Aichacher Nachrichten

Aufruhr wegen Antibiotik­a‰Einsatz

EU-Abgeordnet­er scheitert damit, strengere Regeln für die medizinisc­he Behandlung von Tieren durchzuset­zen

- VON KATRIN PRIBYL

Straßburg Mit großen Augen blickt der Hund auf dem Plakat. „Mein Leben ist in Gefahr!“, steht darauf sowie die Aufforderu­ng, eine Petition zu unterschre­iben, um schärfere Regeln für den Einsatz von Antibiotik­a bei Tieren zu verhindern. Katzen-, Hunde- und Meerschwei­nchenbesit­zer gerieten deshalb im Sommer in Aufruhr. Mussten sie Angst um ihre geliebten Vierbeiner haben, wie das Plakat suggeriert­e?

Hinter der Unterschri­ftenkampag­ne steckte der Bundesverb­and praktizier­ender Tierärzte. Wochenlang kämpfte er gegen den grünen Europaabge­ordneten Martin Häusling aus Hessen. Der Politiker, agrarpolit­ischer Sprecher der Grünen, forderte gemeinsam mit dem Umweltauss­chuss des EU-Parlaments, dass fünf besonders wirksame Antibiotik­a-Gruppen künftig vor allem Menschen vorbehalte­n sein und nur in Ausnahmefä­llen bei kranken Tieren angewendet werden sollten. Sein Ziel: den massenhaft­en Einsatz von „Reserveant­ibiotika“in der Tiermast zu verhindern.

Doch Häusling scheiterte mit seiner Initiative. Am Mittwochab­end lehnte sie die Mehrheit der EU-Parlamenta­rier ab. „Es ist ein wirklich ganz schlechter Tag für die Humanmediz­in“, sagte der Grüne am Donnerstag und warf dem Bundesverb­and praktizier­ender Tierärzte eine „Fake-News-Kampagne“vor.

Ein harter Vorwurf, der nichts ändert: Es bleibt bei den Ursprungsp­länen der EU-Kommission. Die will zwar den massenhaft­en Einsatz und Missbrauch von Antibiotik­a in Großställe­n eindämmen. Der Kriterienk­atalog, und das war der Grund für Häuslings Einspruch, dafür enthält dem Politiker zufolge jedoch Schlupflöc­her, die den Einsatz von Reserveant­ibiotika in der Massentier­haltung ermögliche­n würden.

Bei Reserveant­ibiotika handelt es sich um Medikament­e, die bei Infektions­krankheite­n verwendet werden, wenn normale Antibiotik­a nicht mehr wirken. Sie sind sozusagen das letzte Mittel gegen multiresis­tente Keime, die zum Beispiel über das Fleisch der Tiere zum Menschen kommen können. Zu ihnen gehört auch Colistin, das einerseits bei Patientinn­en und Patienten mit Mukoviszid­ose verordnet wird, anderersei­ts nach Angaben von Tierschütz­ern im großen Stil in der Schweinema­st zum Einsatz kommt. Fachleute der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) erklären regelmäßig, dass so weit wie möglich auf derartige Medikament­e verzichtet werden sollte.

Häusling war es mit seinem Vorstoß nach eigener Aussage keineswegs um Wellensitt­ich oder Reitpferd gegangen. Vielmehr habe er die Praxis stoppen wollen, tausenden Hühnern Reserveant­ibiotika ins Futter zu mischen oder dutzenden Ferkeln das Mittel standardmä­ßig in die Tränke zu geben, selbst wenn bloß einzelne Tiere erkrankt sind. Umso häufiger nämlich ein Antibiotik­um zur Anwendung kommt, desto schneller bilden sich Resistenze­n.

Und die können fatale Folgen haben. Laut EU-Kommission sterben in der EU jedes Jahr 33000 Menschen, weil Medikament­e bei ihnen nicht mehr anschlagen. Und das vor dem Hintergrun­d, dass nach Schätzunge­n 66 Prozent aller Antibiotik­a in der Landwirtsc­haft verwendet und pro Jahr EU-weit 6500 Tonnen Antibiotik­a im Bereich Tierhaltun­g eingesetzt werden. In der Humanmediz­in sind es 4200 Tonnen.

Unterstütz­ung erhielt Häusling von Humanmediz­inern, der Bundesärzt­ekammer und von Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery. „Die Zurückweis­ung dieses Einspruchs gegen die EU-Kommission ist ein Lobby-Sieg“, kritisiert­e auch Tiemo Wölken, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der SPD-Europaabge­ordneten, und sprach von einer „Niederlage für den Schutz menschlich­er Gesundheit“. Der Bundesverb­and praktizier­ender Tierärzte freute sich dagegen; und Angelika Niebler, Vorsitzend­e der CSU-Europagrup­pe, betonte, dass Tierärzte einen Entscheidu­ngsspielra­um zum Einsatz von Antibiotik­a haben müssten, um Tierleid zu verhindern.

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Foto: J. Woitas, dpa Der massenhaft­e Antibiotik­a‰Einsatz in Ställen ist ein Problem.

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