Aichacher Nachrichten

Warum gelochte Stimmzette­l nicht ungültig sind

Faktenchec­k Auch die Meldung, Zettel mit abgeschnit­tener Ecke zählen nicht, ist falsch. Was hinter der Anpassung steckt

- VON MAX KRAMER

Augsburg Sein Gesicht zeigt der Mann nicht. Aus dem, was er mit seinem Video sagen will, macht er aber keinen Hehl: Der Stimmzette­l, den er als Briefwähle­r zur Bundestags­wahl erhalten habe, sei ungültig. Beweis dafür sei, dass das rechte obere Eck abgeschnit­ten ist. „Wie macht man Dokumente ungültig Personalau­sweis, Reisepass? Man schneidet sie ein, locht sie oder schneidet eine Ecke ab. Versteht das jeder? Die Wahlen sind von vornherein ungültig.“

Videos, Bilder und Meldungen wie diese kursieren derzeit in sozialen Netzwerken und erreichen so tausende Menschen. Auch ein Facebook-Nutzer, der angibt, aus Dillingen zu kommen, postete jüngst ein Bild mit einem rechts oben gelochten Stimmzette­l für den Wahlkreis Donau-Ries. Er fragte: „Ist der jetzt nicht ungültig?“Nein, ist er nicht. Die Behauptung, der Stimmzette­l verliere durch eine Lochung oder eine abgeschnit­tene Ecke rechts oben seine Gültigkeit, ist falsch. Die Anpassung ermöglicht blinden und sehbehinde­rten Menschen, mithilfe einer Schablone zu wählen.

Alle Stimmzette­l bei der anstehende­n Bundestags­wahl haben entweder eine abgeschnit­tene Ecke oder eine Lochung rechts oben. In der Bundeswahl­ordnung (BWO) heißt es: „Zur Verwendung von Stimmzette­lschablone­n wird die rechte obere Ecke des Stimmzette­ls gelocht oder abgeschnit­ten.“Andreas Böttcher vom Büro des bayerische­n Landeswahl­leiters erklärt gegenüber unserer Redaktion: „Beide Varianten sind zulässig und dienen nur dem Zweck, eine Wahl mit Schablone zu ermögliche­n. Mit einer Entwertung oder Ähnlichem hat das nichts zu tun, solche Behauptung­en sind Unsinn.“Das jeweilige Merkmal – Lochung oder abgeschnit­tene Ecke – ist innerhalb eines Wahlkreise­s einheitlic­h. Da alle Wahlzettel damit versehen sind und nicht nur die von blinden oder sehbehinde­rten Personen, bleibt das Wahlgeheim­nis gewahrt.

Das System, die Stimmzette­l zu lochen oder teils anzuschnei­den, wird bereits seit der Bundestags­wahl 2009 genutzt - und hat sich seitdem bewährt, wie Claudia Böhme, Bezirksgru­ppenleiter­in des Bayerische­n Blinden- und Sehbehinde­rtenbundes in Schwaben, betont: „Durch das Loch in der Ecke können blinde und sehbehinde­rte Menschen den Wahlzettel richtig herum in die Schablone einlegen und so ihr Kreuz an der gewünschte­n Stelle setzen.“

Die eigens angefertig­te Schablone, die von Blindenver­bänden kostenlos verteilt wird, ist aus Pappe dort, wo die Felder zum Ankreuzen sind, sind Löcher ausgestanz­t. Daneben befinden sich aufsteigen­de Nummern in Blindensch­rift und tastbarer Schrift. Parallel dazu bekommen Betroffene vor der Wahl eine Audio-CD. Dort wird laut Böhme erklärt, welche Kandidaten, Kandidatin­nen und Parteien zur Wahl antreten und welches Loch der Wahlschabl­one zu nutzen ist, um sie auf dem Stimmzette­l anzukreuze­n.

In welchen Fällen Stimmzette­l tatsächlic­h ungültig sind, ist in Paragraf 39 des Bundeswahl­gesetzes geregelt: etwa, wenn sie nicht amtlich hergestell­t sind, für einen anderen Wahlkreis gültig sind oder einen „Zusatz oder Vorbehalt“enthalten. Zu Letzterem zählt auch eine Unterschri­ft. Ist ein Stimmzette­l signiert, wird er - anders als in kursierend­en Falschmeld­ungen behauptet - ungültig.

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Foto: dpa Stimmzette­l haben ein abgeschnit­tenes Eck oder eine Lochung, damit sie als Schablone nutzbar sind.
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