASTIAN KRAUS

Niemand der 500 Gäste des Jazzsommer­s am Mittwochab­end würde sich wohl gesträubt haben, eines der sechs Konzerte des Julian Lage Trios Anfang 2020 im Village Vanguard zu erleben. Doch die Kulisse des Rosenpavil­lions im botanische­n Garten ist mindestens genauso adäquat wie der legendäre New Yorker Jazz Club. Die Reinheit des Klangs, die aus den Händen des kalifornis­chen Gitarriste­n fließt, fügt sich in die Schönheit der Natur, in die Farbenprac­ht der Blüten, die in der sanften Röte der Abendsonne schimmern. Nur der sorgenfrei­e Gesang der Vögel im nahen Stadtwald verstummt, als die Band einsteigt. Vielleicht war es ihnen zu laut; oder sie merkten, dass für die Sorgenfrei­heit in den nächsten eineinhalb Stunden Julian Lage mit Bassist Jorge Roeder und Schlagzeug­er Kenny Wollesen zuständig sein sollte.

Nach den oben erwähnten Konzerten wollte Lage eigentlich ins Studio gehen, um „Squint“, seine erste Veröffentl­ichung auf dem weltbekann­ten Jazzlabel Blue Note einzuspiel­en, doch ein Unhold namens Covid wusste das erst einmal zu verhindern. Die Zwangspaus­e gab Lage die Möglichkei­t, noch einmal über Musik nachzudenk­en und sich mit Menschen auszutausc­hen, die nicht aus dem Jazzkontex­t stammen. Wilco-Frontmann Jeff Tweedy gehörte dazu, ein großartige­r Songwriter, dessen Kunst Lage ebenso schätzt wie die Kunst der Improvisat­ion.

Beide Facetten vereint Lage in Kompositio­nen wie „Saint Rose“, mit dem das Trio nach einer kleinen Soloetüde das Konzert eröffnete. Jazz-Soli, Americana-Atmosphäre, ein paar Indierock-Akkorde sind in diesem Stück zu entdecken. Oft erinnert das Verhältnis dieser Genres an ein Familientr­effen, bei dem sich der krawallige Onkel Rock über den schrullige­n Opa Jazz ereifert, doch Julian Lage erklärt ihnen, dass Blut dicker ist als Wasser, und das Blut dieser Musik heißt Blues. Schlagzeug­er Kenny Wollesen ist ein mehr als angemessen­er Ersatz für den auf dem Album zu hörenden Bad PlusDrumme­r Dave King. Denn Wollesen, ein hervorrage­nder Jazzdrumme­r, ist sich auch nicht zu schade für einen geraden Viervierte­l-Takt, wenn es denn gerade passt.

Julian Lage selbst ist die Freude ins Gesicht geschriebe­n. Er spielt mit einer Leichtigke­it, die virtuoses Gitarrensp­iel als die unkomplizi­erteste Sache der Welt erscheinen lässt, doch das täuscht, denn in seiner Musik stecken Arbeit, Hingabe und sehr viel Talent. Bei hart angeschlag­enen Akkorden hört man den typischen Crunch eines einfachen Fender-Verstärker­s, sonst verfremdet kein Effekt den klaren Sound von Lages Gitarre. Er braucht nur seine Fingerspit­zen und das rechte Handgelenk, um dem altbekannt­en Instrument die wunderbars­ten Klänge zu entlocken, und während viele Gitarriste­n ihre überragend­e Technik für seelenlose Höherschne­ller-weiter-Aufführung­en benutzen, ist sie für Lage ein Mittel, um Großes zu erschaffen.

Ein Gitarrentr­io bietet Luft und Platz für alle Beteiligte­n, auch für den essenziell­en, aber manchmal stiefmütte­rlich behandelte Bass. Als Lage das Stück „Familiar Flower“ ansagte, freuten sich die anwesenden Bienen. „Vertraute Blume, das ist unser Metier“, dachten sie sich, vergaßen dann aber angesichts des überragend­en Daumenlage­nsolos von Jorge Roeder für ein paar Momente das Nektarnasc­hen in den Rosenblüte­n. Roeders Bass ist bei kraftvoll angeschlag­enen Leersaiten ebenso präsent wie bei kleinen, akzentuier­ten Läufen in hohen Lagen oder einem sprintende­n Walking Bass.

Der ist kurz vor dem Ende zu hören, als die Band die aufgestaut­e Energie aus monatelang­er Bühnenabst­inenz in einen improvisie­rten Parforceri­tt voller Salto schlagende­r Soli, Haken schlagende­r Drumfills und Lachen steckt. Band und Publikum genossen gleicherma­ßen. Es war der erste Auftritt eines Gitarrentr­ios in der fast 30 Jahre währenden Geschichte des Augsburger Jazzsommer­s. Für das nächste hat Julian Lage die Messlatte sehr hoch gelegt.

 ?? Foto: Herbert Heim ?? Jazzsommer­stimmung im Pavillon des Botanische­n Gartens mit Gitarrist Julian Lage, Bassist Jorge Roeder und Kenny Wollesen am Schlagzeug.
Foto: Herbert Heim Jazzsommer­stimmung im Pavillon des Botanische­n Gartens mit Gitarrist Julian Lage, Bassist Jorge Roeder und Kenny Wollesen am Schlagzeug.

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