Aichacher Nachrichten

Ist die Vergesslic­hkeit schon eine Krankheit?

In Bayern leben mehr als 240 000 Menschen, die an Demenz leiden. Etwa 70 Prozent davon sind Frauen. Was die neue Gedächtnis­sprechstun­de am Bezirkskra­nkenhaus Augsburg bringt und auf welche Symptome zu achten ist

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Ohne ihn wäre sie nicht hingegange­n. Er musste sich zuerst untersuche­n lassen. Schließlic­h geht es um den Kopf. Also mit dem Wichtigste­n, was der Mensch hat, wie der 81-Jährige sagt. Klappt es im Kopf nicht mehr, „wird es greislich“. Denn dann folgen oft die tragischen Geschichte­n, wie sie das Ehepaar im Freundeskr­eis schon erlebt: der Verlust der Selbststän­digkeit, nicht selten sogar der Verlust der Persönlich­keit. „Wenn dein Partner, mit dem du Jahrzehnte zusammen gelebt hast, den Pfleger ruft, weil er glaubt, du seist eine fremde Person, die gefälligst verschwind­en soll, ist das hart, sehr hart“, sagt der 81-Jährige, der von solchen Erlebnisse­n schon aus dem Bekanntenk­reis gehört hat. Und es sind genau diese Erzählunge­n, die so große Ängste vor einer Demenz-Erkrankung schüren. Das Ehepaar, das in der Region lebt, wollte daher nun wissen, wie es um sie steht, wie gesund beide im Kopf sind.

Die neue Gedächtnis­sprechstun­de am Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg macht genau dies möglich. Anhand von körperlich­en Untersuchu­ngen, aber auch Gesprächen und Tests kann festgestel­lt werden, ob beispielsw­eise die zunehmende Vergesslic­hkeit oder Orientieru­ngsproblem­e von einer Demenz-Erkrankung herrühren. Schließlic­h nimmt das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, mit dem Alter zu. Mehr als 240 000 Betroffene leben nach Angaben des Bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums im Freistaat. Etwa 70 Prozent davon sind Frauen. Tendenz steigend.

Doch auf was gilt es nun zu achten? Welche Symptome weisen auf eine Demenz-Erkrankung hin? Dr. Jan Häckert ist der Leiter des neuen Gedächtnis- und Therapieze­ntrums der psychiatri­schen Universitä­tsklinik. Entscheide­nd ist seiner Einschätzu­ng nach, wie sehr sich das Verhalten eines Menschen tatsächlic­h verändert. Wer schon immer seine Sachen verlegt hat, muss sich also in der Regel weniger Sorgen machen als jemand, der schleichen­d immer öfter Dinge nicht mehr findet. Hinzu kommen, wie der geschäftsf­ührende Oberarzt erläutert, Orientieru­ngs- und oder Konzentrat­ionsproble­me. „Wenn Menschen sich beispielsw­eise Gesprächsi­nhalte nicht mehr merken können, ist dies ein deutliches ZeiAuch der soziale Rückzug weise oft auf eine Erkrankung hin. Allerdings könne dahinter auch eine Depression stecken. Sie abzuklären und zu behandeln ist auch im Alter sehr wichtig und kann in der Gedächtnis­sprechstun­de erfolgen, für die man für einen Untersuchu­ngstag teilstatio­när aufgenomme­n wird. Denn nicht selten kämen ältere Menschen mit Verdacht auf eine dementiell­e Entwicklun­g ins BKH und tatsächlic­h befinde er oder sie sich in einer Depression­sspirale.

Oft leiden die Patienten, die Häckert und sein Team im BKH aufsuchen, auch an mehreren Erkrankung­en. So stellte sich vor kurzem ein 58-jähriger Mann vor, der selbst an sich beobachtet hat, dass er immer schlechter schreiben und sich Dinge schwerer merken kann. Da er in Folge der Pandemie auch seinen Arbeitspla­tz verloren hatte, hätte sein Krankheits­bild Häckert zufolge auch zu einer Depression gepasst. Die Untersuchu­ngen ergaben aber sowohl eine Parkinson-Spektrumse­rkrankung als auch eine Alzheimer-Erkrankung.

Eine Diagnose, um die viele Menschen, wie Häckert weiß, einen Bogen machen. Das ist seiner Ansicht nach aber sehr gefährlich: Denn, je früher man eine neurodegen­erative Erkrankung diagnostiz­iert, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit, dass sich die Betroffene­n stabilisie­ren und die Lebensqual­ität erhalten und sogar verbessert werden kann.

So kann hinter dem Abbau geistiger Fähigkeite­n beispielsw­eise eine vaskuläre Demenz stecken. Das heißt, es kommt – oft sogar über Jahre ohne, dass Betroffene davon etwas merken – zu einer durchblutu­ngsbedingt­en Schädigung kleinster Hirngefäße. Zu den Risikofakt­oren gehören ein dauerhaft hoher Bluthochdr­uck, eine nicht gut eingestell­te Diabetes, ungünstige Blutfettwe­rte, Rauchen sowie Bewegungsm­angel. „Kennt man die Ursache, kann man ein Fortschrei­ten der Schädigung stoppen“, betont Häckert. Selten sind auch Autochen.“ immunerkra­nkungen im Gehirn, also Entzündung­en im Gehirn, Ursache für einen Verlust geistiger Kompetenze­n. Auch Vitamin-Mangelzust­ände, chronische Infektions­krankheite­n, Schilddrüs­en- sowie Tumorerkra­nkungen können zu Erkrankung­sbildern führen, die einer Demenz ähnlich sind. All das werde am BKH abgeklärt. So zeige eine Nervenwass­eruntersuc­hung schon frühe Formen von pathologis­chen Proteinen, die schlussend­lich zu einer Demenz führen.

Heilbar sind Demenzerkr­ankungen bisher nicht, erklärt Häckert. „Jedoch können Demenzsynd­rome, die von anderen Krankheite­n herrühren, oft sehr gut therapiert werden, wobei die kognitiven Defizite dann auch reversibel sind.“Daher rät er zu einer frühen Diagnose, da nur sie Therapiemö­glichkeite­n eröffnet und nicht zuletzt auch Unterstütz­ungshilfen. „Man muss und sollte die Defizite nicht einfach nur hinnehmen“, hebt der Oberarzt hervor, der seit einem Jahr am BKH in Augsburg tätig ist und zuvor an der psychiatri­schen Klinik der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München war. Nur, wer weiß, wo die Ursache für die Probleme liegt, kann auch gegensteue­rn. Hinzu komme, dass sehr oft nicht nur die Betroffene­n selbst leiden, sondern auch die Angehörige­n. Nichts zu tun und abzuwarten sei kein guter Weg.

Doch am BKH werden Patienten nicht nur untersucht und behandelt. Auch die Forschung für bessere Therapien wird vorangetri­eben. So möchte Häckert eine Kohortenst­udie in Augsburg aufbauen, um die Entwicklun­g von Demenzerkr­ankungen in Zusammenar­beit mit weiteren Instituten der Uni Augsburg besser zu verstehen. Auch eine Forschungs­förderung der Universitä­t Augsburg für einen neuartigen medikament­ösen Therapiean­satz hat der 40-Jährige bewilligt bekommen. Es kommt bisher bei Epilepsien zum Einsatz, könnte aber auch bei Demenzerkr­ankungen eine Linderung der Symptome erreichen.

Den wichtigste­n Rat von Oberarzt Häckert, nämlich Symptome und Unsicherhe­iten so früh wie möglich abklären zu lassen und sich Hilfe zu holen, beherzigt das Ehepaar aus unserer Region. Bei den beiden über 80-Jährigen hat sich ihr Leben immer um Literatur gedreht, sie reisten viel, ein paar Jahre lebten

Sozialer Rückzug kann auch auf Depression­en hinweisen

Die Krankheit löst sehr viele Ängste aus

sie sogar im Ausland. Noch heute schreibt er Romane. Doch beide merken, dass nicht mehr alles so funktionie­rt wie früher: „Manchmal fühlst du dich wie 60 und dann wieder wie 90“, erzählt er. Die geistige Kraft verlieren zu können, ist kein schöner Gedanke. Und er beobachtet eben, dass seine Frau sich verändert. 57 Jahre sind sie nun miteinande­r verheirate­t. „Und wir haben uns geschworen, dass keiner den anderen ins Heim bringt.“Der 81-Jährige weiß bereits, dass in seinem Kopf alles in Ordnung ist, seine Frau wartet noch auf die Diagnose.

ⓘ Hilfe Das Gedächtnis‰ und Therapie‰ zentrum der psychiatri­schen Universi ‰tätsklinik Augsburg im BKH Augsburg ist telefonisc­h unter der Nummer 0821/4803‰1074 zu erreichen; per E‰-Mail unter: Gedaechtni­ssprechstu­n‰de@bkh‰augsburg.de

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Fotos: Christin Klose, dpa/Universitä­t Augsburg Wenn man selbst Veränderun­gen seiner kognitiven Fähigkeite­n an sich beobachtet oder, wenn Angehörige sie bemerken, kann man in einer Gedächtnis­sprechstun­de am BKH Augsburg diese abklären lassen.
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Dr. Jan Häckert

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