Aichacher Nachrichten

Wie geht’s der Wirtschaft?

Analyse Nahezu jede Branche im Landkreis Aichach-Friedberg spürt die Folgen der Corona-Pandemie. Doch sind sie wirklich so verheerend wie befürchtet? Eine Bestandsau­fnahme und Schadensbe­sichtigung im Wittelsbac­her Land

- VON MAX KRAMER

Nahezu jede Branche im Landkreis Aichach-Friedberg spürt die Folgen der Corona-Pandemie. Doch sind sie wirklich so verheerend wie befürchtet?

Aichach‰Friedberg Harry Borosch hat die Reißleine gezogen. Einfach war es nie, seit er im Herbst 2017 mitten in Aichach ein Sportgesch­äft übernommen hatte. Es gab Namenswech­sel, Umstruktur­ierungen, als Sparmaßnah­me zog er sich Anfang 2020 von zwei Stockwerke­n auf eines zurück. Ob all das funktionie­rt hätte, wäre Corona nicht gewesen? Er glaubt schon, sagt Borosch. Doch die Pandemie ist und war, jede Welle rüttelte immer heftiger an den Türen des Geschäfts am Stadtplatz. Die Corona-Maßnahmen rissen Löcher, die schließlic­h zu groß wurden. Anfang Juli kündigte Borosch an, dass er seinen Laden „Sport Deals“dichtmache­n muss – explizit wegen der Pandemie-Auswirkung­en. Ist dies ein Scheitern von vielen? Oder hat Corona im Wittelsbac­her Land bislang weniger wirtschaft­liche Schäden angerichte­t als befürchtet?

Ausschlagg­ebend für das Aus, sagt Borosch, war die kalte Jahreszeit. Winterspor­t-Ausrüstung ist für Sportgesch­äfte ein elementare­r Umsatzbrin­ger. Die Saison fiel fast komplett aus, vor allem aber musste der Einzelhand­el wegen hoher Inzidenzwe­rte schließen. „Das war für mich die absolute Katastroph­e, im Winter verdiene ich mein Geld.“Er habe alle möglichen staatliche­n Hilfspaket­e beantragt, darunter auch die Überbrücku­ngshilfe III. Gereicht habe das nicht – auch, weil etliche Kunden auf das Internet ausgewiche­n seien. „Gerade im Bereich Sport wird einem online viel hinterherg­eschmissen. Da stationär mitzuhalte­n ist brutal schwierig.“

Ging es im Einzelhand­el vielen so wie Borosch? Nein, eine Pleitewell­e ist bislang ausgeblieb­en – zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Aktionsgem­einschaft Aichach (Aga), ein Zusammensc­hluss lokaler Einzelhänd­lerinnen und Einzelhänd­ler. Vorstandsm­itglied Robert Burkhard erklärt: „In unserer Region haben die inhabergef­ührten Geschäfte einen hohen Anteil von Stammkunde­n. Die sind uns größtentei­ls treu geblieben.“Im Vergleich zu größeren Städten sei man deutlich weniger vom Fremdenver­kehr abhängig – und der sei während Corona deutlich zurückgega­ngen.

Wenn es in den vergangene­n Monaten zu Schließung­en kam, war dies laut Burkhard meist nicht – oder nicht nur – auf die Pandemie zurückzufü­hren. „Da geht es viel häufiger um Nachfolge-Probleme. Die Betreiber finden niemanden mehr und greifen dann einem Schritt vor, der in zwei oder drei Jahren eh erfolgt wäre.“Die Pandemie sei „natürlich“für alle Geschäftsl­eute eine große Herausford­erung. Dass sich die meisten trotzdem über Wasser halten konnten, einem Zusammensp­iel verschiede­ner Faktoren zu verdanken: „Neben der regionalen Verbundenh­eit der Kundschaft haben auch die staatliche­n Hilfen eine Rolle gespielt. Dazu kam, dass viele Unternehme­r ihre Waren klug eingekauft und bei Bedarf auch klug investiert haben.“Eines dürfe man nicht vergessen: „Es geht um unsere Existenz, da kämpft man um jeden Cent. Wenn Ihr Kind zwei Jahre grantig ist, geben Sie es auch nicht auf.“

Dass der Landkreis bislang wirtschaft­lich stabil durch die CoronaPand­emie gekommen ist, darauf deutet auch die Lage am Arbeitsmar­kt hin – auch wenn die vergangene­n Monate von einem leichten Auf und Ab geprägt waren, wie Elsa Koller-Knedlik, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der Agentur für Arbeit Augsburg, erklärt. Seit Januar sinke die Zahl der Arbeitslos­en jedoch kontinuier­lich. Im vergangene­n Juni lag die Quote bei 2,6 Prozent, ebenso niedrig wie im Januar 2020. Trotz Corona herrschte laut Koller-Knedlik durchgehen­d Vollbeschä­ftigung, es gab immer mehr offene Stellen als Arbeitssuc­hende.

Woher kommt diese Robustheit? „Aichach-Friedberg liegt verkehrste­chnisch sehr günstig in der Nähe zu Augsburg, München, Ingolstadt. Daher haben die Menschen viele Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten“, erklärt Koller-Knedlik. „Zudem sind im Landkreis ein breiter Branchenmi­x und viele mittelstän­dische Firmen zu finden, die ihr Personal halten.“

Was hinzukomme: die Unabhängig­keit von „zu großen Firmen“– und das Instrument Kurzarbeit. Letzteres sei „immer noch von Bedeutung für etliche Betriebe, da die Restriktio­nen aus dem Arbeitssch­utz noch immer Ausfälle in manchen Branchen bedeuten.“

Jede Branche hat die Auswirkung­en der Pandemie auf die eine oder andere Weise gespürt. Rund 12.000 Unternehme­n sind im Landkreis Aichach-Friedberg unter dem Dach der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) versammelt. Nach Dämpfern in Frühjahr und Herbst 2020 ist seit Anfang des Jahres im Gesamtbild ein deutlicher Trend zur Erholung zu beobachten, wie Jens Walter, Regionalge­schäftsfüh­rer für den Wirtschaft­sraum Augsburg, bestätigt.

Dennoch gebe es im Wittelsbac­her Land vielfältig­e Probleme: „Die Unternehme­n beklagen zurzeit exorbitant­e Preissteig­erungen, teilweise gab es Verdoppelu­ngen innerhalb weniger Monate. Auch sind extreme Lieferprob­leme bei Stahl, Aluminium, Kunststoff­en und Vorprodukt­en zu beobachten.“Manche dieser Entwicklun­gen gelten auch als Folge der Pandemie.

Nicht nur das Material, auch das Personal bereitet vielen Unternehme­n offenbar Kopfzerbre­chen. „Bei den Fachkräfte­n fehlen insbesonde­re Lkw- und Speditions­fahrer sowie Aushilfs- und Fachkräfte in gastrosei nomischen Betrieben und Hotels“, sagt Walter. Viele Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind nach Einschätzu­ng von Walter „während des Lockdowns in andere Branchen – etwa Verwaltung und Gesundheit – abgewander­t und können nicht in der Kürze der Zeit ersetzt oder neu rekrutiert werden.“Der Personalma­ngel zeigt sich auch auf dem Ausbildung­smarkt.

Unternehme­n aus dem Wirtschaft­sraum Augsburg, zu dem auch der Landkreis Aichach-Friedberg zählt, haben laut Walter seit Juli 2020 rund 262 Millionen Euro Überbrücku­ngshilfen erhalten, verteilt auf 11.000 Anträge auf CoronaHilf­en. In Bayern ging rund die Hälfte der bewilligte­n Gelder an Antragstel­ler aus dem Gastgewerb­e. Auch deshalb sind Betriebe aus diesem Bereich „mit einem blauen Auge davon gekommen“, sagt Fritz Kühner, Gastronom in Kissing und Kreisvorsi­tzender des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga) in Aichach-Friedberg. Neben staatliche­n Instrument­en wie Hilfszahlu­ngen und Kurzarbeit spiele auch eine Rolle, dass das Wittelsbac­her Land weder von Tourismus noch vom Messegesch­äft abhängig sei. „Von den wenigen, die bei uns schließen mussten, hatten die meisten schon davor Finanzen, die auf Kante genäht waren. Von einer Pleitewell­e kann jedenfalls keine Rede sein.“Mit Personalma­ngel gebe es jedoch ein Problem, „das uns immer mehr beschäftig­t“. Ein weiterer Stützpfeil­er der Wirtschaft ist das Handwerk, rund 2600 Betriebe mit 10.500 Angestellt­en zählt die Handwerksk­ammer (HWK) Schwaben im Wittelsbac­her Land. HWKSpreche­rin Monika Treutler-Walle erklärt: „Die Handwerksu­nternehmen im Landkreis sind inzwischen wieder auf Erholungs- und Aufwärtsku­rs, aber das ‘Vor-CoronaNive­au’ ist noch nicht wieder erreicht.“Dies zeige der Vergleich der Umfragedat­en zum zweiten Quartal 2021 mit den Daten zum zweiten Quartal 2019. „Damals waren rund 95 Prozent der Betriebe mit ihrer wirtschaft­lichen Lage zufrieden, in der aktuellen Umfrage sind es 85 Prozent. Das ist ein guter Wert, doch die Verluste durch Lockdown und Beschränku­ngen sind noch nicht aufgeholt.“

Dabei gibt es deutliche Unterschie­de von Gewerk zu Gewerk. Rund die Hälfte aller Handwerksb­etriebe – 1350 – entfällt auf das Bauund Ausbaugewe­rbe. Dort bewerten 85 bis 90 Prozent der Firmen ihre Lage als gut oder befriedige­nd. Ähnlich hohe Werte verzeichne­n die Lebensmitt­elgewerke sowie die gewerblich­en Zulieferer und Dienstleis­ter. Die Zufriedenh­eit in den Bereichen Kfz-Gewerbe (76 Prozent) und verbrauche­rnahe Dienstleis­tung (59 Prozent, 650 Betriebe, darunter etwa Friseurläd­en oder Fotostudio­s) ist im Vergleich dazu deutlich niedriger.

 ?? Foto: Erich Echter (Archivbild) ?? Robert Burkhard ist Vorstandsm­itglied der Aktionsgem­einschaft Aichach (Aga), eines Zusammensc­hlusses lokaler Einzelhänd­le‰ rinnen und Einzelhänd­ler.
Foto: Erich Echter (Archivbild) Robert Burkhard ist Vorstandsm­itglied der Aktionsgem­einschaft Aichach (Aga), eines Zusammensc­hlusses lokaler Einzelhänd­le‰ rinnen und Einzelhänd­ler.
 ?? Foto: Marcus Merk (Archivbild) ?? Jens Walter ist IHK‰Regionalge­schäfts‰ führer.
Foto: Marcus Merk (Archivbild) Jens Walter ist IHK‰Regionalge­schäfts‰ führer.
 ?? Foto: A. Schlickenr­ieder (Archiv) ?? Fritz Kühner aus Kissing ist Kreisvorsi­t‰ zender des Hotel‰ und Gaststätte­nver‰ bands (Dehoga) im Landkreis Aichach‰ Friedberg.
Foto: A. Schlickenr­ieder (Archiv) Fritz Kühner aus Kissing ist Kreisvorsi­t‰ zender des Hotel‰ und Gaststätte­nver‰ bands (Dehoga) im Landkreis Aichach‰ Friedberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany