Jack London: Der Seewolf (23)
Es war klar, daß ich von Wolf Larsen weder Hilfe noch Mitgefühl zu erwarten hatte. Ich mußte allein handeln, und mit dem Mute des Feiglings beschloß ich, Thomas Mugridge mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. Ich lieh mir von Johansen einen Schleifstein. Louis, der Bootssteurer, hatte mich um kondensierte Milch und Zucker angebettelt. Der Vorratsraum lag unter dem Fußboden der Kajüte. Ich nahm eine Gelegenheit wahr und stahl fünf Dosen Milch, und als Louis’ Wache am Abend begann, erstand ich dafür einen Dolch, der ebenso dünn und gefährlich war wie Thomas Mugridges Küchenmesser. Er war rostig und stumpf, aber ich drehte den Schleifstein, und Louis schliff die Klinge. Diese Nacht schlief ich viel besser als sonst.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, begann Thomas Mugridge wieder sein unaufhörliches Wetzen. Ich sah mich ängstlich nach ihm um, denn ich kniete vor dem Herd, um die Asche herauszuholen.
Als ich sie über Bord geschüttet hatte und wiederkam, unterhielt er sich mit Harrison, dessen braves, dummes Bauerngesicht die größte Bewunderung verriet.
„Ja“, sagte Mugridge, „was kann mir schon Schlimmeres geschehen als zwei Jahre Kittchen! Aber was ich mir daraus schon mache. Der andere Kerl hat sein Fett gekriegt. Du hättest ihn sehen sollen! Messer gerad wie das hier. Steckte es rein in ihn wie in Butter, und er pfiff besser als ‘ne Zweipennyflöte.“Er warf einen Blick auf mich, um zu sehen, ob ich es gehört hätte, und fuhr fort: „ ,Ich hab’ es nicht so gemeint, Tommy,‘ winselte er, ,weiß Gott, ich hab’ es nicht so gemeint.‘ ,Ich will dich schon zur Vernunft bringen‘, sagte ich und setzte ihm nach. Ich schnitt ihn in Fetzen, und er tat nichts als quietschen. Dann kriegte er das Messer zu fassen und wollte es halten. Mit den Fingern darum. Aber ich zog es durch bis auf die Knochen. Das war ein Anblick, sag’ ich dir!“
Ein Ruf des Steuermanns unterbrach den blutrünstigen Bericht, und Harrison ging nach achtern. Mugridge setzte sich auf die Türschwelle der Kombüse und wetzte weiter. Ich legte die Kohlenschaufel beiseite, setzte mich ruhig auf den Kohlenkasten und sah ihm zu. Er beehrte mich mit einem bösartigen Blick. Äußerlich ruhig, wenn auch mit Herzklopfen, zog ich Louis’ Dolch heraus und begann ihn auf dem Stein zu wetzen. Ich war auf irgend etwas von seiten des Cockneys gefaßt gewesen, aber zu meiner Überraschung schien er gar nicht zu bemerken, was ich tat. Er wetzte weiter sein Messer. Und ich tat dasselbe. Und zwei Stunden lang saßen wir da, Angesicht zu Angesicht, und wetzten, wetzten, wetzten, bis die Neuigkeit sich an Bord verbreitete und die halbe Schiffsbesatzung sich vor der Kombüsentür scharte, um den Anblick zu genießen. Anfeuerungen und Ratschläge wurden freigiebig erteilt. Jock Horner, der stille Jäger, der aussah, als könne er keiner Maus etwas zuleide tun, riet mir, ihm die Klinge von unten in den Bauch zu jagen und ihr dann die ,spanische Drehung‘ zu geben. Leach, der den Arm in der Binde auffällig vorstreckte, bat mich, ein paar Reste vom Koch für ihn übrigzulassen, und Wolf Larsen blieb ein paarmal neben der Hütte stehen und betrachtete neugierig, was ihm als ein Gärungsprozeß erscheinen mußte, wie er das Leben nannte.
Und ich muß gestehen, daß ich das Leben jetzt ebenso niedrig einschätzte. Es hatte nichts Schönes, nichts Göttliches mehr – hier gab es nur zwei feige Geschöpfe, die Stahl auf Stein wetzten, und eine Gruppe weiterer Geschöpfe, die zusahen. Die Hälfte von ihnen, davon bin ich überzeugt, wartete begierig, daß wir gegenseitig unser Blut vergossen. Es wäre ihnen eine Unterhaltung gewesen. Und ich glaube nicht, daß ein einziger sich dazwischen gelegt hätte, wenn es zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen uns beiden gekommen wäre.
Andererseits war das alles wiederum lächerlich und kindisch. Wetzen, wetzen, wetzen – Humphrey van Weyden in einer Schiffkombüse, im Begriff, ein Messer zu schärfen und es mit dem Daumen zu prüfen! Von allen Situationen die undenkbarste! Meine Angehörigen würden es nicht für möglich gehalten haben. Daß ich, Humphrey van Weyden, solcher Dinge fähig war, bedeutete eine Offenbarung für mich, und ich wußte nicht, ob ich stolz sein oder mich schämen sollte. Aber nichts geschah. Nach zwei Stunden legte Thomas Mugridge Messer und Stein fort und streckte mir die Hand entgegen.
„Was hat es für einen Sinn, sich den Viechern zur Schau zu stellen?“fragte er.
„Sie lieben uns nicht und würden sich verdammt freuen, wenn wir beide uns gegenseitig die Kehle abschnitten. Du bist nicht der Schlimmste, Hump! Du hast Mut, und ich hab’ dich im Grunde gerne. Komm, gib mir die Flosse.“
So feige ich auch sein mochte, war ich es doch weniger als er. Es war ein unbedingter Sieg, den ich errungen hatte, und ich wollte nichts davon verscherzen, indem ich die verhaßte Hand schüttelte.
„Schön,“sagte er, „nimm sie oder laß es bleiben, deshalb gefällst du mir nicht weniger.“Und hierauf wandte er sich heftig gegen die Zuschauer: „Macht, daß ihr von der Kombüsentür wegkommt, ihr elenden Lümmel!“
Diesem Befehl verlieh er Nachdruck durch einen Kessel kochenden Wassers, bei dessen Anblick die Matrosen Hals über Kopf fortstürzten. Das war eine Art Sieg für Thomas Mugridge, der ihn die Niederlage, die ich ihm zugefügt hatte, mit mehr Anstand tragen ließ. Die Jäger versuchte er allerdings nicht zu vertreiben.
„Köchlein ist fertig“, hörte ich Smoke zu Horner sagen. „Ja, darauf kannst du wetten“, lautete die Antwort. „Von jetzt an ist Hump Herr in der Kombüse, und Tommy muß die Hörner einziehen.“
Mugridge hörte es und warf mir einen schnellen Blick zu, aber ich tat, als hätte ich nichts gemerkt. Ich hätte nicht geglaubt, daß mein Sieg so vollständig und weittragend sei, war aber entschlossen, nicht ein Tüftelchen davon preiszugeben. Die Tage vergingen, und die Prophezeiung Smokes bewahrheitete sich. Der Cockney wurde demütiger und sklavischer vor mir als selbst vor Wolf Larsen.
Ich redete ihn nicht mehr ,Herr Mugridge‘ an, wusch nicht mehr die fettigen Töpfe aus und schälte nicht mehr Kartoffeln. Ich verrichtete meine Arbeit, aber nur meine eigene, wann und wie ich es für richtig hielt Ich trug auch nach Matrosenart meinen Dolch in einer Scheide an der Hüfte und nahm von jetzt an Thomas Mugridge gegenüber eine Haltung ein, die aus Despotismus, Hohn und Verachtung gemischt war.
Die Vertraulichkeit zwischen Wolf Larsen und mir nimmt zu – wenn man mit Vertraulichkeit Beziehungen zwischen Herrn und Diener oder besser noch zwischen König und Hofnarr bezeichnen kann. Ich bin ihm nichts als ein Spielzeug, und er schätzt mich nicht mehr als ein Kind das seine.