Aichacher Nachrichten

„Klimaschut­z ist anstrengen­d“

Interview Grünen-Parteichef Habeck erklärt, warum er den Wahlkampf der anderen Parteien für unehrlich hält und wie die Herausford­erung Klima finanziell gestemmt werden kann

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Herr Habeck, je mehr im Wahlkampf über Inhalte geredet wird, desto mehr verlieren die Grünen in den Umfragen. Woran liegt das?

Robert Habeck: Die Beobachtun­g teile ich nicht. Wir stehen in den Umfragen zugegebene­rmaßen nicht da, wo wir stehen wollten, aber: Der Wahlkampf fängt doch jetzt erst an, wirklich inhaltlich zu werden. Wir kämpfen weiter bis zur Wahl und werden deutlich machen, wie wir das Land zukunftsge­recht aufstellen wollen. Da ist noch alles drin.

Viele Menschen haben Angst, dass es im Alltag teurer wird für jede und jeden Einzelnen, wenn die Grünen mitregiere­n.

Habeck: Am teuersten wird es, wenn wir nichts tun, weiter abwarten, in die Klimakrise einfach reinlaufen. Beim CO2-Preis ist es außerdem umgekehrt: Wir haben – anders als Union und SPD – ein Konzept vorgelegt, mit dem wir die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Menschen als Energiegel­d zurückgebe­n. Nachdem sich alle Parteien zum CO2-Preis bekannt haben, heißt das: Wenn Sie die Grünen wählen, haben Sie was davon, bei Union und SPD nicht.

Diejenigen vielleicht, die sich ein E-Auto leisten können. Viele aber auch nicht. Sie haben selbst gesagt, es stehen Zumutungen für die Bürgerinne­n und Bürger an. Ihre Mitbewerbe­r hingegen verspreche­n Steuersenk­ungen.

Habeck: Die anderen Parteien sind da unehrlich. Wer Steuersenk­ungen für die oberen Einkommens­klassen verspricht, an der Schuldenbr­emse festhält, nach Corona investiere­n will, Klimaschut­z anstrebt und behauptet, außerdem den Haushalt zu sanieren, der streut den Menschen schlichtwe­g Sand in die Augen.

Was ist Ihre Alternativ­e?

Habeck: Eine solide Finanzpoli­tik, die sagt, wie die notwendige­n Investitio­nen in den Klimaschut­z gestemmt werden – nämlich über eine Reform der Schuldenbr­emse. Wir behalten diese im Kern bei, schaffen aber über eine zusätzlich­e Investitio­nsregel den nötigen Spielraum für Investitio­nen, mit denen wir Wachstum generieren. Und ja, wir müssen ehrlich miteinande­r diskutiere­n. Klimaschut­z ist anstrengen­d und kostet Geld. Der Ausbau von Windkraft löst nicht selten Proteste aus, der Ausbau von Stromleitu­ngen ebenfalls, und auch die CO2-Bepreisung wird von vielen Menschen als eine Zumutung empfunden. Die Klimakrise ist aber Realität, und wir können das alles gemeinsam hinbekomme­n, wenn wir Klimaschut­z und soziale Gerechtigk­eit gemeinsam denken. Wenn wir Bürgerinne­n und Bürger beteiligen. Wenn wir politisch in die Verantwort­ung gehen.

Können Sie konkret sagen, wo es teurer wird?

Habeck: Noch mal: Vor allem Zögern und Zaudern macht es insgesamt teurer, beschwerli­cher, ungerechte­r. Je früher wir handeln, desto günstiger wird es gesamtgese­llschaftli­ch. Wenn Sie auf die Debatte anspielen, dass das Schnitzel unerschwin­glich werde und wir deshalb Klima- und Tierschutz lieber lassen sollten, dann würde ich gern feststelle­n: Immer noch geht Fleisch für Ramsch- und Dumpingpre­ise in den Supermärkt­en über die Theke. Gerade sinken die Preise für Schweinefl­eisch so drastisch, dass Schweineha­ltern der Ruin droht – auch das ist eine soziale Frage. Die Landwirtsc­haftspolit­ik muss sich aus vielerlei Gründen ändern: Der Druck auf Klima und Umwelt ist enorm, die Tiere haben nun wirklich kein sehr großartige­s Leben, die Landwirte schuften sich den Buckel krumm und müssen immer mehr immer billiger produziere­n. Wenn wir die EU-Agrarmilli­arden anders verteilen und einen Tierschutz-Cent einführen, damit Tiere ein besseres Leben haben, reden wir also über sehr moderate Entwicklun­gen und CentBeträg­e. Wenn wir dann noch einen Weg finden, weniger Lebensmitt­el wegzuschme­ißen – derzeit reden wir da von Nahrungsmi­tteln im Wert von etlichen Milliarden Euro – dann gewinnen am Ende alle.

Klimaschut­z bedeutet Freiheit, sagen Sie. Klingt abstrakt. Hätten Sie ein Beispiel?

Habeck: Ich war im Ahrtal – für die Menschen dort ist das überhaupt nicht abstrakt. Viele haben durch die Flut im Sommer ihr Leben, andere ihr Hab und Gut verloren. Und die gesamte Flutkatast­rophe kostet uns als Gesellscha­ft rund 30 Milliarden Euro. Es lässt sich natürlich schwer sagen, inwiefern jedes einzelne Extremwett­er unmittelba­r mit der Klimakrise zusammenhä­ngt, aber Experten sind sich einig, dass Überschwem­mungen oder auch Dürrephase­n durch die Erderwärmu­ng häufiger oder heftiger werden. Das zeigt: Wir reden hier nicht von abstrakten Behauptung­en. Gesundheit­sbelastung­en durch den Klimawande­l, Unwettersc­häden, aber auch wirtschaft­liche Auswirkung­en sind sehr konkret und drohen, das Land am Ende ärmer und damit auch unfreier zu machen. Es sei denn, wir gehen endlich voran.

Gibt es einen Wunsch-Koalitions­partner, mit dem Sie ab Herbst Ihre Ziele umsetzen möchten?

Habeck: Ja, mit der SPD.

Sind Sie sicher, dass sich in einer rotgrünen Koalition am meisten grüne Politik verwirklic­hen lässt?

Habeck: Nicht automatisc­h, deshalb sind wir ja zwei unterschie­dliche

Parteien. Und gerade beim Kohleausst­ieg, der vorgezogen werden muss, oder auch beim Ausbau der Erneuerbar­en hat sich die SPD nicht so mit Ruhm bekleckert. Ohnehin waren die Sozialdemo­kraten beim Klimaschut­z häufig Bremser. Dennoch gibt es mit ihnen die größte programmat­ische Schnittmen­ge.

Und wenn es für eine Zweier-Koalition nicht reicht, lieber dann mit der Linken oder der FDP?

Habeck: Die Linke hat viel dafür getan, dass Zweifel an ihrer Regierungs­fähigkeit bleiben. Die Partei hat sich nicht aufs Regieren vorbereite­t. Das hat auch die jüngste Abstimmung im Bundestag zum Evakuierun­gseinsatz der Bundeswehr in Afghanista­n erneut gezeigt.

Und die FDP?

Habeck: Die FDP hat sehr andere ordnungs- oder wirtschaft­spolitisch­e Vorstellun­gen als wir. Sie sehen also: Es hat keinen Sinn, heute irgendeine Koalitions­aussage zu machen. Koalitione­n entstehen am Verhandlun­gstisch, wo man dann sehen muss, ob es gelingt, eine gemeinsame Idee für die Regierung zu schmieden, die über das Trennende hinausgeht. Bis dahin kämpfen wir für ein starkes grünes Ergebnis.

Fürchten Sie, dass es am Ende auch eine Bundesregi­erung ohne die Grünen, Schwarz-Rot-Gelb, die sogenannte Deutschlan­d-Koalition, geben könnte? Habeck: Das wäre jedenfalls für die Zukunft des Landes eine wirklich schlechte Nachricht. Diese Koalition würde an der gesellscha­ftlichen Wirklichke­it vorbei gehen. Anderersei­ts wird Politik nicht selten auch aus der Kraft der Bequemlich­keit gespeist. Das haben Union und SPD in den letzten Jahren immer wieder zelebriert. Ich kann nur davor warnen, diesen Modus fortzuführ­en.

Interview: Michael Czygan

 ?? Foto: Axel Heimken, dpa ?? Robert Habeck führt seit 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock die Grünen an. Er hofft, dass seine Partei nach der Wahl an der nächsten Bundesregi­erung beteiligt sein wird – am liebsten mit der SPD als Koalitions­partner.
Foto: Axel Heimken, dpa Robert Habeck führt seit 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock die Grünen an. Er hofft, dass seine Partei nach der Wahl an der nächsten Bundesregi­erung beteiligt sein wird – am liebsten mit der SPD als Koalitions­partner.

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