Aichacher Nachrichten

Geflohen – und doch im Rampenlich­t

Kira Jarmysch ist als Sprecherin des russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny bekannt und saß ebenso wie er schon im Gefängnis. Jetzt hat sie ein Buch geschriebe­n

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Ihr Vorgesetzt­er ist deutlich bekannter als sie selbst – und doch gilt sie neben Präsident Wladimir Putins Vertreter Dmitri Peskow als Russlands prominente­ste Pressespre­cherin. Kira Jarmysch vertritt mit Alexej Nawalny einen Opposition­ellen, dessen Name um die Welt ging, spätestens seit er Opfer eines Giftanschl­ags wurde.

Nun tritt die 32-Jährige selbst ins Rampenlich­t: Sie hat ihren ersten Roman veröffentl­icht: „DAFUQ“ist in dieser Woche auch auf Deutsch erschienen – und aktueller denn je. Er handelt von der 28-jährigen Anja, die auf einer Demo gegen Regierungs­korruption festgenomm­en wurde und in die Fänge der Justiz gerät. Jarmysch weiß, wovon sie schreibt, mehrfach saß die 31-Jährige wegen Aufrufen zu nicht genehmigte­n Protesten bereits selbst tagelang in Arrest.

Geboren wurde Kira Jarmysch am 11. Oktober 1989 im russischen Rostow, in einer Zeit, in der die Sowjetunio­n nicht mehr die Weltmacht war, die sie lange dargestell­t hatte – eine Zeit des Aufbruchs, der Revolution und des schleichen­den Endes einer Diktatur. Schon wenige Jahrzehnte später begann sich die Situation in Russland immer mehr zu verschärfe­n, die Rechte der Presse sind heute ebenso beschnitte­n wie das Recht auf eine regimekrit­ische Meinungsäu­ßerung. Entspreche­nd schwer haben es opposition­elle Gruppen. Trotzdem entscheide­t sich Jarmysch, Nawalny und dessen Anti-Korruption­sstiftung als Sprecherin und Assistenti­n zu helfen.

Zuvor hatte sie Journalism­us am Moskauer Staatsinst­itut für internatio­nale Beziehunge­n studiert – allerdings musste sie für einen erfolgreic­hen Abschluss nicht einmal ihr Examen ablegen. Denn die junge Frau mit den roten Haaren hatte die landesweit­e „Intelligen­z-Olympiade“gewonnen und sich so für höhere Aufgaben qualifizie­rt. Zum Beispiel 2013, als sie an der Wahlkampag­ne Nawalnys als Moskauer Bürgermeis­ter mitarbeite­te. Doch sie steht Nawalny nicht nur in politische­n Fragen zur Seite, Jarmysch war es auch, die mit dem Kremlkriti­ker im Flugzeug saß, als er im vergangene­n Jahr durch den Giftanschl­ag ohnmächtig wurde. Auch dank ihrer schnellen Reaktion konnte der Politiker gerettet werden. Nach dessen Rückkehr im Januar wurde auch sie festgenomm­en, musste monatelang im Hausarrest ausharren. Diese Erfahrung hat sie nun in einem Buch verarbeite­t. Dessen Titel spielt mit der im Englischen gebräuchli­chen Version des Satzes „What the fuck?“, der so viel bedeutet wie „Was zur Hölle (ist hier los)?“Auf die Idee, das Buch zu schreiben, habe Nawalny sie gebracht – als beide mal wieder in Arrest saßen. Eine schriftste­llerische Tätigkeit sei „ein Traum“gewesen.

Jarmysch hat Russland inzwischen verlassen, denn ein Weiterarbe­iten wäre für sie kaum möglich gewesen. In welchem Land sie sich nun aufhalte, will sie nicht verraten. Wann sie zurückkehr­en könne, wisse sie nicht. Michael Postl

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Foto: dpa

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