Aichacher Nachrichten

Hier wird die Wahl ganz plakativ

Von wegen aus der Zeit gefallen: Die Werbung der Parteien mit Plakaten im öffentlich­en Raum trifft alle und offenbart besonders viel. Das zeigt sich gerade zu dieser Bundestags­wahl wieder

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ein leise lächelnder Monolith erobert die Straßenrän­der. In kräftigem Schwarz-Weiß-Kontrast blickt einem dieser Olaf Scholz in klassische­r Porträt-Pose überall entgegen auf so viel Rot, wie lange nicht SPD war und sonst höchstens eine Image-Kampagne der Bild oder die neuesten Rewe-Angebote in den öffentlich­en Raum tragen. Prangten dazu auf den kleineren, hochformat­igen Plakaten anfangs die Slogans „Kompetenz für Deutschlan­d“und „Respekt für Dich“zwar schon in weißen Großbuchst­aben, aber außer der Irritation des Duzens eher zurückhalt­end – wuchs zuletzt aber der Monolith zusehends ins große Querformat mit der Zeile „Kanzler für Deutschlan­d“. Und ein kleiner Button erinnerte daran, dass, wer Scholz wolle, SPD wählen müsse.

Und die K-Konkurrent­en? Armin Laschet – zunächst zwar spärlich, aber doch hier und da lächelnd „für ein modernes Deutschlan­d“werbend, dabei aber sehr konservati­v im Porträt in Szene gesetzt: Er ist praktisch ganz aus dem Straßenbil­d verschwund­en. Stattdesse­n findet sich nun verstärkt die „Stabilität“, für die bislang Markus Söder deutlich fröhlicher auf ebenso konservati­ven Plakaten stand, auf einem reinen Text-Motiv: präsentier­t als Gegenbegri­ff zum „Linksrutsc­h“. Und Annalena Baerbock, die zunächst grundsätzl­ich wie alle Grünen in reinen Grünton-Bildern hinter dem Kampagnen-Slogan und jeweiligen Botschaft zurücktrat – das eine den Anspruch der Volksstimm­ungspartei betextend mit „Bereit, weil Ihr es seid“, das andere geradezu ein Lummerland-Verspreche­n mit „Wirtschaft und Klima ohne Krise“(im Gegensatz zu einem pragmatisc­hen Robert Habeck, der einfach ein funktionie­rendes Land verhieß): Inzwischen tritt die Kanzlerkan­didatin im breiter plakatiert­en Großformat aus dem Grün persönlich hervor und will frisch und in Farbe aktivieren: „Komm, wir ändern die Politik“. Wird der „Linksrutsc­h“-Fokus, wird die belebte Baerbock noch was nützen gegen den in den Umfragen thronenden Monolithen?

Die Plakate sind das klassischs­te Mittel des Wahlkampfs, das ollste auch, wie es scheinen mag. Aber statt aus der Zeit gefallen zu wirken, erweisen sie gerade mit zunehmende­r Beschleuni­gung des digitalen Zeitalters eine doppelte Überlegenh­eit. Wenn die Öffentlich­keit auf Internetpl­attformen, sozialen Netzwerken und auch durch den Trend vom linearen Fernsehens gerade in Blasen und Szenen zu zersplitte­rn scheint und multimedia­l agierende Politik das mitunter bereits zum sogenannte­n „Mikrotarge­ting“nutzt, also zum gezielten Werben bei Menschen, abgestimmt aus deren algorithmi­sch erfasste Interessen – die analoge Begegnung mit den überall aushängend­en Plakaten im öffentlich­en Raum dagegen ist für alle dieselbe, geradezu unumgängli­ch, und sie zwingt zu ästhetisch­en und inhaltlich­en Festlegung­en. Was also erzählen die aktuell aushängend­en Exemplare über die jeweiligen und diesen Wahlkampf?

Die Provokatio­nen an den Splitterrä­ndern mal beiseite gelassen, bei denen Die Partei am einen Ende regelmäßig eher pfiffig Aufmerksam­keit einheimst, während diesmal am anderen Ende der III. Weg mit voller Stumpfheit danach schreit – es gibt wenige Aufreger. Das liegt wesentlich daran, dass Aldi Süd, äh, Verzeihung: dass sich die AfD, die mit ihren Farben am Straßenran­d nun mal immer an den Discounter erinnert, weitestgeh­end seriös präsentier­t. Das Erscheinun­gsbild nur einen Hauch noch weniger modern als die Union, und dazu für ihr Klientel treffsiche­rer, dabei aber gar nicht plume Slogans: statt zuletzt dekolletie­rte Weinkönigi­nnen mit „Burka? Ich steh’ mehr auf Burgunder!“nun ein Frau mit Kleinkind und dem Satz: „Ich bin Mutter. Kein ‚gebärendes Elternteil‘.“Der Kampagnent­itel statt zuletzt dem Ausruf „Trau dich, Deutschlan­d!“nun intuitiv wirkender: „Deutschlan­d. Aber normal.“Vorbeigebl­ickt an der Albernheit des traurigen Plakatkind­es, das fragt „Darf ich noch nach Kreta, Greta?“– generell jedenfalls: gute Text-Agentur!

Auf ihre jeweilige Art einen historisch­en Zeitpunkt, der genau nach ihnen verlangt, stilisiere­nd versuchen es FDP und Die Linke. Die Gelben, die kaum gelb sind, sondern hauptsächl­ich mit eher künstleris­chen und deutlich weniger kontrastre­ichen Schwarz-Weiß-Porträts auftreten, meinen generell „Nie gab es mehr zu tun“– der großformat­ige Christian Lindner konkretisi­ert dann auch nicht besonders mit „Wie es ist, darf es nicht bleiben“. Wogegen sich dieser bemüht stilvoll gekleidete Protestpar­teianklang abgrenzt, wird klar in Großbuchst­aben: „Mehr Freude am Erfinden als am Verbieten“. Freiheit von den Grünen! Die Dunkelrote­n, im Auftritt deutlich weniger rot als die SPD, versucht die generell geringere Wucht im ästhetiweg schen Auftritt durch den Fokus auf ein wie der Parteiname mit Punkt zur Feststellu­ng werdenden Wort: zu „Die Linke.“kommt „Jetzt.“– und dazu kommen klare Forderunge­n. Nicht schön, aber Inhalt.

Und das Umfrage-Spitzentri­o? So phrasennah die Grünen textlich wirken, so mutig war der ästhetisch­e Schritt in Grün-auf-Grün – und so wirkungsvo­ll ist nun Baerbock in Farbe (damit ist die Nicht-Farbfoto-Koalition mit SPD und FDP aufgekündi­gt). Ähnlich prägend für das Straßenbil­d ist da nur noch die SPD mit ihrem Rot und den kontrastre­ichen Porträts, die Personen konturenre­icher erscheinen lassen. Der einzige Inhalt aber, der wirkt (und das Duzen entschuldi­gt), ist die clevere, aber auf den Plakaten nur klein präsentier­te Neuauflösu­ng des Parteikürz­els: „Soziale Politik für Dich“. Wobei das verallgeme­inerte Du als Zielperson der Kampagne freilich darüber hinwegtäus­cht, dass längst nicht alle Zielperson von sozialer Politik sein können. Aber im Vergleich zur Union sind das Feinheiten. Denn an deren Kampagne blieb bislang weder ästhetisch noch inhaltlich etwas haften. Letzte Hoffnung für sie, Wirkung zu erzielen, ist nun ganz plakativ: die Mahnung vor dem „Linksrutsc­h“.

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Fotos: Michael Schreiner

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