„Stadionbesuche waren für mich Feiertage“
Persönliche Erinnerungen zum 70. Geburtstag des Augsburger Rosenaustadions Unser ehemaliger Redakteur Herbert Schmoll über seine schönsten, aber auch betrüblichsten Momente – privat wie beruflich. Dazu gehörten Auf- und Abstiege des BCA und des FCA, der H
Es war eine mutige Entscheidung: Ende der 1940er Jahre, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, beschloss der Augsburger Stadtrat den Bau eines neuen Sportstadions. Der Trümmerschutt wurde aus der Stadt hinaus an den Rosenauberg gekarrt, wo das Rosenaustadion entstand. Zur damaligen Zeit eine der größten und modernsten Sportanlagen der Bundesrepublik. Sie war in den vergangenen Jahrzehnten Austragungsort vieler Großereignisse.
1952 passierten 65 000 Zuschauer die Tore für das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen die Schweiz. Auch die Leichtathletik prägte zwei Jahrzehnte lang die Rosenau. Bald nach der Eröffnung heute vor genau 70 Jahren am 16. September 1951 fand der erste Länderkampf gegen die Schweiz statt. Mit elf weiteren entwickelte sich diese Veranstaltung zu einer Augsburger Spezialität. Unvergessen bleibt der Länderkampf 1958 gegen die UdSSR. Auf der Aschenbahn besiegte Ludwig Müller über 5000 Meter und am nächsten Tag über 10 000 Meter überraschend die sowjetischen Läufer. So gelang der „BRD“ein sensationeller Erfolg gegen die Großmacht. Als „Held von Augsburg“ging Ludwig Müller aus Kassel in die Geschichte ein. Die 85000 Zuschauer an beiden Tagen sorgten für einen Rosenau-Besucherrekord.
Die weitere meist vom Fußball geprägte Geschichte des Rosenaustadions erlebte unser ehemaliger Sportredakteur Herbert Schmoll über nun fast 60 Jahre. Erst als Zuschauer und Fan, seit Mitte der 1980er Jahre als Berichterstatter für die Augsburger Allgemeine. Sein ganz persönlicher Rückblick:
● Der Anfang Es war im Herbst 1960, ich war gerade sechs Jahre alt, als mich mein Onkel erstmals ins Rosenaustadion mitnahm. Richard war und ist, auch heute noch mit 90 Jahren, ein glühender Fan des TSV Schwaben und des Fußballs. Ich wurde im Dörfchen Markt bei Biberbach (Kreis Augsburg) einige Wochen vorher eingeschult, interessierte mich für den Sport im Allgemeinen und den Fußball im Besonderen. Ein Fernsehgerät gab es im Hause Schmoll noch nicht, den Sport verfolgte ich mit großer Leidenschaft über das Radio oder die Zeitung.
● Die erste Begegnung Anfang der 1960er Jahre waren die Stadionbesuche für mich als kleiner Bub echte Feiertage. Die große Arena mit ihrer Aschenbahn, die überdachte Tribüne, auf der wir saßen, ich war fasziniert. Wer allerdings der Gegner der Schwaben seinerzeit war, habe ich vergessen. Neu-Isenburg, Singen oder Cham? Egal. Sicher ist nur, dass die Schwaben damals zusammen mit dem Stadtrivalen BC Augsburg in der zweiten Liga Süd spielten. Wobei mich der BCA nur am Rande interessierte.
Die Violetten waren mein Verein. Spieler wie der kürzlich seinen 80. Geburtstag feiernde Georg Lechner, Georg Harlacher oder Roland Jungmann die Lieblinge. Nur Helmut Haller weckte beim BCA mein Interesse. Er war damals schon Nationalspieler, in den beiden Augsburger Derbys sah ich ihn erstmals live. Der BCA gewann beide Spiele, einmal 3:0 (mit zwei Haller-Toren) und 1:0. 16 000 und 22 000 Besucher wollten die Lokalkämpfe sehen. Es war ein Jubeljahr für den Augsburger Fußball, der BCA als Meister und die Schwaben als Tabellenzweiter stiegen zwei Jahre vor der Bundesligagründung in die Oberliga Süd (höchste Spielklasse) auf.
● Erstklassig Zwei Vereine in der ersten Liga – Augsburg war wieder eine Fußballstadt. Doch die Erfolge weckten Begehrlichkeiten. Sogar im Ausland. Helmut Haller wechselte 1962 nach der Weltmeisterschaft in Chile zum AC Bologna nach Italien. Fußball-Augsburg verlor ein herausragendes Talent. Immerhin schafften sowohl die Schwaben als auch der BCA den Klassenerhalt, trotzdem folgten magere Zeiten für den Spitzenfußball in der Rosenau. ● Bundesliga ohne Augsburg Lange hatten wir gehofft und gebangt, zumindest die Anhänger der Schwaben,
Sportredakteur Herbert Schmoll an sei nem einstigen Arbeitsplatz im Rosenau stadion.
dass die Violetten 1963 in die erste Bundesliga aufgenommen werden. Vergeblich. Trotzdem gelang den Schwaben eine sensationelle Verpflichtung. Vom Deutschen Vize-Meister 1. FC Nürnberg kam Torjäger Kurt Haseneder. Unsere Euphorie kannte keine Grenzen. In der Regionalliga Süd stand am Ende der vierte Tabellenplatz. Dann verloren die Lila-Weißen mit Georg Lechner (zu Eintracht Frankfurt) ihren besten Spieler. Der BCA mutierte zur Fahrstuhlmannschaft, die Schwaben sorgten nur im Pokal für Schlagzeilen. Der große FC Bayern wurde 1964/65 mit 7:3 aus dem Pokal-Wettbewerb gefegt, allein Haseneder spielte die Bayern-Abwehr um Beckenbauer schwindelig und schoss drei Tore. „Eins, zwei, drei,
Hase legt ein Ei“, tönte es von den Rängen. In der nächsten Runde kam der FC Schalke 04 aus dem Kohlenpott, die Knappen siegten vor 17000 Zuschauern nach Verlängerung 7:5, Haseneder gelangen vier Treffer.
● Geduld Mit der Fusion 1969 schien alles besser zu werden, doch es folgte ein unglaubliches Desaster. Die Schwaben stiegen ab, der BCA nicht auf und so musste der FCA in der Bayernliga beginnen. Der neue Verein ging als Favorit ins DrittligaRennen. Ich und etliche meiner Freunde sympathisierten mit dem FCA. Mit dem Fahrrad oder dem Moped ging´s zu den Heimspielen. Oftmals mussten wir Fans leiden, denn das Fusionsteam konnte die großen Erwartungen erst in der Spielzeit 1972/73 erfüllen. Bei ihren Verpflichtungen hatten die Verantwortlichen ein glückliches Händchen und mit Kurt Schwarzhuber den passenden Trainer. Am Ende feierte der FCA den Bayernligatitel und stieg endlich in die zweitklassige Regionalliga Süd auf.
● HallerEuphorie Das „Hallerluja“wurde zu unserem Hit: Helmut Haller, Il Biondo, der Fuggerstädter Weltstar, kehrte in die Heimat zurück und sorgte für eine Euphorie, wie man sie hier bis dahin nicht gekannt hatte. Das Fußballfieber steckte eine ganze Region an, 23 000 Besucher kamen im Schnitt zu den Heimspielen in die Rosenau. Die Saison begann mit einem Pokalspiel gegen Karlsruhe. 28000 Besucher bejubelten einen 2:1-Sieg, Helmut Haller traf zum Siegtor. Noch lange nach dem Match jubelten die Besucher der Mannschaft zu, so etwas hatte Augsburg noch nicht erlebt.
Um einen guten Platz zu ergattern, musste man weit über eine
BildRepro: Ulrich Wagner
Stunde vor dem Anpfiff da sein. Seit der Bayernliga-Meistersaison stand ich mit meinen Freunden im M-Block. Hier war die Stimmung besonders gut. „Heja, heja FCA“schallte im Stakkato durch die Arena, das Stadion huldigte Helmut Haller. „Wir brauchen keinen Müller, wir brauchen keinen Held, wir haben Helmut Haller, den besten Mann der Welt“, brüllte das ganze Stadion. Ich behaupte, die Stimmung war damals sicher nicht schlechter als heute. Die Medien bezeichneten Augsburg nicht umsonst als das „deutsche Neapel“.
Zwei Spiele blieben mir besonders in Erinnerung: 38 000 Besucher kamen zur Partie gegen die Münchner „Löwen“, gegen den 1. FC Nürnberg waren es gar 42000. Als Wolfgang Haug gegen den Club in der Nachspielzeit den 2:1-Siegtreffer erzielte, glich das Stadion einem Tollhaus. Gegen die Münchner gab es an einem kalten Januartag 1974 Ärger. Aus dem Block der 60er kamen eisige Schneebälle und Steine geflogen, doch die Ordnungshüter machten dem Spuk ein Ende – und die Gastgeber rückten die Verhältnisse mit einem 2:0-Sieg zurecht. Die Fußball-Glückseligkeit kannte keine Grenzen, obwohl das Team von Trainer Milovan Beljin den Aufstieg ins Oberhaus um einen Punkt verpasste.
Doch nach der grenzenlosen Euphorie hatte der Alltag den FCA und seine Anhänger bald wieder eingeholt. Stagnation trat ein. Zahlreiche Trainerwechsel zeigten keine Wirkung, Beljin wurde von Volker Kottmann abgelöst, es folgten Gerd Menne, der große Zampano Max Merkel, Werner Sterzik, Hans Cieslarczyk und Heiner Schuhmann.
Der Erfolg blieb aus. Im Gegenteil. Es folgte wieder der tiefe Fall. 1983 ging es runter in die Bayernliga.
● Träume und Schäume Ab Mitte der 1980er Jahre arbeitete ich dann für die Sportredaktion der Augsburger Allgemeine, berichtete über den FCA und den TSV 1847 Schwaben. Aus dem Fan wurde ein kritischer Beobachter. Die Jahre vergingen, der FCA blieb in der Bayernliga. Nur in der Saison 1993/94 wehte der Wind des Erfolges durch die Sportstätte. Unter Trainer Armin Veh qualifizierten sich Dörr, Zimmermann und Co. immerhin für die neue Regionalliga. Der Sprung in die zweite Bundesliga gelang allerdings nicht. Dabei hatte sich mein Reporterherz auf Gegner wie den FC St. Pauli oder Hertha BSC gefreut. Doch die Träume blieben Schäume, es wurde bitter. 2000 stieg der Verein in die viertklassige Bayernliga ab. Und traf dort wieder auf den Lokalrivalen TSV Schwaben. Das seither letzte Pflichtspielderby gewannen die Schwaben im November 2000 vor knapp 1000 Besuchern im Rosenaustadion mit 2:1.
● Retter Walther Seinsch Der November 2000 war für den FCA dennoch ein Glücksmonat, denn Walther Seinsch tauchte in der Augsburger Fußballszene auf. Der Unternehmer aus dem Rheinland, der in Lindau am Bodensee lebte, wurde beim klammen FCA neuer Vorstandsvorsitzender. Seinsch brachte professionelle Strukturen in den Verein und trieb Pläne für den Bau einer neuen Arena voran. Nach der Pleite gegen den SSV Jahn Regensburg ein Jahr zuvor, gelang 2006 tatsächlich unter Trainer Rainer Hörgl die Rückkehr in den bezahlten Fußball. Seinsch verpflichtete
Andreas Rettig als neuen Manager. In der zweiten Liga spielte der FCA eine gute Rolle, das Fassungsvermögen in der Rosenau wurde jedoch auf 28000 Zuschauer reduziert. 2009 hieß es Ciao Rosenau. Der FCA zog in die neue Arena um und auch wir Journalisten gingen – wenn auch mit etwas Wehmut – mit.
● Weltstars in der Rosenau Kleine Ausnahmen von der fußballerischen Alltagskost gab es glücklicherweise immer wieder – vor allem im DFBPokal. Da tauchten schon der HSV, die Bayern oder Bayer Leverkusen auf und brachten Glanz in die Hütte – und Fußball-Größen wie Beckenbauer, Maier, Müller, Stein, Hrubesch oder der verlorene Sohn der Stadt, der Augsburger Bernd Schuster. Bei Helmut Hallers Abschiedsspiel 1980 konnten wir Weltstars wie Bobby Moore oder Uwe Seeler bewundern. 1985 kam die Deutsche Nationalmannschaft. Sie besiegte Bulgarien mit 4:1, Beckenbauer war Teamchef. Ich durfte den „Kaiser“interviewen.
● Leichtathletik mit Heide Rosen dahl Zwei Monate vor den Olympischen Spielen 1972 in München fand in der Rosenau der LeichtathletikLänderkampf Deutschland-Sowjetunion vor 35000 Zuschauern statt. Teilnehmer waren u. a. die späteren Olympiasieger Valeri Borsow und Heide Rosendahl. Ich war als Eisverkäufer im Einsatz.
● Heimat der FCAU23 Während die FCA-Profis seit 2009 in der Arena an der B17 spielen, absolviert die U23 ihre Punktspiele bis heute in der altehrwürdigen Sportstätte. Rund 5000 Besucher sind noch zugelassen, das Stadion steht unter Denkmalschutz. Die Lebensversicherung für die Rosenau.