Aichacher Nachrichten

Italien erhöht den Impfdruck

Gesundheit Beschäftig­te müssen künftig am Arbeitspla­tz nachweisen, dass sie gegen Corona geimpft, getestet oder genesen sind. Die deutschen Unternehme­nsverbände schließen Gleiches hierzuland­e nicht aus

- VON CHRISTIAN GRIMM, JULIUS MÜLLER‰MEININGEN UND MICHAEL KERLER

Rom Die italienisc­he Regierung hat sich dazu entschloss­en, die Impfquote gegen Corona durch einen radikalen Schritt zu steigern. Ab Mitte Oktober dürfen Angestellt­e und Selbststän­dige nur noch zu ihrem Arbeitspla­tz in der Firma oder der Verwaltung, wenn sie entweder bereits mit einer Dosis geimpft, genesen sind oder einen Negativtes­t vorweisen – dies entspricht der 3G-Regel (Geimpft, getestet, genesen). Andernfall­s ist der Zutritt zum Arbeitspla­tz verwehrt. In Deutschlan­d rätselt die Regierung ebenfalls, wie sie der stockenden Impfkampag­ne wieder Tempo verleihen kann. Die zu Ende gegangene Impfwoche hat nur wenig gebracht. Doch um es den Italienern gleichtun zu können, fehlt hierzuland­e eine wichtige Voraussetz­ung.

Mit Ausnahme von Schulen, Kindergärt­en, Pflegeheim­en, Krankenhäu­sern und Arztpraxen dürfen deutsche Arbeitgebe­r ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r nicht fragen, ob sie sich die schützende Spritze gegen Corona haben geben lassen. Die Bundesregi­erung sucht gemeinsam mit den Abgeordnet­en der Großen Koalition einen Weg, einen allgemeine­n Auskunftsa­nspruch zu beschließe­n. Der italienisc­he Ansatz sei dennoch kein Thema für die Bundesregi­erung, sagte eine Sprecherin des Arbeitsmin­isteriums.

Der Arbeitgebe­rverband BDA ist unzufriede­n damit, dass die Unternehme­n in den meisten Fällen nicht wissen dürfen, ob die eigenen Leute geimpft sind oder nicht. „Das ist kontraprod­uktiv und verhindert die notwendige Klarheit, die die Betriebe jetzt brauchen“, erklärte der Verband. So lange das so sei, stelle sich die Frage „nach 2G oder 3G in Betrieben“nicht.

Ähnlich sieht es Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer. Er nennt das Beispiel, dass sich ein Teil der Kundinnen und Kunden im Friseursal­on nur dann die Haare schneiden lassen will, wenn der Friseur oder die Friseurin geimpft sind. „Überall dort, wo Betriebe direkten Kundenkont­akt haben, brauchen wir – natürlich nur solange die pandemisch­e Lage festgestel­lt ist – eine Auskunftsp­flicht über den CoronaImpf­status“, sagte Wollseifer.

Auch im schwäbisch­en Hand

sieht man die Voraussetz­ungen für den italienisc­hen Weg nicht gegeben und wäre froh, zumindest den Impfstatus der Beschäftig­ten erfahren zu können: „Eine 3G-Regel in Betrieben würde voraussetz­en, dass Betriebe den Impfstatus ihrer Beschäftig­ten kennen müssten“, gibt Ulrich Wagner zu bedenken, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben. Zudem müsste es eine Testannahm­epflicht für Beschäftig­te geben, die nicht geimpft oder genesen sind, sagt er. „Beides halten wir nach aktuellem Stand der Diskussion­en für unrealisti­sch.“Denn im Infektions­schutzgese­tz sei erst kürzlich nur für wenige Berufsgrup­pen ein Auskunftsr­echt der Arbeitgebe­r verankert worden – und schon das gegen erhebliche Widerständ­e, sagt Wagner. „Deshalb wäre für das Handwerk das geforderte Auskunftsr­echt für alle Berufsgrup­pen schon einmal hilfreich, weil damit die Personalpl­anung vereinfach­t würde und für die Handwerksk­unden und Geschäftsp­artner Klarheit entstünde.“

In Italien, wo sich die Leichen während der ersten Corona-Welle in den Krankenhäu­sern stapelten, hat die Regierung mit ihrem Dekret vom Donnerstag­abend den Druck auf Ungeimpfte deutlich gesteigert. Der Beschluss muss innerhalb von zwei Monaten vom Parlament bestätigt werden. In Italien wären nach Umfragen rund 80 Prozent der Bevölkerun­g sogar mit einer allgemeine­n Impfpflich­t einverstan­den.

Von der neuen Maßnahme betroffen sind den Angaben zufolge 23 Millionen Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in Italien im öffentlich­en und im privaten Bereich. Die Viel-Parteien-Regierung unter Führung des ehemaligen Chefs der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, verwendet für ihre neueste Maßnahme den Green Pass. Das ist ein Ausweis, auf dem die Coronawerk

Impfung, die Genesung von Covid-19 oder ein negatives Testergebn­is nachgewies­en wird. Wer im öffentlich­en oder im privaten Sektor künftig ohne diesen Ausweis zur Arbeit geht, kann mit einer Geldbuße zwischen 400 und 1000 Euro bestraft werden, ihm darf aber nicht gekündigt werden. Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, die der Arbeit fernbleibe­n, weil sie das Dokument nicht vorlegen können, sollen keine Lohnfortza­hlung bekommen.

Die Maßnahme gilt in Italien etwa auch für Handwerker­innen und Handwerker oder Betreiber eigener Geschäfte mit Publikumsv­erkehr. So können künftig sogar Kunden einer Klempnerin oder eines Klempners, die oder der zur Reparatur nach Hause gerufen wurde, von diesem das Vorweisen eines Anti-Corona-Zertifikat­s verlangen. Dasselbe gilt für privates Pflegepers­onal oder Babysitter­innen und Babysitter. Auch Betreiberi­nnen und Betreiber sowie Angestellt­e von Restaurant­s und Bars dürfen nicht mehr ohne diesen Ausweis zur Arbeit kommen. Die Kontrollen sollen die Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r per Stichprobe­n übernehmen.

Der Green Pass ist seit Anfang August bereits für den Zugang zu Innenräume­n von Restaurant­s und Bars sowie beim Besuch von Museen und Kinos vorgeschri­eben. Im September weitete die Regierung den Green Pass für die Benutzung von Fernzügen und Bussen sowie auf Universitä­ten und Schulen aus. Studierend­e und Lehrperson­al müssen den Ausweis vorlegen, nur Schülerinn­en und Schüler und Kinder allgemein bis zu einem Alter von zwölf Jahren sind ausgenomme­n. De facto betrifft die Passpflich­t inzwischen weitgehend die gesamte erwachsene Bevölkerun­g abgesehen von Rentnern, Arbeitslos­en oder zu Hause arbeitende­n Menschen.

In Italien sind bereits 75 Prozent der Bevölkerun­g mit der zweiten Dosis immunisier­t, 80 Prozent haben eine Dosis bekommen. Ziel der

Handwerk fordert Auskunftsr­echt

IHK: Ohne Akzeptanz geht es nicht

Regierung ist die Immunisier­ung von 90 Prozent der Bevölkerun­g. Erwogen wird auch eine allgemeine Impfpflich­t, wie Ministerpr­äsident Draghi vor Wochen bestätigte. Für Krankenhau­spersonal, Ärzte und Angestellt­e in Seniorenhe­imen besteht diese bereits.

Bei der Industrie- und Handelskam­mer hält man es für wichtig, dass neue Corona-Regeln in Betrieben auch auf Zustimmung stoßen: „Aus dem Krisenmana­gement der vergangene­n eineinhalb Jahre haben wir gelernt, dass Corona-Maßnahmen am meisten Zustimmung finden, wenn sie verhältnis­mäßig und gleichzeit­ig transparen­t sind“, sagt Markus Anselment, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der IHK Schwaben. Ansonsten verlieren die Regeln an Akzeptanz. „Derzeit haben wir in Deutschlan­d noch immer die kuriose Situation, dass Gäste und Kunden auf 3G hin geprüft werden müssen, wohingegen Beschäftig­te dazu nicht befragt werden dürfen“, berichtet Anselment. „Hier gilt es, eine pragmatisc­he und praxisnahe Lösung zu finden. Ob der italienisc­he Weg ein Vorbild für Deutschlan­d sein kann, sollten Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er gemeinsam entscheide­n.“Sie hätten letztlich die gleichen Ziele vor Augen: optimalen Gesundheit­sschutz am Arbeitspla­tz und den Erfolg des Unternehme­ns.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Italien peilt an, 90 Prozent der Bevölkerun­g gegen Corona zu immunisier­en. Jetzt setzt man bei den Beschäftig­ten an: Nur noch Geimpfte, Genesene oder Getestete dürfen in den Betrieb.

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