In Thomas Mann spiegelt sich die Gegenwart
André Bücker inszeniert den Roman „Der Zauberberg“. Hauptdarsteller Julius Kuhn staunt über dessen Aktualität
Der Stoff könnte aktueller nicht sein. Was wir die letzten eineinhalb Jahre mitgemacht haben, entspricht nahezu exakt der Situation in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“von 1924. „Das war auch eine Begründung, warum dieser Stoff für das Staatstheater jetzt ausgewählt wurde“, weiß der Schauspieler Julius Kuhn, der darin die Hauptrolle des Hans Castorp spielt. „Es ist die perfekte Gelegenheit, diesen Totentanz der Kranken zu inszenieren.“
In einer dreistündigen Fassung hat „Der Zauberberg“am Samstag auf der großen Bühne im Martinipark seine Premiere. „Ein krasses Konzentrat aus all diesen großen Fragen, die sich in diesem Zauberberg entspinnen“sei Intendant André Bücker als Regisseur und Sabeth Braun als Dramaturgin gelungen. „Die großen Kapitel haben die beiden zusammenkomponiert in eine sehr knackige Fassung, wo es dann Schlag auf Schlag geht.“
Mehr als eine bloß rezitierende Lesung ist aus dem 760 Seiten starken Roman geworden. „Das wird eine richtige Inszenierung. Wir haben eine ganz tolle Bühne: drei riesige Spiegel, durch die man guckt, in denen man sich aber auch spiegeln kann. Und dazwischen findet auf der Drehbühne, die sich die ganze Zeit dreht, dieses Treffen der Todgeweihten statt“, verrät Kuhn. Die Dynamik werde fortgesetzt in der Körperlichkeit, welche die Spieler anwenden. „Das hat durchaus etwas Merkwürdiges, wenn sie diese Drehscheibe bewegen“, so Kuhn.
Der Schauspieler sieht Parallelen zwischen jenen großen kulturellen Veränderungen der 1920er-Jahre, die Thomas Mann im „Zauberberg“verarbeitet, und der Gegenwart mit ihren Transformationen wie dem digitalen Umstieg und dem Ende des Kohlezeitalters. Aber auch die politische Lage sei ähnlich. „Das sind die großen Fragen, die immer wiederkehren, deswegen ist der Stoff so wahnsinnig aktuell“, so Kuhn. „Wir sind wieder in einem Moment der Geschichte, wo sich etwas davon widerspiegelt, was Thomas Mann damals schon verarbeitet hat. Er spricht von der großen Gereiztheit der Gesellschaft, die heute wieder stärker als in den letzten Jahren spürbar ist – auch durch die Pandemie.“
Julius Kuhn freut sich schon auf das Zusammenspiel mit den skurrilen Figuren des Romans. Settembrini fällt ihm sofort ein als grauhaariger, kranker, demotivierter Humanist. Gefallen findet er auch an Mynheer Peeperkorn, „der keinen richtigen Satz geradeaus sagen kann, aber das Leben in vollen Zügen und in seiner Einfachheit noch genießen will so kurz vor seinem Ende“. Ein Riesenspaß sei es auf der Bühne, auf Madame Chaucat zu treffen, „die große Liebe von Hans Castorp, die ihm wahnsinnig den Kopf verdreht“. Bedauerlich findet Kuhn, dass Klaus Müller, der ursprünglich für die Rolle des Settembrini vorgesehen war, krankheitsbedingt ausfällt. „Der Kollege hat lange mit uns geprobt bis vor den Ferien. Aber jetzt ging das leider nicht mehr.“Auf jeden Fall habe das Theater einen tollen Ersatz gefunden. Norbert Stöß springt für Müller ein; er lernte über die Sommerpause den Text und wurde in den letzten zwei Wochen eingearbeitet.